Wie es im Inneren von Lucas di Grassi aussah, zeigte eine Szene unmittelbar nach seinem Ausfall beim Formel-E-Rennen in Chile am vergangenen Wochenende. Beim Versuch eines Kameramanns, den Audi-Piloten auf dem Weg in die Box zu filmen, drückte di Grassi dessen Kamera nach unten. Er wollte nicht mehr gefilmt werden. Und reden wollte der amtierende Champion erst recht nicht.

In den obligatorischen Interviews nach Rennende gab er sich schmallippig. Ungewöhnlich für di Grassi, der normalerweise immer ausführlich Rede und Antwort steht. Normal ist bei di Grassi, Audi und auch Teamkollege Daniel Abt seit dem Saisonbeginn allerdings gar nichts. Das Werksteam, als großer Favorit ins vierte Jahr der Formel E gestartet, erlebt einen katastrophalen Auftakt.

Das zeigt allein ein Blick auf die nackten Zahlen. In der Teammeisterschaft belegen die Ingolstädter nach vier von zwölf Rennen den geteilten vorletzten Platz. 12 Punkte hat Audi bislang gesammelt. Zum Vergleich: Spitzenreiter Techeetah hat nach dem Doppelsieg in Santiago 89 Zähler auf dem Konto.

Bei der Premiere der Formel E in Chile funktionierte bei Audi wieder einmal gar nichts, als es ernst wurde. Daniel Abt musste nach einem eher mittelmäßigen Qualifying aus dem dichten Mittelfeld starten. Nach wenigen Kurven wurde der Werkspilot von Landsmann Nick Heidfeld am Heck getroffen. Abt musste nach sieben Runden an die Box kommen und auf das zweite Auto wechseln. Für die 30 folgenden Umläufe hätte seine Energie nicht ausgereicht, Audi nahm ihn aus dem Rennen.

Nächster technischer K.o. bei di Grassi

Während Abt einmal mehr unverschuldet zurückgeworfen wurde, streikte bei Teamkollege di Grassi einmal mehr die Technik. Bis zu seinem Boxenstopp lag er auf dem fünften Platz, war schnell unterwegs und konnte sich berechtigte Hoffnungen auf einen Podestplatz machen. Doch dann das Drama nach dem Autowechsel. Di Grassi blieb plötzlich auf der Strecke liegen und konnte seine Fahrt nicht fortsetzen. Der vierte Ausfall im vierten Rennen, di Grassi hat als einziger Fahrer noch keinen einzigen Punkt erzielt.

Während der junge Abt von einer wahren Pechsträhne verfolgt ist, sind die Probleme auf di Grassis Seite der Garage viel schwerwiegender. Audi weiß nicht, was bei der komplexen Technik in seinem Auto nicht funktioniert. "Ich bin schon lange im Motorsport: Manchmal läuft alles wie am Schnürchen, manchmal geht alles schief, was schiefgehen kann - Letzteres ist derzeit bei uns der Fall", versuchte sich Teamchef Allan McNish in einer Erklärung.

Der Schotte musste einräumen: "Lucas fuhr ein starkes Rennen und hatte nach dem Boxenstopp plötzlich keine Leistung mehr. Den Grund dafür kennen wir noch nicht." Es sind die gleichen Worte wie zuletzt in Marrakesch, als di Grassi ebenfalls mit technischen Problemen früh ausfiel. Audi wollte den anschließenden Rookie-Test zur ausführlichen Fehler-Analyse nutzen.

Hongkong 1Hongkong 2MarrakeschSantiago de Chile
Daniel AbtBoxenstopp-Panne kostet 20 Sek.Sieg verloren (falscher Wagenpass)Durchfahrtsstrafe, Boxenstopp-PechAusfall nach Heidfeld-Kollision
Lucas di GrassiAufhängung gebrochen nach KollisionenBatterie-DefektAusfall nach technischen ProblemenAusfall nach technischen Problemen

Di Grassi mit Strafe in Santiago

Vor dem Rennwochenende in Santiago wechselte das Team den Inverter in di Grassis Auto. Da das Teil mit einem FIA-Siegel versehen ist, kassierte er laut Reglement eine 10-Platz-Strafversetzung. Liegt es wirklich am Inverter? Den hatte Audi schon in Marrakesch zwischen Qualifying und Rennstart ausgetauscht. Der mehr als ernüchternde Ausgang ist bekannt.

Zwischen Marrakesch und Santiago lagen drei Wochen, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Jetzt haben die Ingolstädter einen Monat Zeit, bevor das fünfte Rennen in Mexiko ansteht. Die Titelverteidigung kann di Grassi fast schon abschreiben, trotzdem muss Audi nun schnell die Trendwende gelingen.

Fragezeichen auf beiden Seiten der Garage

Was dem Team wirklich Sorgen bereitet: Während bei di Grassi die Technik so oft streikt, hatte Abt quasi keine technischen Schwierigkeiten. Das sah in der Vergangenheit oft ganz anders aus... Der Kemptener könnte in der Meisterschaft viel besser dastehen als Platz zehn mit 12 Punkten. Der neue Spitzenreiter Jean-Eric Vergne kommt bereits auf 71 Zähler.

Abts bisherige Bilanz: Eine Boxenstopp-Panne im ersten Hongkong-Rennen kostete ihn ein durchaus realistisches Podest. Der Sieg im zweiten Rennen wurde dem 25-Jährigen - an seinem Geburtstag - nachträglich wegen falscher Eintragungen im Wagenpass aberkannt. In Marrakesch bekam er wegen einer Kollision eine diskutable Durchfahrtsstrafe aufgebrummt und hatte kurz danach einfach Pech mit dem Timing beim Boxenstopp. Jetzt in Chile schoss ihn Heidfeld unglücklich ab.

Das lief bei Audi bis jetzt alles schief

Formel E - Audi: Was läuft schief bei Abt und di Grassi? (02:42 Min.)

Superschnell und superunzuverlässig

Was di Grassi, Abt und das gesamte Team noch sehr viel mehr schmerzen dürfte: das Auto gehört weiter zu den schnellsten im gesamten Feld. Di Grassi stellte den Speed im Chile-Qualifying mit Platz drei einmal mehr unter Beweis. Bis zu seinem Ausfall war er ebenfalls gut unterwegs und konnte die Pace der Konkurrenz locker mitgehen. "Mein Auto war superschnell", sagte er bei Electric Motor News. "Zu Beginn der zweiten Rennhälfte war ich Fünfter und hatte gute Chancen auf das Podest oder vielleicht den Sieg."

Sätze, die man seit vier Rennen von beiden Audi-Piloten hört. Di Grassis Auto ebenso schnell wie unzuverlässig. Dazu eine gehörige Portion Pech auf Seiten von Abt und schon steht das Werksteam mit dem Rücken zur Wand.