Viele mögen es als abgedroschene Klischees verteufeln, aber auch die erste WM-Entscheidung auf südamerikanischem Boden ließ den angehenden Weltmeister in den letzten Runden seiner Punktlandung auf Platz 3 "seltsame Geräusche" aus dem Heck seines Boliden vernehmen und sorgte dafür, dass er nach der ersten von vielen Champagnerduschen "noch nicht wirklich verstehen" konnte, was er eigentlich vollbracht hat. Diese Erkenntnis kommt den meisten Siegern großer Sportevents "immer erst in den nächsten Tagen".

Unsympathischer machen den freudestrahlenden Spanier solche sprachlosen Momente voller Floskeln aber keineswegs. Im Gegenteil: Sie machen den bis auf Montreal fehlerfreien und verdienten neuen Weltmeister sogar menschlicher. Sie geben den Blick frei auf den Menschen Fernando Alonso. Schließlich ist er schon jetzt mit 24 Jahren nicht nur in Spanien eine Formel 1-Legende, egal ob er es will oder nicht. Er ist der jüngste Pole-Inhaber, der jüngste GP-Sieger und der jüngste Weltmeister aller Zeiten.

Der Weltmeister der Herzen

Bravo Fernando! Er ist der neue Champion., Foto: Sutton
Bravo Fernando! Er ist der neue Champion., Foto: Sutton

Weltmeister Fernando Alonso. Diese Bezeichnung wird der neue spanische Volksheld nun mindestens ein Jahr lang ununterbrochen zu hören bekommen. Ein Problem hat er damit erwartungsgemäß nicht. "Es klingt großartig", lächelte er. "Für mich ist wahrlich ein Traum Realität geworden."

In die Tat umgesetzt hat er diesen Traum im Laufe einer langen und harten Saison, in deren Verlauf er schon seit dem vierten Saisonrennen darauf beharrt nicht mehr das stärkste Auto besessen zu haben. Die Krone setzte sich Alonso dementsprechend folgerichtig auf jene Art auf, die selbst dem Teamchef seines WM-Rivalen Respekt abrang: Er fuhr - wie so oft in dieser Saison - nur jenes Mindestergebnis sicher nach Hause, welches er zum Titelgewinn benötigte. In Brasilien bedeutete dies Rang 3.

Vor dem Rennen wirkte Fernando trotz seiner ansonsten lockeren Art sehr angespannt und konzentriert. Nach dem Erlöschen der roten Ampeln konnte er dann an nichts anderes als "die WM" denken. Auswirkungen auf seinen Schlaf hatte das vorher allerdings nicht.

"Ich habe die Nacht davor wie jede andere geschlafen, bin aufgestanden, habe gefrühstückt und ein Meeting für die Rennstrategie absolviert. Danach habe ich vor dem Rennen noch ein bisschen geschlafen", ließ Fernando den Beginn seines großen Tages noch einmal Revue passieren.

"Ich war das gesamte Wochenende über nicht gestresst. Aber natürlich bin ich jetzt extrem glücklich. Denn es ist der Traum eines jeden Rennfahrers Formel 1 Weltmeister zu werden." In diesen Worten schwingt allerdings auch ein kleines Fragezeichen über seine zukünftige Motivation mit. "Ich habe das mit 24 bereits geschafft. Jetzt gibt es für mich nicht mehr allzu viel zu erreichen. Ich bin der jüngste Weltmeister und muss mir nun ein neues Ziel setzen."

Ein würdiger Weltmeister: Fernando Alonso., Foto: Sutton
Ein würdiger Weltmeister: Fernando Alonso., Foto: Sutton

Das sollte aufgrund der aktuellen Überlegenheit der Konkurrenz aber kein Problem darstellen. Schließlich dürfte auch der jüngste F1-Weltmeister aller Zeiten davon träumen den Titel in einem unterlegenen Auto zu verteidigen. Aber Alonso weiß: "Dieses Jahr war mein Jahr. Alles hat mir in die Hände gespielt. Im nächsten Jahr kann das aber schon wieder ganz anders sein."

Der Vizeweltmeister der Herzen

Dass diese Weisheit tatsächlich zutrifft, darauf hofft der diesjährige Vizeweltmeister Kimi Räikkönen. Denn obwohl er und sein Teamkollege Juan Pablo Montoya nach vielen Anläufen endlich den erwünschten Doppelsieg feiern konnten, kam dieser für seine Titelchancen zu spät.

"Natürlich ist es enttäuschend nicht mehr um den Titel kämpfen zu können", versteckte der Ice Man seine Enttäuschung nicht, "aber wir haben das schon vor einigen Rennen festgestellt. Wir hätten viel Glück gebraucht um es noch zu schaffen. Deshalb ist es nicht ganz so enttäuschend."

Kimi Räikkönen ging im silbernen Trubel beinahe unter., Foto: Sutton
Kimi Räikkönen ging im silbernen Trubel beinahe unter., Foto: Sutton

Jetzt gilt es für den Vizeweltmeister mit dem schnellsten Auto die letzten "beiden Rennen zu gewinnen" und "zu versuchen die Konstrukteursweltmeisterschaft" für sein Team zu sichern.

