Bei Mercedes-AMG herrscht große Ernüchterung auf dem Weg in die achtwöchige DTM-Sommerpause. Nach einem aus Sicht der Marke schwierigen Rennwochenende in Imola wurde es zwei Wochen später beim Saisonhighlight am Norisring nicht besser.

Auf dem Nürnberger Stadtkurs belegte der amtierende DTM-Meister Maximilian Götz (Winward-Mercedes) als bestplatzierter AMG-Fahrer zweimal den sechsten Platz. Und in den Qualifyings waren fünfte Startplätze durch Götz und Teamkollege Lucas Auer das Höchste der Gefühle für die Marke aus Affalterbach.

"Wenn wir in beiden Rennen bestplatziertes Mercedes-Team sind, können wir nicht viel falsch gemacht haben", bilanzierte Winward-Teamchef Christian Hohenadel. "Wenn dann nicht mehr als zwei sechste Plätze herausspringen, müssen die Ursachen auch woanders liegen." Beim vieldiskutierten Saisonfinale 2021 auf dem Norisring gelang Mercedes-AMG ein Doppel- sowie ein Dreifachsieg in den beiden Rennen, aus denen Götz als Meister hervorging.

Nach einem aussichtsreichen Saisonauftakt in Portimao sowie im Anschluss auf dem Lausitzring ging es stetig bergab für den amtierenden Marken-Meister Mercedes, der mit acht Autos und vier Teams wie im Vorjahr das größte Aufgebot aller Hersteller bildet. Das zeigt ein Blick auf die Punkteausbeute: Holten Mercedes-Fahrer für die Markenwertung in Portimao und der Lausitz zusammen 130 Punkte, waren in Imola und am Norisring nur noch 50 Zähler drin.

Jäger: "Wir liegen unter dem Durchschnitt"

Auf den zweiten Saisonsieg wartet Mercedes seit dem ersten Rennen, als Lucas Auer von einem Problem des sichergeglaubten Siegers Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini) profitierte. Audi konnte unterdessen drei der bisherigen acht Rennen gewinnen, BMW zwei dank des Doppelsieges von Sheldon van der Linde (Schubert-BMW) auf dem Lausitzring, und Porsche sowie Ferrari je eines am vergangenen Wochenende.

"Wir sind mit einem sehr wettbewerbsfähigen Lineup in die Saison gestartet und liegen etwas hinter unseren Erwartungen", sagte Mercedes-DTM-Sportdirektor Thomas Jäger während einer Mercedes-AMG-Medienrunde zu Motorsport-Magazin.com. "Wenn man die Gesamtperformance betrachtet, liegen wir unter dem Durchschnitt - obwohl wir acht Autos mit starken Fahrern und Teams im Grid haben. Nach der Sommerpause wollen wir in einer Position sein, zumindest um Podestplätze kämpfen zu können."

DTM 2022: Hersteller-Wertung nach 8/16 Rennen

RangHerstellerPunkte
1Audi240
2Mercedes180
3BMW159
4Porsche112
5Lamborghini96
6Ferrari58

Mercedes: BoP-Antrag abgelehnt

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com hatte Mercedes-AMG vor dem Norisring einen 1 Millimeter größeren Restriktor bei der Balance of Performance mit 36 statt 35 Millimetern angefragt. Der Antrag wurde jedoch von der DTM bzw. Dienstleister AVL Racetech abgelehnt.

Am Norisring fuhren die acht Mercedes-AMG GT3 durchweg mit einem BoP-Gewicht von 1.330 Kilogramm - 5 Kilo mehr als das DTM-Grundgewicht des AMG-GT3 beträgt. BoP-Änderungen gab es für Mercedes nicht im Verlauf des Wochenendes, lediglich Audi (+15 Kilo), Ferrari (+5 Kilo) und Porsche (+15 Kilo) mussten Gewicht zuladen, während beim BMW der Ladedruck nach dem ersten Qualifying erhöht wurde.

"Uns war klar, was passieren würde"

Jäger bestätigte auf Nachfrage: "Die Zusammenarbeit zwischen AVL und den Herstellern ist sehr offen. Sie haben Simulationen für alle Autos und zeigen uns ihre Befindlichkeiten in Sachen Gewicht, Leistung und Co. Wir dachten, dass wir mit dieser BoP nicht wirklich wettbewerbsfähig sein würden. Das hatten wir schon in Imola gesehen. Uns war klar, was passieren würde. Für AVL ist es schwierig, wenn es neue Autos wie den BMW oder den Evo-Audi, aber noch nicht genügend Daten gibt. Dann sind die Simulationen wahrscheinlich nicht so präzise wie sie sein sollten. Im Laufe der Saison wird es besser."

