Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 2023 gilt weltweit als riesengroßer Erfolg und erzielte eine Aufmerksamkeit wie seit vielen Jahren nicht mehr. Beim knappen Sieg von Rückkehrer Ferrari über die Dauersieger von Toyota schwingt allerdings weiterhin eine Diskussion mit, auf die die Verantwortlichen des Le-Mans-Veranstalters ACO und der FIA wohl lieber verzichtet hätten: Wirbel um die Balance of Performance.

Die überraschende und kurzfristige Änderung der BoP durch das WEC-Komitee nur zehn Tage vor dem wichtigsten Autorennen der Welt hat im Hintergrund für mächtig Ärger gesorgt. Während die Zuschauer - 325.000 allein in Le Mans vor Ort - ein abwechslungsreiches Rennen erlebten, in dem alle fünf Hersteller zu einem Zeitpunkt ihre Führungsrunden sammelten, brodelte es mächtig bei Toyota.

24h Le Mans: Führungsrunden der Hypercar-Teams

AutoFahrerFührungsrunden
#51 Ferrari 499PPier Guidi, Calado, Giovinazzi175
#8 Toyota GR010Buemi, Hartley, Hirakawa95
#94 Peugeot 9X8Duval, Menezes, Müller34
#50 Ferrari 499PFuoco, Molina, Nielsen13
#2 Cadillac V-SeriesBamber, Lynn, Westbrook9
#38 Porsche 963Ye, Felix da Costa, Stevens8
#75 Porsche 963Nasr, Jaminet, Tandy5
#5 Porsche 963Cameron, Christensen, Makowiecki3

Toyota schwerstes Auto in Le Mans

Der Autobauer aus Japan war am stärksten von der neuen Einstufung betroffen und musste 37 Kilogramm mehr im Vergleich zum vorangegangenen WEC-Lauf in Spa einladen. Auch die Ferrari (+24 kg), Porsche (+3 kg) und Cadillac (+11 kg) erhielten Zusatzgewicht, während die zuvor unterlegenen Peugeot sowie die Privatiers Glickenhaus und Vanwall/ByKolles als einzige Vertreter in der Hypercar-Klasse verschont blieben.

Der Toyota GR010 Hybrid, der die ersten drei WEC-Rennen der Saison zum Teil dominant gewonnen hatte, war in Le Mans mit 1.080 Kilogramm das schwerste Auto im gesamten Feld und brachte 16 Kilo mehr auf die Waage als der siegreiche Ferrari 499P. Ferrari setzte sich bereits im Qualifying mit der Doppel-Pole durch und schaffte es als einziger Hersteller in Form von Pole-Setter Antonio Fuoco, die 1:23er-Marke auf dem 13,626 Kilometer langen Circuit de la Sarthe zu knacken.

Toyota-Spitze während ACO-Pressekonferenz

Wie tief der Frust bei Toyota angesichts der kurzfristigen Änderungen - die ursprünglich überhaupt nicht eingeplant waren, weil die BoP für Le Mans bereits im März kommuniziert worden war - wirklich saß, geht aus einem Interview hervor, das erst im Nachgang zu den 24 Stunden von Le Mans von internationalen Medien aufgegriffen wurde und für weitere Schlagzeilen sorgte.

Auf der von der von Toyota Motor Corporation herausgegebenen, japanischen Webseite 'Toyota Times' meldete sich nach dem Qualifying ausgerechnet Akio Toyoda, bis April CEO von Toyota und seitdem Chairman des Unternehmens, zu Wort. Der 67-Jährige hatte bereits auf großer Bühne während der traditionellen ACO-Pressekonferenz am Freitagmorgen eine süffisante Spitze gegen die BoP-Änderung gesetzt und damit für großes Gelächter unter den Anwesenden gesorgt - darunter Wirtschaftsbosse, Hersteller-Vorstände und Motorsportverantwortliche.

Bei der Vorstellung des neuen Wasserstoff-Verbrenner-Rennwagens nutzte Herr Toyoda die willkommene Gelegenheit, gegen die Balance of Performance zu sticheln. Insider hatten im Vorfeld sogar spekuliert, dass der Japaner deutlich drastischere Worte finden könnte. "Einer der größten Vorteile von Wasserstoff-Rennwagen ist, wie leicht sie sind", sagte Toyoda mit Blick auf das eigene Konzeptfahrzeug, und fügte mit einer Kunstpause sowie erhobenem Zeigefinger an: "Weniger BoP."

24h Le Mans 2023: Zusammenfassung und Video-Highlights (10:01 Min.)

Akio Toyoda: "Gegen Politik verloren"

Während es Toyoda, leidenschaftlicher Motorsport-Fan und Starter bei zahlreichen 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, auf der ACO-Bühne bei dieser Bemerkung beließ, fand er auf Nachfrage der 'Toyota Times' klarere Worte und hielt sich mit seinen Gedanken über die BoP weniger vornehm zurück.

