Die 24 Stunden von Le Mans 2023 boten nicht nur ein spektakuläres Rennen, sondern waren ebenso der 'Place to be'. Konzernchefs, Vorstandsmitglieder und Entscheider der Automobilbranche gaben sich im Fahrerlager oder in den schicken Hospitalities der fünf Hersteller Cadillac, Ferrari, Peugeot, Porsche und Toyota im Akkord die Klinke in die Hand.

Zu diesem Reigen zählt auch Linda Jackson, seit Januar 2021 Global CEO von Peugeot. Die Britin wollte sich die Le-Mans-Rückkehr der Marke mit dem Löwen im Wappen nicht entgehen lassen und verfolgte das Renngeschehen mit großem Interesse. Jackson wurde Zeugin der ersten Führungsrunden der 9X8-Hypercars, die am Ende die Plätze acht sowie zwölf belegten, und war sogar eine ganze Weile nach dem Rennende noch vor Ort, um sich bei den Teammitgliedern der Peugeot-Werksmannschaft zu bedanken.

Motorsport-Magazin.com hatte während des laufenden Rennens am Sonntagvormittag die Gelegenheit zu einem Exklusiv-Interview mit der vielgefragten Peugeot-Chefin, die deutlich mehr Motorsport-Expertise durchblicken ließ als man es vom Konzernboss eines großen Autoherstellers üblicherweise gewohnt ist.

Frau Jackson, wie nehmen Sie hier vor Ort die Atmosphäre und das Rennen bei den 24 Stunden von Le Mans wahr?
Linda Jackson: Es ist großartig und erstaunlich, dass mehr als 300.000 Menschen das Rennen entlang der Strecke verfolgen. In der Nacht auf Sonntag habe ich den Livestream am Peugeot-Stand im Fan-Village verfolgt und war beeindruckt, wie viele Leute dort Peugeot so richtig angefeuert haben. Das war einfach schön zu erleben und hat mir einen guten Eindruck über die wahren Peugeot- und Motorsport-Fans verschafft. Dass wir das Rennen eine Weile angeführt haben - wow! Das war absolut brillant. Als die Nummer 1 neben unserem Auto stand, habe ich ein Handy-Foto vom Bildschirm gemacht, quasi mein persönliches Souvenir. Mit beiden Autos weiter im Rennen zu sein, ist ein Beleg für das Talent der Fahrer, der Ingenieure und der Mechaniker.

Peugeot-CEO Linda Jackson im Gespräch mit MSM-Reporter Robert Seiwert, Foto: Motorsport-Magazin.com
Peugeot-CEO Linda Jackson im Gespräch mit MSM-Reporter Robert Seiwert, Foto: Motorsport-Magazin.com

Hatten Sie damit im Vorfeld des Rennens gerechnet?
Linda Jackson: Wir hatten vor dem Rennen keine Erwartungshaltung. Wir sind nicht arrogant und wissen, dass es dieses Jahr darum geht, weiter zu lernen. Ich meine, in der Vergangenheit gab es Hersteller, die 20 Jahre bis zum ersten Sieg warten mussten. Wir haben mehr auf die Zusammenarbeit des Teams und die Zuverlässigkeit unserer Autos geachtet. Wir konnten Rennen für Rennen sehen, dass sie immer standfester wurden. Wir hatten uns ja bewusst für den Bau eines Rennwagens nach dem LMH-Hypercar-Konzept entschieden und es braucht Zeit, um all die selbstentwickelten Komponenten zusammenzubringen.

Können wir nach den Eindrücken in Le Mans sagen, dass der Motorsport sehr lebendig ist?
Linda Jackson: Ja, absolut! Und über den Motorsport wollen wir für Peugeot eine Verbindung auf zwei Arten schaffen. Erstens, wollen wir die auf der Rennstrecke erlangten Kenntnisse über die Reifen, Batterien oder Elektrifizierung in unsere Straßenautos einfließen lassen. Beispielsweise arbeiten an unserem Peugeot 508 PSE die gleichen Ingenieure und Designer, die auch in unserem Motorsportprogramm involviert sind. Zweitens, geht es um das Image und die Wahrnehmung der Marke Peugeot. Dieses Rennen verfolgen Menschen aus aller Welt. Und dass die WEC für die nächste Saison ein Rennen in Sao Paulo in ihren Rennkalender aufgenommen hat, ist fantastisch für uns. Wir sind eine globale Marke und auch in Brasilien stark aufgestellt. Und natürlich geht es um Emotionen, die durch das Rennfahren bei den Menschen ausgelöst werden. Nicht zuletzt, weil wir wohl eines der am besten aussehenden Hypercars im Starterfeld haben.

