"Solange der vorne mitfährt, ist er Österreicher!" Basta-Ansage von Gerhard Berger höchstpersönlich, der nicht nur die Geschicke der DTM leitet, sondern die Dinge auch gern einmal einfach hält. So wie im Fall von Mirko Bortolotti, der in Wahrheit Italiener ist, von zahlreichen Motorsport-Fans aber gerne als Österreicher und damit Landsmann von Berger wahrgenommen wird.

Und das nicht zuletzt, weil Bortolotti in Wien aufgewachsen, Teil einer traditionsreichen Eisdielen-Familie mit mehreren Geschäften in der Innenstadt ist und weiterhin in der österreichischen Hauptstadt lebt. Tatsächlich geboren wurde der heute 32-Jährige in Trient, rund 150 Kilometer südlichen der österreichischen Landesgrenze.

"Er sah aus wie die Reinkarnation von Jochen Rindt"

"Heute hat er eine komische Frisur, aber damals sah er aus wie die Reinkarnation von Jochen Rindt", steuerte der frühere Formel-1- und DTM-Fahrer Christian Danner seinen Teil zur Mythen-Bildung rund um Bortolotti bei. "Und dann hat er dazu auch noch so gesprochen und den schlurfigen Gang. Er ist ein großartiger Bursche, der in der DTM auch gefordert wird."

Und 'vorne mitfahren', wie von Berger beschrieben, das tut Bortolotti in seiner ersten vollen Saison in der deutschen Traditionsserie. Sogar ganz vorne, schließlich hat er sich beim vergangenen Rennwochenende auf dem Norisring den inoffiziellen Titel des Halbzeit-Meisters gesichert. Vier Podestplätze, dreimal in der ersten Startreihe, dazu in sieben der bisherigen acht Rennen in den Punkterängen: Bortolotti überzeugte mit brutaler Konstanz in seinem Lamborghini Huracan GT3.

Rindts Reinkarnation? Mirko Bortolotti 2011 in der Formel 2, Foto: Formula Two
Rindts Reinkarnation? Mirko Bortolotti 2011 in der Formel 2, Foto: Formula Two

Danner: "Bortolotti hat mich schon sehr beeindruckt"

Was der Halbzeit-Titel für Bortolotti, den inzwischen auch deutsche Motorsport-Fans auf dem Schirm haben, bedeutet? "Gar nix", zuckt er mit den Schultern. Zuweilen wirkt der langjährige Lamborghini-Werksfahrer wie ein Renn-Roboter, programmiert auf puren Erfolg. Maximale Performance statt großer Emotionen, zumindest in der Öffentlichkeit.

"So etwas sieht man nicht so oft durch die Gegend laufen", sagte Danner, der Bortolotti seit dessen Zeit in den Formel-Nachwuchsserien verfolgt, einmal zu Sport1. "Was ein Rennfahrer zu leisten imstande ist, kann man auf der Stoppuhr ablesen. Aber das Drumherum, wie man mit einer Situation umgeht, wie man mit einer kritischen Situation oder Misserfolgen umgeht - da gibt es große Unterschiede. Da hat er mich schon sehr beeindruckt."

Grasser: Bortolotti der beste Lamborghini-Fahrer

Szene-Kenner wissen ohnehin seit langer Zeit, dass Bortolotti zu den besten GT-Piloten der Welt zählt. Aber kaum jemand weiß besser als Gottfried Grasser, wie der Lambo-Spezialist wirklich tickt. Der österreichische Teamchef von GRT, der mit Speerspitze Bortolotti zum ersten Mal in der DTM antritt, blickt auf eine jahrelange und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem seiner Meinung nach "besten Lamborghini-Fahrer" zurück.

Mit GRT gewann Bortolotti unter anderem 2017 die Gesamt-Meisterschaft in der Blancpain-GT-Serie, heute als GT World Challenge bekannt, dazu zwei Klassensiege 2018 und 2019 bei den berühmten 24 Stunden von Daytona und ein Triumph in der GTD-Kategorie bei den 12 Stunden von Sebring. Seit 2015 war Bortolotti für die Grasser-Mannschaft im ADAC GT Masters, bei den 24h Spa-Francorchamps oder in der US-amerikanischen IMSA-Serie im weltweiten Einsatz.

