McLaren war die ganz große Überraschung beim Formel-1-Wochenende in Silverstone. Lando Norris landete auf der zweiten Position und Oscar Piastri verpasste das Podium nur aufgrund eines ungünstigen Safety Cars. Norris geriet auch nur infolge dieser Safety-Car-Phase kurz unter Bedrängnis, konnte den Angriff von Lewis Hamilton aber mit Bravour abwehren.

McLaren vs. Mercedes: So verteidigte Norris Platz 2

Strategisch machte McLaren im Duell gegen Mercedes vieles richtig, um die Track Position zu behalten: Piastri deckte mit seinem Stopp gegen George Russell ab, Norris blieb länger auf der Strecke, um auf einen Boxenstopp von Hamilton zu reagieren. Die einzige Ungenauigkeit war vielleicht beim Safety Car der Wechsel auf harte Reifen anstatt auf Softs, während Hamilton die rot markierten Pneus aufzog. Doch das war ein zweischneidiges Schwert. Mercedes hätte bei Hamilton immer die Chance gehabt, wiederum den umgekehrten Weg zu gehen und Hard aufzustecken.

Die Mercedes-Pace war im gesamten Rennverlauf nicht besser als jene von McLaren. Ob der MCL60 dem W14 nur ebenbürtig war, oder ob er tatsächlich schneller war, lässt sich anhand der Daten schwer überprüfen. Denn im ersten Stint steckten sowohl Hamilton als auch Russell jeweils hinter einem Ferrari fest und fanden mangels Reifendelta keinen Weg vorbei. Im letzten Stint hingegen waren die Teams auf unterschiedlichen Reifensätzen unterwegs, weshalb man die Daten schwer vergleichen kann.

Mercedes-Teamboss Toto Wolff war sich seiner Sache vor dem Safety-Car-Restart ziemlich sicher: "Ich war überzeugt davon, dass wir die McLarens auffressen und auf P2 und P3 ins Ziel kommen oder sogar um die Führung kämpfen". Doch er wurde eines Besseren belehrt. Hamilton war in der Frühphase des letzten Stints auf den richtigen Reifen, doch nachdem Norris die Hards auf Temperatur gebracht hatte, war die Chance auf den zweiten Platz für Hamilton dahin. Den Unterschied machte, dass McLaren an den richtigen Stellen seine Rundenzeit gutmachte.

Mercedes hatte zwar in der Theorie den etwas höheren Topspeed, doch der McLaren konnte jeweils in den schnellen Kurven punkten. Norris und Piastri nahmen am meisten Speed aus Chapel auf die Hangar-Geraden - der längste DRS-Gerade auf der Strecke - mit, wie der Topspeed-Vergleich an der Messstelle nach dem zweiten Sektor zeigt. "Sie waren beide sehr stark, und mit ihrer Effizienz und ihrem Speed in den Hochgeschwindigkeitskurven und auf den Geraden gab es einfach keine Möglichkeit, sie zu überholen", stellte Wolff verwundert fest.

So fehlten Hamilton auch mit DRS die Körner, um in Stowe zu attackieren - übrigens eine weitere Kurve, in der der McLaren bärenstark war. Dass man mit dem ansonsten topspeed-schwachen McLaren ein Setup mit etwas weniger Abtrieb wählte als normalerweise, unterstütze die Defensiv-Fähigkeiten des Boliden umso mehr. Hamilton hatte seine Stärken zwar in den Kurven 3 und 4, doch die Attacken auf der etwas kürzeren Wellington-Gerade reichten nicht.

Verstappens Reifendilemma: Hatte McLaren eine Siegchance?

Hätte Norris schließlich sogar Max Verstappen gefährden können? Denn die Reifenwahl, die gegen Hamilton kurz nach dem Restart ein Nachteil war, spielte Norris langfristig in die Karten. Der harte Reifen benötigte etwas Zeit, bis er ins Temperaturfenster kam, doch danach war der weiß markierte Pneus die bessere Variante. Bei Red Bull schlug man nach Rennende Alarm. "Im Nachhinein betrachtet war es ein Risiko, den Soft zu nehmen", sagte Motorsportberater Dr. Helmut Marko im ORF-Interview

"Bei Max und auch bei Hamilton haben die Reifen ziemlich stark abgebaut. Deshalb waren wir froh, als das Rennen vorbei war", erklärte der Grazer. Die etwas längere Safety-Car-Phase arbeitete für die Bullen. Denn da Kevin Magnussen seinen Wagen an einer ungünstigen Stelle geparkt hatte, benötigten die Streckenposten fünf Runden, ehe man den Haas abschleppen konnte.

Wäre Red Bull bei einer kürzeren Safety-Car-Dauer in Probleme geraten? Marko kalkulierte: "Er (Norris) hätte vielleicht drei bis fünf Runden gebraucht, dann wäre der Reifenvorteil für ihn voll tragend geworden." Der letzte Stint ging nach dem Safety-Car-Restart über eine Dauer von 14 Runden, wobei Norris zu Beginn im Duell mit Hamilton involviert war.

Verstappen zog - auch bedingt durch diesen Zweikampf - zu Beginn des Stints etwa drei Sekunden davon. Erst ab der 45. Runde nahm er zurück und fuhr Zeiten im niedrigen 1:31er-Bereich. Norris holte aber auch nachher zu keinem Zeitpunkt wirklich auf. Der Abstand zwischen dem Duo glich einem Nullsummenspiel, bei dem sich beide mit schnelleren Rundenzeiten jeweils abwechselten. Verstappen konnte in der letzten Runde seinen Speed sogar noch leicht verschärfen.

Ob Verstappen auch bei einer etwas längeren Stintdauer zu Rennende unter Gefahr geraten wäre, erscheint anhand dieser Daten eher unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite stimmt es zwar, dass Lewis Hamiltons Zeiten auf dem letzten Stint merklich nachließen. Doch der Mercedes-Pilot befand sich in einer anderen Position, er rieb seine Reifen im Duell gegen Norris auf und konnte sie nicht wirklich sanft anfahren.