Oh, Sie als Konzernchefin kennen sogar den Rennkalender der WEC. Dürfen wir annehmen, dass Sie Motorsport-Fan sind?
Linda Jackson: Zunächst einmal ist es wichtig für mich, dass unsere Marke mit unserem Motorsportengagement in Verbindung gebracht wird. Das wird manchmal etwas voneinander getrennt. Ich persönlich wusste nicht allzu viel über die Langstrecken-Weltmeisterschaft, bis ich 2021 zu Peugeot gekommen bin. Als unser Hypercar seine allerersten Meter auf einer Teststrecke drehte, war ich den ganzen Tag vor Ort. Am meisten beeindruckte mich die Größe der Operation. Ich war ehrlicherweise davon ausgegangen, dass ein paar Ingenieure und der eine oder andere Fahrer vor Ort sein würden. Es war aber viel größer, und das hat mich fasziniert. Ich habe keinen Ingenieurs-Hintergrund, ich komme aus dem Marketing und Verkauf. Und so musste mir Jean-Marc Finot (Stellantis-Motorsportdirektor) die Technik auf möglichst einfache Weise erklären. Ich habe gelernt, wie kompliziert der Motorsport ist und bin fasziniert, wie viele Variablen eine wichtige Rolle spielen. Ob Reifenwahl oder Boxenstoppstrategien, einfach faszinierend!

Peugeot startet mit dem 9X8-Hypercar in der WEC und bei den 24h Le Mans, Foto: Peugeot
Peugeot startet mit dem 9X8-Hypercar in der WEC und bei den 24h Le Mans, Foto: Peugeot

Und Sie haben mit Paul Di Resta, Jean-Eric Vergne, Nico Müller, Loic Duval, Mikkel Jenson und Gustavo Menezes internationale Top-Fahrer und Champions im WEC-Aufgebot. Eine Sache vermissen wir dabei allerdings. Können Sie sich vorstellen, was?
Linda Jackson: Eine Rennfahrerin!

Korrekt. Etwas schade, oder?
Linda Jackson: Ja, das ist in der Tat schade. Ich habe hier das Team 'Iron Dames' (Rahel Frey, Michelle Gatting, Sarah Bovy im #85 GTE-Porsche; d. Red) getroffen. Und es wäre toll, eine Rennfahrerin im Team zu haben. Wir suchen nach einer Rennfahrerin, die auf dem gleichen fantastischen Level performt wie unsere sechs Peugeot-Fahrer.

Würden Sie sich persönlich dafür einsetzen?
Linda Jackson: Absolut! Das ist für mich und auch für das Unternehmen wichtig. Peugeot ist Teil der Stellantis-Gruppe, zu der 14 Marken gehören und für die Menschen aus über 140 Nationen arbeiten. Diversität ist ein wichtiges Thema und wir wollen Frauen genauso in unseren unterschiedlichen Bereichen unterstützen, um für eine Vielfalt zu sorgen. Es gibt ja auch nicht viele weibliche Unternehmens-CEOs, und das würde ich gerne ändern.

Peugeot-Rückkehr zu den 24h Le Mans mit zwei 9X8-Hypercars, Foto: Peugeot
Peugeot-Rückkehr zu den 24h Le Mans mit zwei 9X8-Hypercars, Foto: Peugeot

In der Automobilbranche kann man weibliche CEOs locker an einer Hand abzählen. Sie gelten als Vorbild für Frauen in der Autowelt. Erfüllt Sie das eher mit Stolz oder Druck?
Linda Jackson: Ich möchte nicht arrogant oder eingebildet wirken. Wenn Frauen aber sehen, dass ich es in diese Position geschafft habe, hilft das hoffentlich ein Stück weit, dass mehr Frauen in die Automobilbranche und auch in den Motorsport einsteigen. Wir sprechen über 'Glass Ceiling' und solche Dinge. Wer aber hart arbeitet, sollte die gleichen Chancen haben wie alle. Wenn ich auf meine eigene kleine Art dabei helfen kann, dass mehr Frauen in die Industrie kommen, dann ist das gut. 50 Prozent meiner potenziellen Kunden auf der Welt sind weiblich. Warum sollte ich es dann nicht begrüßen, wenn mehr Frauen in der Autowelt engagiert sind? Laut einer britischen Studie von vor ein paar Jahren steckt hinter der Entscheidung, ein Auto zu kaufen, zu 95 Prozent eine Frau. Wie sich die Autobranche verändert und Dinge wie der Kundenservice und die Verbindung zum Kunden immer wichtiger werden, können ganz besonders Frauen von ihren Soft Skills profitieren.

