Die Zeit ist abgelaufen. Stefano Domenicali zog die Reißleine, die ihm sein Team fest in die Hand gedrückt hat. Drei magere Pünktchen mit beiden Autos. Geschlagen von Williams und Force India. Mehrmals chancenlos überholt von einem Toro Rosso. Nur vom Safety Car vor einer Überrundung gerettet. Ferrari liegt nach dem dritten Saisonrennen in Bahrain am Boden.

"Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, warum das so ist", war Allan McNish angesichts der schwachen Vorstellung der Roten in diesem Jahr erstaunt. Das angebliche Übel der vergangenen Jahre, die falsche Korrelation zwischen Windkanal und Strecke, wurde mittlerweile behoben. An der fehlenden Leistung des Autos änderte dies jedoch nichts.

"Aktuell scheint ihr Motor nicht so effizient zu sein, wie er es sein müsste", analysiert McNish mit Motorsport-Magazin.com. "Aber auch das Chassis scheint nicht so gut zu sein, wie es sein sollte." Johnny Herbert stimmt in das vernichtende Fazit mit ein: "Ihre Performance war okay, aber nur 'okay' ist für Ferrari nicht genug." Der Abschied von Teamchef Stefano Domenicali war somit nur noch eine Frage der Zeit, die nun überraschend früh in dieser Saison abgelaufen ist.

Ferrari in der Ära Domenicali (2007-2014)

Saison WM Punkte Siege
2008 1. 172 8
2009 4. 70 1
2010 3. 396 5
2011 3. 375 1
2012 2. 400 3
2013 3. 354 2
2014 5. 33 0

Domenicali übernahm die Scuderia in der Umbruchsphase nach dem (ersten) Karriere-Ende von Michael Schumacher sowie den Abgängen von Jean Todt und Ross Brawn. Trotz der schwierigen Umstände gewann Ferrari mit Kimi Räikkönen 2007 die Fahrer- und Konstrukteurs-WM. Im November 2007 stieg Domenicali vom Sportdirektor zum Teamchef auf. In der Saison 2008 war er mit Felipe Massa für 21 Sekunden Weltmeister - am Ende gab es immerhin die Konstrukteurs-WM-Krone als Trostpflaster.

Danach begann der Abstieg. Die Saison 2009 geriet aus roter Sicht zu einem Fiasko. Ein Jahr später sollte Fernando Alonso zum Erlöser werden - scheiterte im letzten Saisonrennen in Abu Dhabi jedoch an seiner Strategie, dem Heck von Vitaly Petrov und Sebastian Vettel. Mit Chris Dyer fanden die Italiener schnell ihren Sündenbock. Der Deutsche sorgte dennoch auch in den folgenden drei Jahren für Alpträume in Maranello.

"Auf eine gewisse Weise braucht die Formel 1 ein erfolgreiches Ferrari Team", meint McNish. Der Traditionsrennstall müsse zumindest in jedem Jahr um den Titel kämpfen. "Der Druck bei Ferrari steigt. Sie hatten gute Ergebnisse, aber sie haben eben nicht gewonnen." Das soll, nein, das muss sich nun unter neuer Führung ändern.

Wer führt Ferrari wieder an die Spitze?

Machtlos: Die Zeit von Domenicali in Maranello ist abgelaufen, Foto: Sutton
Machtlos: Die Zeit von Domenicali in Maranello ist abgelaufen, Foto: Sutton

Domenicalis Nachfolger Marco Mattiacci ist in Formel-1-Kreisen ein unbeschriebenes Blatt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger entstammt der Italiener nicht dem eigenen Rennstall. Stattdessen war er bislang als Präsident von Ferrari Nordamerika auf der Business-Seite aktiv. Kontakte und Verständnis für die politischen Machtspielchen im F1-Fahrerlager fehlen ihm noch - was gerade bei der Scuderia kein unwesentlicher Punkt ist.

Mit Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo gibt es zwar den allmächtigen Boss an seiner Seite, doch im Alltagsgeschäft hilft Mattiacci vorerst keine bekannte F1-Größe wie beim Mercedes-Dreigestirn Ross Brawn, Toto Wolff und Paddy Lowe im vergangenen Jahr.

Mit Bob Bell ist ab Anfang Dezember ein erfahrener Technischer Direktor verfügbar. Der Brite reichte bereits im Dezember des vergangenen Jahres seine Papiere bei Mercedes ein und trat von seinem Posten zurück, um andernorts eine neue Herausforderung zu suchen.

Ferrari wieder auf Vordermann zu bringen, wäre sicherlich eine der größten Herausforderungen, die sich derzeit in der Königsklasse des Motorsports finden lassen. Dass er als Bestandteil eines Top-Teams einen ruhmreichen Mythos wieder an die Spitze führen kann, hat er bei den Silberpfeilen bewiesen. Mit Pat Fry und James Allison scheint der Weg derzeit jedoch noch versperrt zu sein. Außerdem könnte ihn eine Rückkehr an alte Wirkungsstätte bei McLaren wohl ebenso reizen.

Schwierige Aufgabe für Allison

Ferrari fährt der ruhmreichen Vergangenheit hinterher, Foto: Sutton
Ferrari fährt der ruhmreichen Vergangenheit hinterher, Foto: Sutton

Allan McNish kennt Fry und Allison persönlich. Der Schotte ist davon überzeugt, dass sie genau die richtigen für die Auferstehung von Ferrari sind. "Sie sind zwei sehr gute Ingenieure", lobt McNish im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Aber es braucht Zeit, bis sich ihre Arbeit auszahlt." Für Allison gilt dies mehr als für Fry, der schon seit Juli 2010 in Maranello arbeitet.

Dabei wurde der ehemalige Technische Direktor Fry durch die Verpflichtung von Allison quasi seitlich in seine neue Rolle als Director of Engineering gedrängt. Sein Kopf könnte bei anhaltenden Misserfolgen wohl als nächstes in Gefahr sein. Auch wenn McNish richtig anmerkt: "Es kommt auf mehr als nur zwei Leute an. Es geht um ein Team." So entwarf und baute auch Domenicali keinen einzigen der Boliden, die in den vergangenen Jahren sang- und klanglos den enormen Ansprüchen der Scuderia hinterherfuhren.

Die Integration von Schlüsselpersonen benötigt eben vor allem eins: Zeit, viel Zeit. McNish vergleicht dies mit seiner Zeit als Audi-Werksfahrer in der DTM und im Langstreckensport. Der Schotte kennt die Audi-Mannschaft noch immer wie seine Westentasche.

"Die ganze Zeit, die ich dort war, war Dr. Ullrich der Chef - und er war schon vorher dort", betont McNish. Auch die meisten leitenden Ingenieure und Techniker waren die gesamte Zeit dort, die er für Audi fuhr. "Somit kennt man sich und versteht sich", erklärt McNish. "Wenn man neue Leute einbauen muss, braucht das Zeit. Jeder muss sich einleben, die anderen kennen lernen. Nur mit der Zeit, vertraut er deren Erfahrung. Deshalb ist es bei Ferrari noch verfrüht, über James Allison zu urteilen." Ob er die nötige Zeit von di Montezemolo und der italienischen Presse erhalten wird, bleibt abzuwarten.

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