"Als ich das Qualifying sah, dachte ich: Ich habe gegen die Politik verloren", wurde Akio Toyoda auf der japanischen Version der Webseite zitiert, auf die er selbst in seinem offiziellen Instagram-Profil verlinkt. Und weiter: "Ich und mein Team werden unser Bestes geben, um gegen eine scheinbar unfaire Politik anzukämpfen."

Übersetztes Statement von Akio Toyoda auf 'Toyota Times'

Auf die Frage von 'Toyoda Times' einen Tag vor dem Rennstart, was Akio Toyoda von der Balance of Performance beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans halte, wurde er mit folgenden Worten zitiert:

"'Wollt ihr wirklich so weit gehen und dem anderen Team den Sieg überlassen', dachte ich... Jeder in unserem Team denkt so und es gibt vielleicht viele Fans, die auch so denken."

"Audi hat sich 2016 zurückgezogen, Porsche ist seit 2018 verschwunden, und nur Toyota blieb in der Spitzenkategorie von Le Mans und kämpfte. Wir haben uns in diesem Jahr wirklich über die Rückkehr anderer Hersteller gefreut."

"Das, was wir tun, ist 'Sport, bei dem Athleten kämpfen'. Das ist Motorsport. Es ist definitiv keine motorisierte 'Politik', die den Starrsinn der Hersteller offenlegt! Ich möchte sagen, dass ich wollte, dass Fahrer, Ingenieure und Mechaniker an einem Ort Rennen fahren, der auf die nächsten 100 Jahre vorausschaut. Als ich das Qualifying sah, dachte ich: 'Ich habe gegen die Politik verloren'."

"Im Gegensatz zur Qualifikation, bei der es um die Rundenzeit geht, dauert das eigentliche Rennen 24 Stunden. Ich und mein Team werden unser Bestes geben, um gegen eine scheinbar unfaire Politik anzukämpfen. Das habe ich Kamui (Kobayashi), dem Teamrepräsentanten, und allen im Team gesagt. Ich möchte, dass die Fans das Team sehen, wie es sich offen und unverblümt dem Kampf stellt."

"Wie auch immer... Ich möchte mich nicht auf einen geschlossenen politischen Kampf einlassen, den niemand sehen kann. Ein offener Ort, an dem alle zuschauen... Ich möchte, dass ihr seht, wie wir vor den Auto-liebenden Fans kämpfen."

"In der Welt des Sports sollten die Menschen meiner Meinung nach niemals sagen: "Ist das das, was du wolltest, dass ich tue, um zu gewinnen?" Rivalen kämpfen ernsthaft gegeneinander... Ich denke, darum geht es im Sport, und ich bin sicher, dass die Fans so etwas sehen wollen... Sonst kann es keine Begeisterung geben."

Übrigens: Laut Artikel 6.3.1 des Sportlichen Reglements der WEC ist es allen Teilnehmern verboten, "die Festlegung der BoP zu beeinflussen oder sich zu den Ergebnissen zu äußern, insbesondere durch öffentliche Aussagen, in den Medien und in sozialen Netzwerken". Andernfalls drohen vor, während oder nach einem Wettbewerb Strafen durch die Sportkommissare, die im Regelbuch nicht näher beschrieben werden...

24h Le Mans 2023 Ergebnis: Top-5 aller Klassen

Hypercar

Pos.AutoFahrerRückstand
1#51 FerrariPier Guidi, Calado, Giovinazzi342 Runden
2#8 ToyotaBuemi, Hartley, Hirakawa1:21.793 Minuten
3#2 CadillacBamber, Lynn, Westbrook+1 Runde
4#3 CadillacBourdais, van der Zande, Dixon+2 Runden
5#50 FerrariFuoco, Molina, Nielsen+5 Runden

LMP2

Pos.AutoFahrerRückstand
1#34 Inter EuropolSmiechowski, Scherer, Costa328 Runden
2#41 WRTAndrade, Delétraz, Kubica+21,015 Sekunden
3#30 DuqueineBinder, Jani, Pino+1 Runde
4#36 AlpineVaxiviere, Milesi, Canal+1 Runde
5#31 WRTGelael, Habsburg, Frijns+1 Runde

LMGTE-Am

Pos.AutoFahrerRückstand
1#33 Corvette RacingKeating, Varrone, Catsburg313 Runden
2#25 TF Aston MartinAl Harthy, Dinan, Eastwood+1 Runde
3#86 GR Racing PorscheWainwright, Barker, Pera+1 Runde
4#85 Iron Dames PorscheBovy, Gatting, Frey+1 Runde
5#54 AF Corse FerrariFlohr, Castellacci, Rigon+1 Runde