Der 25. Oktober 1998 ging in die Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft ein. Im letzten Rennen der 250ccm-Saison kämpfen Loris Capirossi und Tetsuya Harada um den Titel. Eine Dreiergruppe mit den beiden WM-Anwärtern und einem damals erst 19-jährigen Valentino Rossi streitet sich um den Tagessieg. In der letzten Runde des Rennens kann sich die damals noch nicht weltberühmte Nummer 46 absetzen, Capirossi und Harada machen unter sich Platz zwei aus. Wer direkt hinter Rossi landet, holt sich den Titel. Es ist Harada, der sich im finalen Umlauf ein kleines Polster auf seinen Widersacher herausfahren kann und schon wie der sichere Weltmeister aussieht. Allerdings nur bis zur drittletzten Kurve. Da bremst Capirossi um Welten später als sein japanischer Aprilia-Kollege und rammt ihn von seiner Maschine. Harada liegt ihm Kies, während Capirossi weiterfahren kann und 250ccm-Weltmeister 1998 wird.

Ein Manöver, das für gewaltige Kontroversen sorgte. Bei vielen Beobachtern war Capirossi fortan alles andere beliebt und trotz weiterer 13 Saisons in der Motorrad-Weltmeisterschaft wurde der 165 Zentimeter kleine Italiener sein Image als überharter Zeitgenosse nie mehr so richtig los. Umso größer war die Verwunderung vielerorts, als Capirossi nach seinem Karriereende 2011 den Job des Sicherheitsberaters der MotoGP antrat.

Seither hat sich der mittlerweile 42-Jährige in dieser Position durch seine allseits geschätzte Arbeit viele Freunde gemacht. Eine Leistung, die bei diesem schwierigen Job im Spannungsfeld zwischen Fahrern, Streckenbetreibern, TV-Stationen und vielen anderen gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Capirossi selbst spielt die Schwierigkeiten im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com jedoch herunter: "Ich versuche immer mein Bestes, aber man kann es nie allen recht machen. Das verstehen die Leute dann aber meistens auch."

1998 rammte Capirossi im Kampf und den 250ccm-Titel seinen Kontrahenten Harada von seiner Maschine, Foto: Milagro
1998 rammte Capirossi im Kampf und den 250ccm-Titel seinen Kontrahenten Harada von seiner Maschine, Foto: Milagro

Capirossis Job ist ebenso schwierig wie vielfältig. Er arbeitet in zahlreichen verschiedenen Bereichen, das Ziel ist stets dasselbe: die Sicherheit aller Beteiligten zu erhöhen und das Risiko von folgenschweren Unfällen zu minimieren. Vier Themen stehen ganz oben auf der Liste von 'Capirex'.

Das Verhalten

Auf der Strecke war Loris Capirossi selbst kein Kind von Traurigkeit, wie das bereits geschilderte Manöver gegen Tetsuya Harada verdeutlicht. Nun lässt er als Sicherheitsberater und dadurch auch als Mitglied der Rennleitung seinen Nachfolgern ebenso einiges durchgehen, bevor er zusammen mit seinen Kollegen Strafen ausspricht. Als etwa in dieser Saison nach der Berührung zwischen Marc Marquez und Valentino Rossi in der letzten Kurve von Assen der Ruf nach härterem Durchgreifen bei solchen Manövern laut wurde, winkte Capirossi ab. "Das war natürlich ein hartes Manöver, aber auch Vale hat uns nachher gesagt, dass es nur ein leichter Kontakt war. Wir wollen alle sichere Rennen haben, aber minimale Berührungen müssen schon noch möglich sein", ist der dreifache Weltmeister überzeugt.

Während er bei harten Zweikämpfen also durchaus einmal Nachsicht walten lässt, treibt es Capirossi, angesprochen auf eine andere Situation, regelrecht die Zornesröte ins Gesicht. Es geht um die Bummelfahrten in den Qualifyings der Moto3. Immer wieder bewegt sich fast das gesamte Feld auf der Ideallinie und wartet auf einige wenige, schnelle Fahrer, um sich dann in deren Windschatten zu klemmen. Das sorgt nicht nur für sportlich unfaire, sondern oft auch gefährliche Situationen, wenn Piloten mit deutlich höherer Geschwindigkeit auflaufen. Viel wurde von Seiten Capirossis und seiner Kollegen unternommen, um dem Problem Herr zu werden, doch der Erfolg hielt sich bisher in bescheidenen Dimensionen. "Wir werden wohl nie eine endgültige Lösung finden", stellt er mit einem Kopfschütteln fest. "Wir haben den Fahrern in unzähligen Meetings immer wieder erklärt, wie sie sich zu verhalten haben. Dann sagen sie alle, sie haben es verstanden und zwei Wochenenden später ist wieder alles beim Alten." Ein leichter Fortschritt war im Laufe dieser Saison aber bereits zu erkennen. Vielleicht ist die Lösung des Problems ja nur eine Frage der Zeit.