Die absolute Dominanz männlicher Rennfahrer ist im Motorsport die eine Sache. Wenn wir uns im Fahrerlager umschauen, wirken Ingenieurinnen oder Mechanikerinnen immer noch wie Einhörner. Setzen Sie sich in solchen Bereichen auch bei Peugeot ein?
Linda Jackson: Ja, auch dafür setzen wir uns ein. Innerhalb der Organisation haben wir einige Fabrikleiterinnen, was eher ungewöhnlich ist. Ich gebe Ihnen Recht, es geht nicht nur um die Fahrer und die 'Gesichter' eines Rennteams, sondern um alle möglichen Positionen innerhalb einer Mannschaft. Warum sollte es denn keine Ingenieurinnen im Motorsport geben? Wir sollten sie dabei unterstützen, einzusteigen, weil das eine absolut spannende Umgebung ist. Und wenn wir über Ingenieursarbeit sprechen, dann sprechen wir ebenso über Software, Digitalisierung, Datenanalyse oder Rennstrategien. Kurz gesagt, wir brauchen mehr Frauen im Motorsport!

Peugeot 9X8 ohne Heckflügel: Eines der auffälligsten Hypercars, Foto: LAT Images
Peugeot 9X8 ohne Heckflügel: Eines der auffälligsten Hypercars, Foto: LAT Images

Kann und darf sich eine Automarke wie Peugeot den Rennsport angesichts unterschiedlicher Krisen und Herausforderungen heutzutage überhaupt noch erlauben?
Linda Jackson: Ich würde nicht hier sitzen, wenn ich das Gefühl hätte, dass es nicht richtig wäre, zu investieren. Wir haben uns für die Langstrecken-Weltmeisterschaft entschieden, weil hier Hybrid-Rennwagen an den Start gehen. In Zukunft könnten es auch andere Antriebskonzepte sein, aber es passt zur Strategie von Peugeot, bis zum Jahr 2038 CO2-neutral zu sein. Und dann gibt es die reine Business-Seite, bei der man sich die Frage stellt, was so ein Engagement bringt und ob es Sinn ergibt. Wir haben hier ein enormes Ausstellungsfenster, um Peugeot in der gesamten Welt zu zeigen. Die Berichterstattung von Medien wie Ihnen, dem Fernsehen oder den sozialen Netzwerken ist enorm. Ebenso können wir die Engineering-Skills und Design-Fähigkeiten unserer Marke unter Beweis stellen. Wenn man all das zusammenrechnet, dann ist der Return on Investment vorhanden. Es stimmt, dass sich Hersteller in den aktuellen Zeiten genau anschauen, wo sie ihr Geld investieren. Wir haben uns entschieden, zu 100 Prozent in die Langstrecken-Weltmeisterschaft zu investieren, und in keinen anderen Sport. Wenn man sich auf so etwas einlässt, bin ich der Meinung, dass man den vollen Fokus darauf richten muss.

Peugeot beendete die 24h Le Mans 2023 auf den Plätzen acht und zwölf, Foto: Peugeot
Peugeot beendete die 24h Le Mans 2023 auf den Plätzen acht und zwölf, Foto: Peugeot

Eine letzte Frage, während wir hier sitzen und die lauten Motorengeräusche auf der Strecke hinter uns hören: Ist Ihnen bewusst, wie wichtig der Klang eines Rennautos oder Straßenwagens für viele Menschen ist?
Linda Jackson: Das hängt davon ab, ob Sie ein Autorennen wie dieses hier besuchen, oder ob Sie in den Urlaub fahren wollen. Wenn man in den Urlaub oder einfach von der Arbeit nach Hause fährt, kommt ein bisschen Ruhe durch ein Elektroauto doch ganz gelegen, oder? Ich würde Ihnen ebenso zustimmen, dass der Sound der Rennwagen hier zur Spannung und Unterhaltung beiträgt. Vielleicht müssen wir einen besonderen Sound kreieren, wenn der Motorsport weiter in Richtung der Elektrifizierung schreitet. Das klingt nach einer guten Idee.