Mirko Bortolotti im GRT-Lamborghini Huracan GT3 Evo, Foto: LAT Images
Mirko Bortolotti im GRT-Lamborghini Huracan GT3 Evo, Foto: LAT Images

Teamchef Grasser: Das macht Bortolotti so wichtig

Während Bortolotti nach außen hin stets analytisch und höchst sachlich wirkt, kann es intern auch mal etwas emotionaler zugehen. "Egal, was du machst, ob du heiratest oder sonst was, es ist nicht immer rosarot", sagte Teamchef Grasser mit einem Zwinkern in den Augen zu Motorsport-Magazin.com. "Das gehört auch dazu. Wie in jeder menschlichen Beziehung gibt es Ups und Downs. Der Vorteil, wenn man sich länger kennt, ist, zu wissen, wie man es wieder regeln kann. Am Ende steht immer ein Ziel und das lautet, um den Titel mitzufahren."

In Grassers DTM-Aufgebot mit vier Lamborghini Huracan GT3 Evo ist Bortolotti neben seinen Teamkollegen Clemens Schmid, Rolf Ineichen und Alessio Deledda - allesamt Fahrer der FIA-Kategorie 'Silber' - der strahlende Leuchtturm. Zahlreiche GT-Experten rechnen ihm die besten Chancen auf den DTM-Titel 2022 aus, die Kombination aus Talent und Gesamtpaket überzeugt.

"Über die Jahre haben wir ein blindes Vertrauen entwickelt", sagt Grasser. "Mirko ist eine einzigartige, wahnsinnig talentierte Person auf dem Lamborghini. Es gibt keinen anderen Fahrer, der das Auto so gut kennt. Ihm fallen sofort Kleinigkeiten auf, die andere nicht direkt sehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Projekt zusammen mit ihm machen können, weil wir wissen, dass auch die Harmonie passt."

Feierten schon 2015 Erfolge: Bortolotti und GRT-Teamchef Gottfried Grasser, Foto: ADAC GT Masters
Feierten schon 2015 Erfolge: Bortolotti und GRT-Teamchef Gottfried Grasser, Foto: ADAC GT Masters

Bortolotti: Er kann's nicht nur im Lamborghini

Dabei wies Grasser darauf hin, dass Bortolotti nicht nur im Lamborghini-Rennwagen schnell sei, und nannte seinen diesjährigen Einsatz bei den 24 Stunden von Le Mans als Beispiel. Bei seinem Debüt im LMP2 von WRT erzielte Bortolotti mit den Teamkollegen Ineichen und Dries Vanthoor den elften Platz in der Klasse. Eine Fingerübung für die Zukunft, wenn Lamborghini ab 2024 mit seinem neuentwickelten LMDh-Rennwagen in die WEC und IMSA-Serie einsteigt?

Auch deshalb wäre es nicht fair, zu behaupten, dass Bortolotti ausschließlich im GT3 von Lamborghini performen kann. 2020, dem Jahr des Ausbruchs der Corona-Pandemie, suchte er eine neue Herausforderung und wechselte innerhalb des VW-Konzerns zu Audi Sport customer racing. Nach nur einer Saison kehrte Bortolotti zurück nach Sant'Agata Bolognese, doch auch in Neuburg hinterließ er seine Spuren.

Mit dem Audi R8 LMS GT3 fuhr Bortolotti zu Beginn jenes Jahres bei den 24h Daytona aufs Klassenpodium, errang den zweiten Platz hinter ROWE-BMW beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring - und das bei seinem Debüt beim Nordschleifen-Klassiker - und räumte nebenher zwei weitere Podestplätze in der NLS sowie einen Sieg in der GT World Challenge ab.

Bortolotti 2020 im Car-Collection-Audi beim 24h-Rennen Nürburgring, Foto: Audi Communications Motorsport
Bortolotti 2020 im Car-Collection-Audi beim 24h-Rennen Nürburgring, Foto: Audi Communications Motorsport

Sanna: "Bortolotti praktisch mit uns geboren"

Nicht umsonst musste sich Lamborghini-Motorsportchef Giorgio Sanna, selbst ehemaliger Rennfahrer, mächtig strecken, um den 'verlorenen Sohn' zurück nach Italien zu lotsen. Hier liegen ohnehin die Anfänge von Bortolottis GT-Karriere, nachdem er die Lamborghini Squadra Corse mit seinen Leistungen in der Lamborghini Super Trofeo 2014 überzeugen konnte, ins Juniorprogramm aufgenommen und später zum Werksfahrer befördert wurde.