Die Reifen

Ein Thema, das hingegen nicht auf die lange Bank geschoben werden kann, ist die Entwicklung der Reifen aus dem Hause Michelin. Die Franzosen übernehmen 2016 das MotoGP-Monopol von Bridgestone und bei den bisherigen Testfahrten zeigten sich die neuen Pneus alles andere als ausgereift. Selbst die großen Stars der Szene legten deshalb bereits heftige Abflüge hin. "Der Vorderreifen ist im Moment alles andere als perfekt", muss auch Capirossi feststellen. Er gibt zu bedenken, dass nicht mehr viel Zeit bleibe, um die Michelin-Slicks auf den gewünschten Stand zu bringen, schließlich erfolgt bereits am Tag nach dem diesjährigen Saisonfinale in Valencia der vollständige Wechsel von Bridgestone zu Michelin. Das werde den Fahrern die Arbeit dann aber auch erleichtern, glaubt Capirossi: "Aktuell müssen sie immer von Bridgestone zu Michelin und dann wieder zurück zu Bridgestone wechseln, aber die Reifen sind völlig unterschiedlich. Wenn man sich dann voll auf einen Hersteller einstellen und auch das Setup des Motorrads dementsprechend anpassen kann, ist das viel einfacher."

Michelin bringt auch eine Neuerung mit, die Capirossi als großen Fortschritt in puncto Sicherheit sieht. Erstmals in der MotoGP-Geschichte werden den Fahrern im kommenden Jahr Intermediate-Reifen zur Verfügung stehen. So soll die gefährliche Lücke zwischen Slicks und Regenreifen bei wechselnden Verhältnissen geschlossen werden.

Capirossi sieht den Verwendungsbereich der Intermediates in erster Linie im Qualifying, in Ausnahmesituationen könnten sie aber auch im Rennen zum Einsatz kommen. "Für die 15-minütigen Sessions Q1 und Q2 ist der Intermediate perfekt geeignet. Im Rennen macht eine Verwendung wohl nur bei Flag-to-Flag-Situationen Sinn, wenn man ein paar Runden auf trocknender Strecke bewältigen muss", glaubt der Sicherheitsbeauftragte.

Die Strecken

Egal wie vorbildlich sich die Piloten verhalten und wie sehr sie sich auf ihre Reifen verlassen können, Fehler werden immer passieren. Für diese Fälle ist es wichtig, dass die Rennstrecken der Motorrad-Weltmeisterschaft höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Kommen neue Austragungsorte in den Kalender, sorgen Capirossi und seine Kollegen bereits im Vorhinein dafür, dass alle möglichen Gefahrenherde ausgelöscht werden.

Der Kunstrasen in den Auslaufzonen in Aragon war 2014 für viele Stürze verantwortlich, Foto: Milagro
Der Kunstrasen in den Auslaufzonen in Aragon war 2014 für viele Stürze verantwortlich, Foto: Milagro

Doch auch Kurse, die sich schon lange im Kalender befinden, sind immer wieder Anpassungen unterworfen. Die Mauer am Ende der Start-Ziel-Geraden von Mugello etwa wurde nach Marc Maruqez' Horrorcrash im Jahr 2013 weiter zur Seite versetzt. Vor dieser Saison entfernte man, soweit es möglich war, auf allen Strecken den Kunstrasen in den Auslaufzonen, der beispielsweise 2014 in Aragon zu heftigen Unfällen führte. Diese Änderungen gestalten sich aber nicht immer ganz einfach, wie Capirossi verrät: "Wir müssen auch immer mit der FIA zusammenarbeiten, weil wir uns die vier Strecken in Barcelona, Austin, Silverstone und Sepang mit der Formel 1 teilen. Dort werden leider völlig andere Voraussetzungen benötigt, um die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten." Die Sicherheitsverantwortlichen der Formel 1 sind etwa Verfechter des angesprochenen Kunstrasens.

Für eine weitere streckenbezogene Gefahrenquelle sorgt die Formel 1 sogar höchstselbst. Die Bodenwellen, über die viele Motorradpiloten in Silverstone oder Barcelona immer wieder klagen, gehen größtenteils auf Kosten der F1-Boliden beziehungsweise deren Gewicht und Anpressdruck. Neuasphaltierungen wären die beste Lösung, sind aber nicht immer möglich. Capirossi hat dennoch eine Lösung parat. Er will die Bodenwellen mit einer eigens entwickelten Maschine abfräßen lassen. Ein System, das sich in diesem Jahr bereits in Assen bewährt hat.

Die Ausrüstung

Bei all den Fortschritten die Sicherheit betreffend hat Capirossi dennoch weiterhin ein großes Ziel. Er wünscht sich, dass in absehbarer Zeit alle Piloten mit Airbags in ihren Lederkombis ausgestattet sind. Aktuell wird dieses System, bei dem sich das Schutzpolster im Fall eines heftigen Abflugs automatisch mit Luft füllt, nur von den Herstellern Dainese und Alpinestars verwendet. Andere Marken haben aber bereits die Technik und das Know-how der beiden Pioniere gekauft und arbeiten nun daran, das System auch in ihre eigenen Lederkombis einzuarbeiten. "Es wäre toll, wenn bald kein Fahrer mehr ohne diese Airbags unterwegs wäre", wünscht sich der 328-fache Grand-Prix-Starter.

Mehr Hintergrundgeschichten im Motorsport-Magazin

Dieser Artikel stammt aus der Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin.com. Dort findet ihr ausführliche Interviews und exklusive Hintergrundgeschichten aus der Welt des Motorsports. Das Motorsport-Magazin ist ab sofort im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich. Oder bestellen Sie es am besten gleich online: