In der Formel E beginnt eine neue Zeitrechnung. Mit der Einführung des brandneuen Gen2-Rennwagens fällt der bisherige Autowechsel zur Rennmitte weg - eine große Herausforderung für Teams und Fahrer vor dem Saisonstart am 15. Dezember 2018 in Riad, Saudi-Arabien. Vor dem ersten Rennen erklärt Dr. Marco Warth, Director Corporate Advanced Engineering Mechatronics MAHLE, worauf es beim futuristischen 'Batmobil' wirklich ankommt.

Wieso genau engagiert sich MAHLE seit dieser Saison als Partner von HWA RACELAB in der Formel E?
Dr. Marco Warth: Wir engagieren uns an dieser Stelle, weil es zu unseren Produkten und unserem Unternehmen passt. Wir entwickeln und produzieren weltweit nachhaltige und innovative Lösungen für elektrisch angetriebene Fahrzeuge und decken die Bereiche Antriebsstrang, Thermomanagement, Leistungselektronik, Filtration und Innenraumklimatisierung mit einem breiten Produktportfolio ab.

Dr. Marco Warth mit dem Konzeptauto MEET (MAHLE Efficient Electric Transport), Foto: Kai R Joachim
Dr. Marco Warth mit dem Konzeptauto MEET (MAHLE Efficient Electric Transport), Foto: Kai R Joachim

Der Gen2-Rennwagen ist die erste technische Revolution in der Formel E, der Autowechsel während der Rennen entfällt. Was werden die größten Herausforderungen für das neue Auto sein?
Dr. Marco Warth: Durch die doppelte erforderliche Reichweite liegen die größten Herausforderungen beim Wirkungsgrad des gesamten Antriebsstrangs, sprich der Energiemenge in der Einheitsbatterie bis zur Vortriebskraft an den Rädern, sowie der Rekuperation der Bremsenergie. Hierbei ist es wichtig, die höchsten Wirkungsgrade in möglichst breiten Betriebsbereichen zu erreichen, egal ob bei Drehzahl, Last, Temperatur oder Batterieladezustand.

Das Gen2-Auto leistet bis zu 250 kW und damit 50 kW mehr als sein Vorgänger. Wie wird sich die höhere Leistung auf den Elektromotor und die Motorenkomponenten auswirken?
Dr. Marco Warth: Die Elektromaschinen werden tendenziell etwas größer im Bauraum und damit auch minimal schwerer. Da es sich bei den 250 kW jedoch um die Spitzenleistung im Qualifying handelt und im Rennen die Leistung auf 200 kW begrenzt wird, wird das Thermomanagement in Kombination mit der elektromagnetischen Auslegung der Elektromaschine noch wichtiger. Denn: um die kurzzeitige Leistungsspitze von 250 kW im Qualifying im kleinstmöglichen Bauraum darstellen zu können, muss zwingend die Elektromaschine in Kombination mit dem Getriebe und Differenzial als Gesamtes optimiert werden. Erste Resultate dieser Optimierung sehen die Zuschauer beispielsweise in der nochmals signifikant verbesserten Standardbeschleunigung der Fahrzeuge von 0-100 km/h, die jetzt unter 3 Sekunden liegen wird.

Neues Auto, Strecken & Teams - Alles zur Formel E Saison 2019 (15:34 Min.)

Was kann MAHLE speziell in der Formel E für die Entwicklung von Straßenautos lernen?
Dr. Marco Warth: Die Erfahrungen mit den Anforderungen an den elektrischen Antriebsstrang unter den harschen Bedingungen in Rennen liefern viele Erkenntnisse zum Verhalten einzelner Komponenten und Bauteile. Hierbei zeigte sich schon in der Vergangenheit, dass beispielsweise Wide Band Gap Semiconductors - Halbleiter mit breitem Bandabstand - aufgrund ihrer geringeren Verluste bei hohen Schaltfrequenzen auch für Antriebe in sportlichen Straßenautos sehr gut geeignet sind und in naher Zukunft zum Einsatz kommen werden.

Temperaturen sind ein großes Thema in der Formel E. Wie wichtig ist das richtige Thermomanagement rund um die Batterie?
Dr. Marco Warth: Das Thermomanagement entscheidet über Sieg oder Niederlage. Wenn aufgrund zu hoher Temperaturen im Antriebsstrang - von der Batterie über Elektromaschine und Leistungselektronik bis hin zu Getriebe - die Leistung reduziert werden muss, fehlen den Fahrern im Rennen die entscheidenden Zehntelsekunden pro Runde.

Dr. Marco Warth liefert Einblick in die komplexe Technik der Formel E, Foto: Kai R Joachim
Dr. Marco Warth liefert Einblick in die komplexe Technik der Formel E, Foto: Kai R Joachim

Thema Motoren-Belastung: Wo liegen die größten Unterschiede zwischen Formel E und Formel 1 Antrieben?
Dr. Marco Warth: Die Belastungen im Antriebsstrang setzen sich im Wesentlichen aus mechanischen, thermischen und elektrischen Lasten zusammen. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Lastprofile, beispielsweise aufgrund Renndauer, Dauerhaltbarkeitsanforderungen und Vibrationen, treten insbesondere im Bereich Verschleiß und Alterung natürlich große Unterschiede zwischen Verbrenner und E-Antrieb auf.

Was glauben Sie, in welche technische Richtung sich die Formel E in den nächsten Jahren entwickeln kann? Gibt es in Zukunft noch weitere Innovationsmöglichkeiten?
Dr. Marco Warth: Absolut, gerade im Bereich der Hochleistungsrekuperation von Energie bei Bremsmanövern oder längeren Renndauern liegen sicherlich noch viele Innovationsmöglichkeiten, ich nenne nur einmal "Ultra Fast Charging" als Stichwort. Auch der bidirektionale Transfer von Technologie aus der Formula E in die Serie und umgekehrt würde von den Entwicklungsschritten in diesen Bereichen weiter profitieren.

HWA aus Affalterbach steigt als neues Team in die Formel E ein, Foto: HWA
HWA aus Affalterbach steigt als neues Team in die Formel E ein, Foto: HWA

MAHLE engagiert sich seit vielen Jahrzenten im Motorsport, unter anderem in der Formel 1 und der NASCAR-Serie. Steht das nicht in einem Widerspruch zum neuen Engagement in der Formel E?
Dr. Marco Warth: Überhaupt nicht. Wir setzen unternehmensstrategisch gezielt auf einen dualen Ansatz und stellen uns generell technologisch breit auf. Der Antriebsmix der Zukunft ist divers, warum sollte es unser Engagement im Rennsport nicht auch sein?