Dabei tun sämtliche Hersteller selbst ihr Möglichstes, Dienstleister AVL die Arbeit zu erschweren. Das sogenannte Sandbagging, also absichtliches Langsamfahren, war schon 2021 in der DTM äußerst beliebt und setzt sich dieses Jahr munter fort. In den Trainings werden die Fahrer von ihren Teams bzw. den Herstellern angehalten, den Fuß vom Gas zu nehmen. Und selbst in den ultra-engen Qualifyings gibt es gerüchtehalber Ansagen, nicht die wahre Performance zu zeigen, um für die Rennen besser eingestuft zu werden.

Jäger: "Da frage ich mich, wo das herkommt..."

Dabei ging es in den bisherigen Qualifyings nicht nur eng, sondern höchst abwechslungsreich zu Gange: In vier der bisherigen acht Zeittrainings fuhren Piloten von mindestens fünf unterschiedlichen Marken in die Top-6 der Startaufstellung. Am Sonntag auf dem Norisring waren sogar alle sechs Hersteller in den ersten drei Startreihen vertreten! "Das Wichtigste für mich ist, dass jeder die Chance hat, Rennen zu gewinnen", versicherte DTM-Boss Gerhard Berger am Norisring. "Man sieht schon, wenn die richtigen Fahrer in den Autos sitzen, dann sind sie ganz vorne."

"Es ist toll, wenn wir sechs Marken in den Top-6 sehen", sagte der frühere DTM-Fahrer Jäger. "Wenn du aber der Langsamste von denen bist, dann bist du nicht happy. Wir sind sicher, dass es Anpassungen für den Nürburgring (nächstes DTM-Event; d. Red.) geben wird."

Jäger weiter zur BoP-Thematik, die üblicherweise nicht so gerne offen angesprochen wird: "In Imola waren wir sehr weit weg und auch am Norisring standen wir nicht auf der Sonnenseite. Wir investieren sehr viel in die Gruppe und sind de einzige Hersteller, der Daten austauscht (unter den Teams; d. Red.). Das macht uns auf der einen Seite stark. Andererseits sehen wir bei anderen Autos sehr große Verbesserungen von Samstag auf Sonntag. Da frage ich mich, wo das herkommt. Das muss der Organisator analysieren und in Erwägung ziehen für die künftige BoP. Das weiß jeder - und Daten lügen nicht."

Titelanwärter Auer: Norisring war ein Desaster

In der prestigeträchtigen Fahrer-Meisterschaft ist auf Mercedes-Seiten Lucas Auer (60 Punkte) der aussichtsreichste Titelkandidat. Der Österreicher belegt den fünften Platz bei einem Rückstand von 29 Punkten auf den inoffiziellen Halbzeit-Champion Mirko Bortolotti (89 Punkte) und seinen Grasser-Lamborghini. BMW-Werksfahrer Sheldon van der Linde (80 Punkte) und die beiden Audi-Piloten Rene Rast (79 Punkte) sowie Nico Müller (62 Punkte) liegen auf den Positionen zwei bis vier.

"Ich hatte einen guten Saisonstart und bin weiter in einer guten Position", sagte Auer. "Aber der Norisring war ein Desaster und hart für uns alle im Vergleich zu ein paar anderen Autos. Wir als Team haben allerdings auch nicht immer voll abgeliefert, das kann passieren. Es ist wichtig, auf einem anderen Level zurückzukehren (aus der Sommerpause; d. Red.)."

Markenkollege und Champion Götz, der mit nur 29 Punkten den 16. Platz in der Meisterschaft belegt, fügte an: "Mercedes und die DTM müssen schauen, dass wir ein besseres Potenzial für die kommenden Rennen haben. Jetzt ist Sommerpause und genügend Zeit, um sich an einen Tisch zu setzen und eine Lösung zu finden, damit wir um Podeste und Siege mitfahren können. Das ist schließlich der Grund, warum wir das machen. Und nicht, um Fünfter oder Sechster zu werden."