Ein kleines Hotelzimmer nahe der Rennstrecke, die Sonne ist schon längst untergegangen. Der Motorensound klingt noch ein wenig im Ohr nach. Zahlen aus der Datenanalyse mit dem Renningenieur schwirren im Kopf umher, der Helm und die Handschuhe sorgfältig auf der Kommode abgelegt. Ein paar Bücher, ein Laptop auf dem Schreibtisch. Seite 143, 'Advanced International Economics, Kapitel 3'. Tagsüber saß er noch im engen Cockpit des 460 PS starken Cup-Porsche, fuhr am Limit, Adrenalinrausch pur. Jetzt trockener Lernstoff, Pauken für die Prüfung am Montagmorgen direkt nach dem Rennwochenende.

Es ist die Welt von Jeffrey Schmidt, dem 21-jährigen Nachwuchspiloten aus der Schweiz. Beruf: Rennfahrer. Nebenbei, und doch mittendrin: Wirtschaftsstudent an der Uni Basel. "Meine Professoren kennen mich gar nicht, glaube ich", sagt er. "Ich bin ja fast nie im Vorlesungssaal. Zum Glück haben wir keine Anwesenheitspflicht." Während andere Studenten den Tag gemütlich bei einem Bier ausklingen lassen, checkt Jeffrey sein Smartphone. Boarding abends um 19:10 Uhr, der Flug zum Rennwochenende geht planmäßig. Ein Glück, Verspätungen kann er sich bei seinem straffen Programm kaum leisten.

Fokus: 100 Prozent, Foto: Porsche Motorsport
Fokus: 100 Prozent, Foto: Porsche Motorsport

Aus der Uni ins Rennauto: Schmidt führt ein Doppelleben. Was treiben Rennfahrer eigentlich abends an der Rennstrecke, fragen sich viele Fans. Bei Jeffrey ist die Antwort klar: Büffeln für die nächsten Prüfungen, den verpassten Stoff aufholen. "Das Studium neben dem Spitzensport zu handeln, ist nicht einfach", sagt er. "Auf der Uni herrscht ein hohes Niveau, da muss man bei der Sache sein. Ich habe meist nur kleine Zeitfenster, deshalb sitze ich an den Rennwochenenden abends im Hotel und lerne."

Das kleine Zeitfenster ist bedingt durch Jeffreys Dreifachprogramm. Das dritte Jahr im Porsche Carrera Cup, dazu die erste volle Saison im Porsche Supercup und über den Winter startet er in der Porsche GT3 Cup Challenge Middle East. Macht unterm Strich 20 Rennwochenenden, zeitweise mit einem wahren Mammutprogramm. Hockenheim, Barcelona, Nürburgring-Nordschleife, Monaco, Lausitzring - innerhalb von 30 Tagen startete der junge Nachwuchspilot an fünf aufeinanderfolgenden Rennwochenenden. Im Sommer der nächste Porsche-Marathon, von Ende Juni bis Ende August standen ganze sieben Rennveranstaltungen in halb Europa auf dem Plan. Und dazu die Klausuren an der Uni. Dauerstress, um sowohl auf als auch neben der Rennstrecke erfolgreich zu sein.

Halbe Sachen gibt es bei Jeffrey Schmidt nicht, Foto: Porsche
Halbe Sachen gibt es bei Jeffrey Schmidt nicht, Foto: Porsche

Ob er es manchmal bereut, neben dem Vollzeitjob als Rennfahrer auch noch zu studieren? Jeffrey hält kurz inne. Dann sagt er: "Längerfristig macht es schon Sinn, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Bei jedem Spitzensportler ist die Chance groß, dass er sein Geld irgendwann einmal in einem ganz normalen Job verdient."

Während manch Jugendlicher schon angesichts eines Mini-Jobs während des Studiums aufstöhnt, meistert Schmidt ein echtes Vollgas-Leben. Beim Carrera Cup-Wochenende auf dem Nürburgring eroberte er die Meisterschaftsführung, punktete auch schon im Supercup gegen die etablierte Konkurrenz. Ständiger Erfolgsdruck im Rennauto, dazu der Uni-Stress. Freizeit? Abgehakt. Von einem normalen Privatleben hat sich der junge Mann schon lange verabschiedet.

"Es ist viel Arbeit", gibt er zu. "Aber ich nehme das gern in Kauf - ich weiß ja, wofür ich es mache. Um es im Sport ganz nach oben zu schaffen, brauchst du nicht nur Motivation, sondern auch Spaß. Das Gefühl, mal keinen Bock zu haben, kam bei mir noch nie auf. Manchmal wünsche ich mir nur, dass ein Tag mehr als 24 Stunden hat..."

Wenn er nicht gerade Rennen fährt und fürs Studium ackert, bastelt Jeffrey Pressemappen oder organisiert Sponsoren-Events. Einen Manager - wie so viele junge Rennfahrer heutzutage - hat er nämlich nicht. Wenn man alles selber macht, weiß man auch, was man hat, sagt er. Und fügt an: "Das ist eine gute Schule fürs Leben. Ich stand schon als kleiner Junge im Hemd vor Firmenchefs, musste um Sponsorings bitten und mir gute Konzepte ausdenken. Ich kenne es eigentlich gar nicht anders."

Ganz verkehrt wäre ein Manager manchmal nicht, räumt Jeffrey dann doch ein. Einer mit Erfahrung und den nötigen Kontakten im Motorsport-Business. Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen klar wird, dass Jeffrey doch erst 21 Jahre jung ist. Dann sagt er hastig: "Es müsste aber einer sein, der nicht nur labert, sondern auch liefert." Eben so wie er selbst.

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