"Als GT-Fahrer wurde Mirko praktisch zusammen mit uns geboren", blickte Motorsportchef Sanna im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com auf die junge Geschichte der Rennsportabteilung zurück. "Er zählte zu unseren ersten Werkspiloten, hat sich entwickelt und ist ein Teil der Familie. Er passt perfekt in unsere DNA, die für Talent, Kompetenz und Speed steht."

Motorsportchef Giorgio Sanna und Lamborghini-CTO Rouven Mohr sind überzeugt, Foto: Lamborghini/Marco Passanti
Motorsportchef Giorgio Sanna und Lamborghini-CTO Rouven Mohr sind überzeugt, Foto: Lamborghini/Marco Passanti

Lamborghini-CTO Mohr über Bortolotti: Bodenständig, cool, offenherzig

Und auch menschlich passt es mit Bortolotti, über dessen Privatleben nur wenig bekannt ist und der sich in den sozialen Medien durch und durch als Rennfahrer präsentiert. Ein Eindruck, den Rouven Mohr, seit Beginn dieses Jahres neuer Chief Technical Officer von Lamborghini mit Audi-Vergangenheit, bestätigen kann. "Wir wissen seine Persönlichkeit sehr zu schätzen", sagte Mohr zu Motorsport-Magazin.com. "Er ist bodenständig und ein cooler wie offenherziger Mensch."

Mohr, der Bortolottis Instagram-Anhängerschaft interessanterweise mit eigenen 118.000 Followern um mehr als das Fünffache übertrifft, weiß um einen Fahrer in den eigenen Reihen, der die Marke auch in Deutschland nach vorne bringen kann. GT3-Reglement und Kundensport hin oder her, Erfolge in der DTM haben seit mehr als 30 Jahren eine besondere Strahlkraft.

"Die DTM ist sehr wichtig für Lamborghini", sagte Mohr, der 2017 schon einmal zu Lamborghini wechselte, wo er zwei Jahre lang die Entwicklung der Modelle Aventador, Huracan und Urus verantwortete, bevor er zu Audi zurückkehrte und bis 2020 die Verifizierung/Validierung Gesamtfahrzeug übernahm. Der studierte Ingenieur weiter: "In der DTM herrscht ein großer Wettbewerb und wir wollen auf diesem Top-Level mitmischen. Außerdem ist der deutsche und europäische Markt wichtig für Lamborghini. Und nicht zuletzt ist die DTM aus medialer Sicht attraktiv, um unsere Stärke unter Beweis zu stellen."

Bortolotti führt die DTM 2022 zur Saisonhalbzeit an, Foto: Lamborghini
Bortolotti führt die DTM 2022 zur Saisonhalbzeit an, Foto: Lamborghini

Bortolotti: Formel-1-Tests für Ferrari, Toro Rosso und Williams

Das gilt übrigens auch für Bortolotti selbst, der seinen allgemeinen Bekanntheitsgrad durch die jüngsten Erfolge in der DTM durchaus steigern konnte. Auch, wenn ihm persönlich das vermutlich nicht allzu wichtig erscheint. Zu großer Motorsport-Prominenz hatte er es ohnehin schon in jungen Jahren gebracht. Woran sich heute kaum noch jemand erinnern kann: Bortolotti testete bereits Formel-1-Rennwagen von Ferrari, Toro Rosso und Williams!

2008 durfte er als Belohnung für den Gewinn der Italienischen Formel-3-Meisterschaft den Ferrari F2008 testen, mit dem Kimi Räikkönen und Felipe Massa die Konstrukteurs-WM gewonnen hatten. Nicht zuletzt ein neu aufgestellter Rundenrekord in Fiorano überzeugte Dr. Helmut Marko, Bortolotti ins Junior-Team von Red Bull aufzunehmen. Die Folge war ein weiterer F1-Test im Toro Rosso STR4 Ende 2009 in Jerez. Den dritten Einsatz erhielt Bortolotti 2011 bei Williams in Abu Dhabi, nachdem er dominant die Formel-2-Meisterschaft gewonnen hatte.

