Seit ungefähr zweieinhalb Jahren hing Lando Norris in der Formel 1 ein böses Image an. Es ist kein Zufall, dass in der Pressekonferenz in Miami nach seinem ersten Sieg "Russland 2021" immer wieder aufkam. Norris, ein Fahrer, der es unter Druck nicht kann. Der zerbricht, wenn es ans Eingemachte geht. Dass das nicht stimmt - dafür will Norris nicht erst den ersten Sieg im 110. Anlauf als Beweis anführen. Vielmehr will er damit den unfairen Ruf beerdigen.

"Ich bin so froh, das abzulegen, und es diesen ganzen Leuten zu zeigen", atmet Norris durch. "Ich schaue auf Instagram, ich verteile Likes an alle diese Kommentare von Leuten, die mich beleidigen. Ich liebe es verdammt noch einmal. Es lässt mich mehr lächeln als alles andere, besonders Lando No-Wins. Das wurde dieses Ding."

No-Wins, die Verballhornung von Norris' Nachnamen, wurde Symbol für das im Herbst 2021 geborene Image vom Verlierer unter Druck. Norris war damals mitten in einer Saison, in dem er seinem erfahrenen Teamkollegen Daniel Ricciardo Rennen für Rennen um die Ohren fuhr. Doch als der McLaren in Monza zum einzigen Mal in dieser Saison ein aus eigener Kraft siegfähiges Paket war, cashte Ricciardo die Chance ein. Norris wurde Zweiter.

Zwei Wochen später kam Russland 2021. Norris holte seine erste Pole und führte fast den ganzen Grand Prix an, doch als am Schluss der durch ein verpatztes Qualifying und Strafen zurückgeworfene Lewis Hamilton ihn wieder einholte und es zu regnen begann, begingen Norris und sein Team eine Reihe an Fehlern, welche ihm schlussendlich den Sieg kosteten. Unter diesen Gesichtspunkten war daraufhin jeder neue Fehler Wasser auf die Mühlen der No-Wins-Fraktion.

Warum Norris diese Kommentare gerne las und Likes an sie verteilte? "Ich würde sagen, es gab glaube ich keinen Sonntag, wo ich was weggeschmissen habe." Zumindest nach Russland 2021. "Ich habe vielleicht ein Podium oder einen zweiten Platz weggeschmissen, aber ich glaube, bei jeder Gelegenheit auf einen Sieg war ich da."

Nicht siegfähig? Kritik für Norris immer aus der Luft gegriffen

"Die Leute wollen dies und das anführen, und ja, es gab Russland. Und Katar, aber das war kein Sonntag", zählt Norris auf. Die einzige realistische Chance auf einen Sieg, die er seit Russland hatte, war der Sprint 2023 in Katar. Dort gewann nämlich Teamkollege Oscar Piastri, nachdem Norris das Qualifying vergeigt hatte. Auch im Sonntagsrennen landete er dort hinter Piastri, aber der Sieg ging ohnehin an Max Verstappen: "Das Hauptrennen zu gewinnen wäre wohl ein bisschen viel gewesen."

"Es gab Poles, es gab einen Sprint-Sieg, aber nie mehr als das", lautet daher Norris' Fazit. Die Gelegenheiten, bei denen er in den letzten zweieinhalb Jahren ein auch nur annähernd siegfähiges Auto hatte, kann er an einer Hand abzählen. Und bekommt die Hand dabei nicht einmal voll. Singapur 2023 sieht er nicht als seine Schuld, Carlos Sainz fuhr ein perfektes Wochenende. "Dann gab es Australien dieses Jahr, wo die zwei Ferraris vorne waren. Abgesehen davon gab es keinen Sonntag."

"Und deshalb habe ich denke ich nie den Glauben verloren", meint Norris. "Ich war nie an einem Punkt, wo ich nicht an meine Fähigkeiten geglaubt hätte." Als er in Miami schließlich zur Rennmitte die Führung übernahm, kam er nicht mehr aus dem Tritt, sondern überstand einen Safety-Car-Restart und fuhr fehlerlos den ersten Sieg der Karriere ins Ziel. Wie souverän, erklärt die Renn-Analyse:

Fahrer-Kollegen wichtiger als Instagram-Kommentare

"Es diesen Leuten zu zeigen, die nicht geglaubt haben, dass ich abliefern könnte, das macht das noch süßer", gesteht Norris trotzdem. "Ich danke ihnen allen." Damit dürften die Instagram-Kommentare ihren Zweck erfüllt haben. Deutlich wichtiger als sie sind für Norris die Reaktionen seiner Berufskollegen nach dem Rennen. Es war ein beliebter Sieg, und der Reihe nach bekam er Gratulationen von anderen Fahrern.

"Wenn du den Helm aufsetzt, dann hasst du sie, dann willst du sie schlagen, dann ist dir egal, wer da wer ist", so Norris. "Aber ich habe immer Respekt für die Leute, gegen die ich fahre. Wenn dann jemand kommt, besonders wenn es jemand ist, der viel erreicht hat, dann bedeutet das ein bisschen mehr. Wenn Lewis, Fernando, Max, Charles, Carlos, wenn sie zu dir kommen und nette Worte für dich haben, dann schätze ich das sehr."

Fernando Alonso gratuliert Lando Norris zum Sieg
Norris erhält Gratulationen von Fernando Alonso, Foto: LAT Images

"Diese Leute wissen, was es braucht, um diese Dinge zu erreichen, die Arbeit, die Zeit, den Aufwand", erklärt Norris. "Also danke an sie, und danke an alle, die mich unterstützen und die mir gegenüber ähnlichem Respekt aufbringen. Ich weiß diese Dinge zu schätzen."

Wie lange wird der nächste Erfolg nun auf sich warten lassen? Im 'AvD Motorsport Magazin' analysiert Experte Christian Danner, wie gut die Chancen für McLaren stehen, jetzt konstant ganz vorne an der Spitze mitzumischen, und noch vieles mehr:

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