Der langjährige Mercedes-Motorsportchef und DTM-Szenekenner Norbert Haug spricht sich in einem aktuellen Interview für eine Abschaffung von privaten DTM-Testfahrten aus, um Kosten für die Teams einzusparen. Wäre das überhaupt möglich und sinnvoll? Die MSM-Redakteure Robert Seiwert und Arno Wester diskutieren ein mögliches Verbot der großen Testerei.

Pro: Haug legt den Finger in die Wunde (Arno Wester)

Überall, wo man sich im und außerhalb vieler Fahrerlager umhört, wird über Kosten und damit verbundene, mögliche Einsparungen gesprochen. In Zeiten, in denen Corona uns immer noch nicht ganz verlassen hat und wohl auch nicht verlassen wird, nicht enden wollende Kriege wie der Russland-Ukraine-Konflikt und aktuell das Kriegsgeschehen rund um Israel, halten die Welt in Atem und sorgen dafür, dass der allgemeine Wohlstand nach Beendigung dieser Krisen möglicherweise nicht mehr zurückkehrt.

Fast jeder muss sich praktisch Gedanken darüber machen, wo er Geld einsparen kann. Das betrifft auch den Motorsport, in dem private und professionell aufgestellte Teams mit ihren Renneinsätzen Geld verdienen wollen. Es ist doch ein Wahnsinn, wenn eine DTM-Saison, wohl gemerkt mit einem seriennahen GT3-Sportwagen und nicht mit einem Prototyp wie zu Herstellerzeiten, Kosten im niedrigen siebenstelligen Bereich verursacht.

Der frühere Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hat zu Wochenbeginn in einem brisanten, aber sachlich vielsagenden Interview mit der Bild-Zeitung den Finger in die Wunde gelegt und warnend prognostiziert: "Sinnloses Verheizen hat keine Zukunft!" Was Haug damit meint, sind unter anderem die ausufernden Kosten, vor allem, weil viel zu viel getestet würde. Demnach kostet ein einziger Testtag 40.000 Euro und mehr!

Den Beweis dafür lieferte vor einer Woche das Lamborghini-Team SSR Performance, das sich mit drei werksunterstützten Huracan GT3 EVO2 an zwei Tagen in Hockenheim auf das DTM-Finale am kommenden Wochenende (20.-22.10.) vorbereitet hat. Ein Szenekenner sprach danach von einem irrsinnigen Aufwand mit unzähligem Personal und Reifen, die dabei zur Verfügung standen.

Der Unterschied zwischen Arm und Reich in der DTM ist inzwischen so groß, dass man ihn auch sportlich an der Tabelle ablesen kann. Die Teams Manthey-EMA (Porsche) mit Thomas Preining, SSR (Lamborghini) mit Mirko Bortolotti und Abt Sportsline (Audi) mit Ricardo Feller machen den Titel unter sich aus, weil ihnen nach Meinung von Radio Fahrerlager auch das meiste Geld zur Verfügung steht. Im Umkehrschluss heißt das klipp und klar: Wer dazu finanziell nicht in der Lage ist, fährt eben nur um die berühmte "Goldene Ananas"!

Nicht nur Haug plädiert dafür, das Testen ganz abzuschaffen, was zudem noch einen interessanten Nebeneffekt hätte: "Ohne Tests werden die Rennen besser und spannender. Es gibt mehr Überraschungsmomente, die Fahrer sind entscheidender und stehen im Mittelpunkt." Das sei "überlebenswichtig"!

Nach Meinung von Experten aus der Industrie, könnte ein Chip oder Code im Exklusivreifen der DTM Daten übermitteln, die genau belegen, welche Laufleistung jeder einzelne Rennreifen aufweist. Weil die Räder elektronisch erfasst und registriert sind, wären Abweichungen von Daten außerhalb eines DTM-Rennwochenendes schwarz auf weiß zu belegen.

Abschreckend dürfte, wie aktuell bei der leidigen Teamorder (250.000 Euro), auch eine hohe Geldstrafe sein, die der ADAC als verantwortlicher Promotor auch noch höher festlegen könnte. Das wäre auch für gut betuchte Teams sicher ein Grund, auf irgendwelche Tricks zu verzichten...

Start mit Polesetter Jack Aitken im Ferrari
In der DTM gehen knapp 30 Autos an den Start, Foto: DTM

Contra: GT3-Testverbot ist unmöglich (Robert Seiwert)

Natürlich kann es niemand gutheißen, wenn auch finanziell weniger gesegnete Privatteams unter der Saison einen Test nach dem anderen abspulen müssen, um mit den 'Großen' mithalten zu können. Und Fans fragen sich ohnehin, warum GT3-Autos, die seit Jahren bekannt sind und an jedem Wochenende rund um den Globus unzählige Rennen fahren, noch zusätzlich getestet werden müssen.

Die traurige Wahrheit lautet aber: Es erscheint schlichtweg unmöglich, den Teams aus der DTM und Co. die privaten Testfahrten komplett zu verbieten. Früher zu Hersteller-Zeiten war das einfach zu kontrollieren, weil die Class-1-Prototypen einzigartig waren und die Marken die besten Spürhunde in den eigenen Reihen hatten, um einen möglichen Regelbruch eines Konkurrenten aufzudecken.

Aber heute? Es gibt diverse Privat-Rennställe, die fünf bis zehn GT3-Autos in der Garage stehen haben und sie in unterschiedlichen internationalen Rennserien einsetzen. Wer will bitte überprüfen, ob da jetzt ein für die DTM eingeplantes GT3-Auto seine Testrunden absolviert oder ein Fahrzeug, das für die GT World Challenge, GT Masters, IMSA, NLS, Britische GT-Meisterschaft, P9 Challenge oder ESET Cup Series (ja, all diese Rennserien gibt es wirklich) vorgesehen ist?

Es wäre eine weltweit umfassende Lösung für Testverbote nötig, auf die viele Teilnehmer aber keine Lust hätten, weil sich mit den einst für den Amateur-Sport entwickelten GT3-Wagen gutes Geld verdienen lässt.

ADAC-Motorsportchef Thomas Voss hat schon das richtige Zitat gefunden: 'Was du nicht kontrollieren kannst, das solltest du auch nicht verbieten'. Und sicherlich weiß auch er um die findigen Tricks der Rennsport-Szene. So sollen etwa heutige Formel-1-Fahrer in Jugendzeiten mit umgebauten FIA-Formel-3-Autos heimlich ihre Kilometer gesammelt haben. Und Hersteller haben schon ganze Rennkurse auf Parkplätzen nachgebaut, um testen zu können... Die Möglichkeiten zum 'Beschiss' sind bekannt und unendlich.

Die nervigen Testfahrten sind sicherlich einer der treibenden Kosten-Faktoren, aber es gäbe auch genug andere Möglichkeiten, um Geld zu sparen. Verkürzte Wochenend-Formate etwa, wie sie auch Norbert Haug ins Spiel gebracht hat. Und am Ende darf auch die Frage erlaubt sein: Muss sich denn jedes Team wirklich die DTM leisten können? Wer nicht genug Kohle hat, dem stehen ausreichend viele andere GT3-Betätigungsfelder auf einem niedrigeren Niveau zur Auswahl.