Warum es damals nicht mit einem Stammcockpit in der Formel 1 klappte, erklärte Bortolotti im Jahr 2013 gegenüber Motorsport-Magazin.com so: "Im Singleseater-Bereich habe ich alles erreicht, was ich erreichen konnte. Ich habe den Formel-3-Titel und den Formel-2-Titel geholt, bei den Formel 1-Testfahrten, die ich machen durfte, habe ich mich gut präsentiert. Wir wissen alle, dass viele Faktoren mitspielen müssen, um in die Formel 1 zu kommen. Die haben leider für mich nicht mitgespielt. Deshalb habe ich mich nach einer Alternative umsehen müssen, das war für mich der Tourenwagensport."

Bortolotti 2008 beim Ferrari-Test in Fiorano, Foto: Ferrari
Bortolotti 2008 beim Ferrari-Test in Fiorano, Foto: Ferrari

Mirko Bortolotti: Zweiter Karriereweg

Damals trafen wir Bortolotti, der nach 2011 sogar kurz über ein Ende seiner Karriere sinniert haben soll, bei einem Rennen der kaum bekannten Renault Eurocup Megane Trophy, die im Rahmen der einst wichtigen World Series by Renault gastierte. Den Markenpokal dominierte Bortolotti nach Belieben mit acht Siegen, elf Podestplätzen und 13 Pole Positions in den 15 Rennen.

Nebenan im Fahrerlager der 3,5-Liter-Formelboliden ebneten parallel die Top-3 der Renault World Series, Kevin Magnussen (heute Formel 1), Stoffel Vandoorne (von Formel 1 in Formel E) und Antonio Felix da Costa (heute Formel E), ihren weiteren Karriereweg im Singleseater-Bereich...

Mit Ausnahme einer Saison in der höchst kurzlebigen Nationen-Formelserie Formula Acceleration 1 - Bortolotti wurde 2014 Vize-Meister hinter Teamkollege Nigel Melker, weil er das Finale ausließ - eröffnete der GT-Sport den zweiten Karriereweg.

Bortolotti 2009 auf dem Weg zum zweiten Formel-1-Test, Foto: F3 EuroSeries
Bortolotti 2009 auf dem Weg zum zweiten Formel-1-Test, Foto: F3 EuroSeries

2011: Bortolotti beim DTM-Test mit Rast und Co.

Übrigens: Einen DTM-Test absolvierte Bortolotti schon Ende 2011, damals für Audi im spanischen Monteblanco. Das Cockpit für 2012 im Audi A5 erhielt Rennfahrer-Sohn Adrien Tambay. Bortolotti ging ebenso wie ein gewisser Rene Rast, der auch am Hersteller-Test teilnahm, leer aus...

Gut zehn Jahre später sind sowohl Bortolotti als auch Rast wieder in der DTM am Start. Und wenig überraschend liefert Bortolotti im GT3-Lambo auf allen Ebenen ab. Motorsport-Magazin.com betitelte ihn zuletzt als den "Spannungs-Macher der DTM", weil es stets Bortolotti war, der in den eher unspektakulären Rennen für Furore sorgte.

Auch mal gezwungenermaßen, wie in Imola, als er wegen falsch registrierter Reifen vom 16. Platz starten musste und die Ziellinie als Dritter überquerte. Oder beim Saisonstart in Portimao, als ihm in Führung liegend ein Problem mit der Benzinzufuhr dazwischenfunkte, er auf den vierten Platz zurückfiel und in der letzten Runde einen Podestplatz zurückeroberte.

Zu Viel 'Spannung' sollte es aber bitteschön auch nicht sein. Am Norisring wurde er nachträglich vom 1. Qualifying disqualifiziert statt im Rennen (Ausfall) von P7 zu starten, weil er nicht zum obligatorischen Wiegen erschienen war. Derartige Fehler sollten sich im möglichen Titel-Fight nicht wiederholen - dann kann Gerhard Berger am Ende der Saison vielleicht wirklich zum ersten Mal in der langen DTM-Geschichte einen "Österreicher" als Meister verkaufen...