Und obwohl es ihm schwer fiel hatte er noch eine viel härtere Aufgabe zu erledigen: "So etwas ist immer schwierig, aber: Herzlichen Glückwunsch an Fernando. Er hat den Titel verdient. Aber er sollte sich darauf gefasst machen, dass mein Team und ich ihm für den Rest der Saison und im nächsten Jahr einen harten Kampf liefern werden."

Die Teamanalyse

Renault Der einfachere der beiden WM-Titelgewinne ist im Sack: Die Franzosen von Renault haben endlich ihren ersten Weltmeistertitel als reiner Konstrukteur. Allerdings ist es der Fahrertitel und nicht der Konstrukteurstitel, welchen Flavio Briatore & Co in den verbleibenden beiden Rennen noch erobern möchten. Erobern müssen sie ihn, weil sie durch den McLaren-Doppelsieg von Interlagos ihre Führung in der Teamwertung verloren haben und McLaren jetzt endgültig der Favorit auf den zweiten Titelgewinn ist. Bei den Fahrern wurde in Sao Paulo hingegen ein würdiger Weltmeister gekrönt, der nach einem spektakulären Saisonstart selbst unter größtem Druck eine fehlerlose Leistung ablieferte und dessen Auto im Gegensatz zum schnellsten Wagen des Jahres das Wort Zuverlässigkeit nicht nur vom Hörensagen kennt.

Fernando Alonso: Noch nicht einmal fliegen ist schöner., Foto: Sutton
Fernando Alonso: Noch nicht einmal fliegen ist schöner., Foto: Sutton

McLaren Es ist fast schon Ironie des Schicksals, dass McLaren ausgerechnet in dem Rennen die letzte mathematische Titelchance verloren hat, in dem man den seit einigen Wochen angekündigten Doppelsieg endlich erringen konnte. Für die Team-WM sieht es deshalb, trotz des knappen Vorsprungs, sehr gut aus. Jedenfalls so lange die beiden Silberpfeile auch die komplette Distanz überstehen. Denn dann dürfte es auch für den aerodynamisch verbesserten Renault nur schwer möglich sein die silbernen Boliden zu bezwingen. Schließlich waren diese auch in Brasilien die klar schnellsten vierrädrigen Gefährte auf dem Autodromo Carlos Pace.

Ferrari Die roten Boliden aus Maranello waren in diesem Jahr noch auf keiner Rennstrecke die absolut schnellsten Karbondosen. Immerhin waren sie in Brasilien aber nicht mehr ganz so weit abgeschlagen, wie bei den vorangegangen Rennen. Der von Präsident Luca di Montezemolo angekündigte Superreifen und der damit verbundene zweite Saisonsieg blieben allerdings auch in Sao Paulo aus. Dank der doppelten Punkteankunft und der Probleme bei Toyota konnte man sich jedoch in der Konstrukteurswertung ein sicheres Polster für die letzten zwei Saisonrennen zulegen. Michael Schumacher wird in diesen beiden Rennen in Asien derweil von seiner nach fünf Jahren fast schon traditionellen Startnummer 1 Abschied nehmen müssen.

Jarno erlebte ein Wochenende zum vergessen, Foto: Sutton
Jarno erlebte ein Wochenende zum vergessen, Foto: Sutton

Toyota Für Toyota verlief das Brasilien-Wochenende alles andere als nach Plan. Jarno Trullis Rennwochenende wurde durch einen Motorwechsel behindert und Ralf Schumacher litt unter einem Fehler von Michelin, die einen falschen Reifensatz mit nach Südamerika brachten. Am Ende bedeutete dies in Kombination mit einem nicht konkurrenzfähigen TF105, dass die Weiß-Roten ihre Träume von WM-Rang 3 fast schon begraben können. Jetzt kann ihnen eigentlich nur noch ein weiß-rotes Wunder beim Heimrennen in Japan helfen. Aber gerade bei Toyota gilt ja das Motto: Nichts ist unmöglich - Besonders wenn Japaner in Japan antreten...

Williams Wenn ein Australier und ein Brasilianer für ein britisches Team in Brasilien antreten, dann ist ebenfalls vieles möglich. Auch eine Kollision der beiden mit David Coulthard in der ersten Kurve. Der Brasilien GP war für die Truppe von Frank Williams also schon nach der ersten Runde beendet. Obwohl sich Antonio Pizzonia darüber äußerst verärgert zeigte, da er sich Hoffnungen auf eine Punkteankunft gemacht hatte, dürften die Chancen der Weiß-Blauen auf ein gutes Ergebnis wohl eher niedrig gewesen sein. Angesichts der Zuverlässigkeit bei den Top-Teams wäre maximal ein Platztausch mit Ralf Schumacher möglich gewesen. Und das hätte so oder so nicht den Ansprüchen des Traditionsrennstalls entsprechen.

