Mehr als drei Jahrzehnte war Mike Leitner fester Bestandteil des MotoGP-Paddocks. Zunächst als aktiver Rennfahrer, dann als Techniker an der Seite von Stars wie Dani Pedrosa und zuletzt als Team-Manager bei KTM. Nach der Saison 2021 zog sich Leitner aus der Motorrad-Weltmeisterschaft zurück und verfolgt das Geschehen nun als interessierter Beobachter.

Immer wieder stattet der Österreicher seiner ehemaligen beruflichen Heimat aber gerne einen Besuch ab. So auch am Sachsenring, wo Motorsport-Magazin.com Leitner zum spontanen Interview über die Zukunft der MotoGP traf.

Mike Leitner legte den Grundstein für das KTM-MotoGP-Projekt, Foto: KTM
Mike Leitner legte den Grundstein für das KTM-MotoGP-Projekt, Foto: KTM

Motorsport-Magazin.com: Hallo Mike, schön dich wieder einmal im Fahrerlager zu sehen. Du verfolgst die MotoGP ja auch nach deinem Rückzug noch sehr genau. Welche Entwicklungen sind dir in der ersten Saisonhälfte 2023 besonders ins Auge gestochen?
Mike Leitner: Die extremen Geschwindigkeiten! Das ist verrückt und ein Bereich, in dem die Regelhüter meiner Meinung nach reagieren sollten. Wenn hier nicht die Handbremse gezogen wird, dann sind wir bald bei 370 km/h oder mehr (Brad Binder stellte in Mugello mit 366,1 km/h einen neuen Topspeed-Rekord auf, Anm.). Ich glaube nicht, dass in derartigen Dimensionen mit der komplexen Aerodynamik und den Ride-Height-Devices jeder Fahrer in den Bremszonen noch alles im Griff hat.

Jetzt gegenzusteuern ist aber schwierig. Die aktuelle Regelperiode läuft bis Ende 2026. In dieser Zeit wird es also kein Verbot der Ride-Height-Devices oder eine Beschneidung der Aerodynamik geben.
Mike Leitner: Das ist korrekt. Im Herstellerbund MSMA wird es für derartige Änderungen zu keiner Einigung kommen. Das ist ja auch in gewisser Weise richtig, weil die Hersteller viel Geld investieren und deshalb eine gewisse Planungssicherheit brauchen. Bis zum Ende der Regelperiode ist es aber noch lange hin und wenn diese Entwicklung so weitergeht, werden wir hier ein mächtiges Problem bekommen. Ich sehe aber trotzdem eine Lösung: Das Problem sind ja nicht unbedingt die Geschwindigkeiten an sich. Gefährlich wird es dort, wo die Sturzräume zu klein sind. Dafür reichen manchmal auch kurze Geraden. An solchen Stellen muss das Tempo reduziert werden.

Wie wäre das dann möglich?
Mike Leitner: In dem man nicht in das Technische, sondern in das Sportliche Reglement eingreift. Dafür braucht man die Zustimmung der Hersteller nicht. Meine Idee wäre die folgende: Man führt Verbotszonen für das Ride-Height-Device ein, denn diese Systeme haben einen wesentlichen Anteil daran, dass die MotoGP in den letzten Jahren so schnell geworden ist. In der Formel 1 darf das DRS ja auch nur in gewissen Bereichen der Strecke verwendet werden. Warum macht man also nicht in den kritischen Bereichen eine solche Verbotszone und reduziert die Geschwindigkeit so um ein paar km/h? Das könnte man im Sportlichen Reglement festlegen, wie etwa das Überholverbot unter Gelber Flagge. Das Ride-Height-Device muss ja schließlich vom Fahrer manuell aktiviert werden und funktioniert nicht automatisch. Durch diese Verbotszonen würde die Ingenieursleistung, die hinter den Ride-Height-Devices steckt, erhalten bleiben, aber man kann gewisse Spitzen abfedern.

MotoGP zu schnell: Was muss getan werden? (06:32 Min.)

Denkst du, dass sich die Einhaltung solcher Verbotszonen kontrollieren lässt?
Mike Leitner: Auf jeden Fall! Die Daten zeichnen eine Aktivierung des Ride-Height-Devices auf und es ist ja auch optisch klar zu erkennen, wenn sich das Heck einer Maschine absenkt. Ich kann dir garantieren: Wenn mehrere Piloten in einer Gruppe fahren, wissen sie ganz genau, wann ihre Gegner das System aktiviert haben.

Das ist auf jeden Fall eine sehr spannende Idee. Bist du verwundert, dass derartige Vorschläge von den MotoGP-Bossen gar nie zu hören sind?
Mike Leitner: Im Bereich der Streckenabsicherung wird ja viel getan. Die Motorräder sind aber so schnell, dass man in manchen Abschnitten einfach nicht die nötigen Sturzräume bieten kann - auch nicht durch Umbauten. Das könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass wir Strecken wie Mugello oder Jerez aus Sicherheitsgründen verlieren, was wirklich schlimm wäre. Der Ansatz sollte deshalb sein, in brenzligen Abschnitten das Tempo zu verringern. Dass ich selbst Rennfahrer war, hilft mir bei solchen Überlegungen sicher extrem. Für mich war auch in meiner Karriere als Techniker und Team-Manager die Sicherheit der Aktiven immer das Wichtigste. Dieser Sport ist ohnehin wahnsinnig gefährlich, da sollte man das Risiko nicht noch künstlich erhöhen. Stürze wird es immer geben, aber jetzt passieren sie eben bei sehr hohen Geschwindigkeiten. Die Vielzahl an Verletzungen in diesem Jahr spricht für sich. Und das ist für die gesamte MotoGP schlecht, denn wenn ich mir als Fan einen Grand Prix ansehe, dann will ich auch alle Fahrer am Start haben.

Viele Fahrer verpassten 2023 bereits Rennen verletzungsbedingt, Foto: LAT Images
Viele Fahrer verpassten 2023 bereits Rennen verletzungsbedingt, Foto: LAT Images

Blicken wir noch weiter in die Zukunft: Welche Änderungen würdest du dir für die nächste Regelperiode wünschen?
Mike Leitner: Über eine Beschneidung der Aerodynamik und ein Verbot der Ride-Height-Devices ab 2027 besteht meines Wissens nach größtenteils Einigkeit zwischen den Herstellern. Was ich mir noch wünschen würde - und was denk ich auch sehr gut zum aktuellen Zeitgeist passt - wäre eine Reduzierung der Spritmenge. Aktuell sind es ja 22 Liter, in der Vergangenheit waren es schon einmal 20 Liter. Das wäre sicherlich wieder machbar und ein Schritt, den man nach außen auch sehr positiv darstellen kann. Umso mehr, weil ja ab 2027 auch zu 100 Prozent mit E-Fuels gefahren wird.