Die Formel 1 bekommt 2022 ein komplett neues Gesicht. Das Technische Reglement ändert sich so gewaltig wie noch nie zuvor in der 72-jährigen Geschichte der Königsklasse. Kompliziert sind die Regeln schon lange, in dieser Saison nimmt das Regelwerk aber neue Auswüchse an.

Reichten 2021 noch 137 Seiten und diverse Technische Direktiven, um die Ingenieure im Zaum zu halten, erstreckt sich das Technische Reglemente der Formel 1 2022 auf 175 Seiten. Es ist das komplizierteste Reglement der Geschichte.

Deshalb überprüft der Automobilweltverband FIA schon jetzt, ob sich alle Teams mit ihren neuen Autos im Bereich des Legalen bewegen. "Wir durchlaufen mit allen Teams einen Prozess. Wir haben individuelle Sitzungen mit ihnen, um die Legalität zu checken", verrät FIA-Formel-1-Technikchef Nikolas Tombazis.

FIA will unangenehme Überraschungen vermeiden

"Wir machen das, um unangenehme Überraschungen beim ersten Rennen zu vermeiden", so der ehemalige Ferrari-Ingenieur, der berichtet: "Wir haben hie und da ein paar Überraschungen gesehen: Bereiche, in denen die Autos unterschiedlicher sind, als wir das erwartet hatten. Aber bislang hat noch nichts einen massiven Alarm bei uns ausgelöst."

Brawn GP überraschte 2009 mit dem Doppel-Diffusor, Foto: Sutton
Brawn GP überraschte 2009 mit dem Doppel-Diffusor, Foto: Sutton

Ein komplett neues Reglement birgt immer die Gefahr von Schlupflöchern. Niemand weiß das so gut wie Ross Brawn. Der heutige Formel-1-Sportchef fuhr 2009 mit seinem eigenen Rennstall dank des Doppeldiffusors Kreise um die Konkurrenz. Deshalb ist der Brite vorsichtig. "Es wäre naiv zu glauben, wenn es keinen Streit geben würde - das wäre nicht die Formel 1", sagt er mit einem Schmunzeln.

Formel-1-Teams informieren FIA nicht

"Es liegt in der Natur der Teams, dass sie die FIA nicht alarmieren, wenn sie Möglichkeiten sehen", so Brawn. FIA-Kollege Tombazis beruhigt aber: "Bislang sehen wir eine faire Interpretation der Regeln. Es gibt kein Äquivalent zum Doppeldiffusor oder ähnliches."

Genau aus diesem Grund ist das Regelwerk 2022 auch so explodiert. Man hat Lehren aus 2009 gezogen. Damit die Teams nicht das Ziel, für besseres Racing zu sorgen, mit ihren Entwicklungen torpedieren, hat man das Regelkorsett eng geschnürt.

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Umso mehr überrascht es, dass sich die bisher gezeigten Fahrzeug konzeptionell stark unterscheiden. "Komplexere Regeln führen zu einfacheren Autos. Da sind die Unterschiede einfacher sichtbar. Einfachere Regeln bringen kompliziertere Autos hervor. Da wird am Detail gearbeitet", erklärt Tombazis.

Formel-1-Autos 2022 überraschend unterschiedlich

Aber: Kristallisiert sich nicht schnell eine Lösung als die richtige heraus? Sehen die Autos binnen kürzester Zeit alle gleich aus? "Die Budgetobergrenze wird das verhindern", glaubt Brawn. "Die großen Teams können nicht mehr alles ausprobieren. Sie müssen sich entscheiden."

Ist es dann spätestens mit der nächsten Fahrzeuggeneration 2023 so weit, dass ein Auto dem anderen gleichen wird? "Im letzten Jahr gab es mit High- und Low-Rake auch zwei komplett unterschiedliche Konzepte, die auf die gleiche Performance gekommen sind", wirft Tombazis ein. "Warum sollte es jetzt nicht auch zwei oder drei Lösungen geben? Ein paar Konzepte sterben aber immer einen natürlichen Tod."