Jenson Button beklagte sich über fehlenden Speed., Foto: Sutton
Jenson Button beklagte sich über fehlenden Speed., Foto: Sutton

B·A·R In Brackley sollte die Teamführung langsam ernsthaft darüber nachdenken den Teamnamen von British American Racing in British American Rollercoaster umzubenennen. Auch beim x-ten Rennen in Folge verhielt sich die Formkurve der Weißen wie eine Achterbahnfahrt. Am Freitag pfui, am Samstag hui und am Sonntag wieder mehr als nur pfui: Bei den Ansprüchen des Teams sind die zwei WM-Zähler von Jenson Button nicht mehr als Schadensbegrenzung. Vor allem im Rennen fehlt es dem Team momentan an Speed. Dank einiger sporadischer Lichtblicke zu Saisonmitte, ist B·A·R der 6. WM-Rang allerdings sicher.

Red Bull Racing Neben Williams und B·A·R verließ auch Red Bull Racing Südamerika mit langen Gesichtern. Besonders David Coulthard erlebte ein Wochenende zum vergessen, welches letztlich auch für Christian Klien keine Belohnung in Form von WM-Punkten zu bieten hatte. Seit einigen Rennwochenenden läuft es bei den Bullenreitern nicht mehr so richtig rund. Für sie wird es Zeit, dass die Saison zu Ende ist und man sich in der Winterpause mit dem neuen RB2 und den Ferrari-Motoren auf die neue Saison vorbereiten kann.

Massa gab alles, aber es half nichts., Foto: Sutton
Massa gab alles, aber es half nichts., Foto: Sutton

Sauber Ähnliches gilt für Sauber: Auch die Schweizer erlebten ein frustrierendes Rennen, dessen Ergebnis von einem Fehler des Teams noch einmal negativ beeinflusst wurde. Schließlich hätten sie wissen müssen, dass sie ohne Genehmigung keine Teile an Jacques Villeneuves Auto austauschen dürfen. Peter Sauber geht allerdings nicht davon aus, dass dieser Fehler das Team Punkte gekostet hat, da diese ohnehin nicht im Bereich des Möglichen gelegen haben.

Jordan Ebenso wenig lagen WM-Zähler für das Jordan Team in Reichweite. Nichtsdestotrotz konnten die Gelben zumindest im Qualifying überzeugen. Am Sonntag ging ihnen dann allerdings etwas das Glück aus: Narain Karthikeyan landete hinter dem Minardi von Christijan Albers und Tiago Monteiro musste im 17. Rennen seinen ersten Ausfall des Jahres hinnehmen. Damit endete für den Portugiesen die längste Zielankunftsserie eines F1-Rookies genau an jenem Tag, an dem sich Fernando Alonso als jüngster Champion in die Geschichtsbücher eintrug.

Minardi verbuchte einen Achtungserfolg gegen Jordan., Foto: Sutton
Minardi verbuchte einen Achtungserfolg gegen Jordan., Foto: Sutton

Minardi Besonders gewürdigt wurde der Titelgewinn des Spaniers bei Minardi. Denn hier begann der neue Champion im Jahre 2001 seine Formel 1 Karriere. Entsprechend stolz zeigte sich Teamboss Paul Stoddart über den Titelgewinn seines Ex-Schützlings. Für seine aktuellen Fahrer war der Brasilien GP nur zu 50% erfolgreich: Während Robert Doornbos ausschied, konnte Albers immerhin einen Achtungserfolg im Duell gegen Jordan verbuchen. Das große Erfolgserlebnis zum Abschied des kleinsten F1-Teams steht aber immer noch aus. Noch bleiben dem Team zwei Rennen Zeit um sich mit einem Wunder aus der Formel 1 Welt zu verabschieden.

Der WM-Ausblick

"Schumacher Who?", fragte ein Schriftzug auf dem T-Shirt eines Renault-Mechanikers. Ganz so schlimm ist es für den Ex-Champion, trotz der Ferrari-Misere in diesem Jahr, noch nicht gekommen. Aber nach fünf Jahren mit dem Weltmeister Michael Schumacher, feierte der F1-Tross in Sao Paulo den ersten Weltmeister des neuen Jahrtausends, der nicht den Namen 'Schumacher, Michael' trägt.

Es ist vollbracht: Alonso ist Champion!, Foto: Sutton
Es ist vollbracht: Alonso ist Champion!, Foto: Sutton

Ganz heraus ist die Spannung für den Rest des Jahres damit aber noch nicht: Der Kampf um die Konstrukteurs-WM tobt weiter. Bei nur zwei Punkten Abstand zwischen McLaren und Renault sogar heftiger denn je zuvor in dieser Saison.

Dank des eingetüteten Fahrertitels möchte sich nun auch Fernando Alonso wieder etwas aggressiver zu Wort melden und ein paar mehr Risiken im Kampf um die zweite WM-Krone der Saison 2005 in Kauf nehmen.

Er selbst kann jetzt bekanntlich nach seinem Titeltriumph 'befreit auffahren'. Und zwar ohne "seltsame Geräusche" zu hören oder alles "erst noch in den nächsten Tagen verarbeiten" zu müssen...