"Der Kerl ist 60 Jahre alt und immer noch superschnell. Wenn ich mal so alt bin, will ich auch aussehen wie er!" Tom Blomqvist sorgte während der Sieger-Pressekonferenz nach dem 24-Stunden-Rennen von Daytona für zahlreiche Lacher, als er Teamkollege Helio Castroneves spontan noch etwas älter machte als der Brasilianer ohnehin schon ist.

Bis zum 60. Lebensjahr ist es noch eine Weile hin, aber mit seinen 46 Lenzen hat Castroneves zumindest für einen Profi-Rennfahrer das 'Rentenalter' längst erreicht. Nur: Das hat ihm offenbar noch niemand gesagt! Stattdessen führte der Motorsport-Veteran das Team Meyer Shank Racing mit Simon Pagenaud, Oliver Jarvis und Blomqvist bei der 60. Auflage der 24h Daytona mit einem souveränen Schluss-Stint zum Gesamtsieg.

Während das US-Team mit dem DPi-Acura den ersten Sieg in Daytona nach exakt zehn Jahren bejubelte, war Castroneves das Gefühl des Triumphes bestens vertraut: Ihm gelang gar die Titelverteidigung, nachdem er 2021 den Acura von Wayne Taylor Racing zum Gesamtsieg beim Klassiker im US-Bundesstaat Florida geführt hatte. Diesmal hatte WRT, Sieger von 2017, 2019, 2020 und 2021, das Nachsehen und musste sich mit dem zweiten Platz begnügen.

Castroneves übernahm den #60 Acura bei noch 65 ausstehenden Rennminuten vom früheren DTM- und Formel-E-Piloten Blomqvist, der noch neu ist in der Welt der DPi-Sportwagen. "Helio war das ganze Rennen lang so stark", sagte der Sohn von Rallye-Ikone Stig Blomqvist. "Ich war ziemlich platt, das hat es mir nicht leicht gemacht. Ich denke, es war der richtige Call."

Daytona-Gesamtsieger 2022: Pagenaud, Jarvis, Blomqvist und Castroneves, Foto: LAT Images
Daytona-Gesamtsieger 2022: Pagenaud, Jarvis, Blomqvist und Castroneves, Foto: LAT Images

Castroneves: "Der Champagner knallt schon ordentlich rein"

Castroneves, IMSA-Champion von 2020, setzte sich mit seiner Routine im dichten Verkehr am Ende durch und überquerte die Ziellinie nach insgesamt 761 Runden (4.359 Kilometer) mit einem Vorsprung von 3,028 Sekunden auf WRT-Schlussfahrer Filipe Albuquerque. "Der Champagner knallt schon ordentlich rein nach so einem Rennen - aber das war erst der Anfang! Woohoo!", sprudelte es aus Castroneves heraus, der in den USA seit Jahrzehnten zu den beliebtesten Rennfahrern zählt.

Und das nicht nur wegen seiner lockeren Art, sondern auch wegen seiner Erfolge: Viermal gewann der Mann aus Sao Paulo die legendären 500 Meilen von Indianapolis: 2001, 2002, 2009 und zuletzt 2021, also 20 Jahre nach seinem ersten Erfolg im Brickyard. In der IndyCar-Serie gelang Castroneves erstaunlicherweise kein Meisterschaftssieg, dafür aber vier Vize-Titel in den Jahren 2002, 2008, 2013 und 2014.

Castroneves' nächstes Ziel: Le Mans

Im Jubelsturm wurde Castroneves nicht müde, direkt das nächste Ziel auszugeben: "Lasst uns nach Le Mans gehen! Da war ich noch nie, würde aber liebend gerne mal dort fahren. Das Alter ist kein Problem, mir rennt die Zeit nicht davon. Erfahrung ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich bin sicher, dass mich viele Fans auch gern in der NASCAR sehen würden - ich kann aber nicht vorhersagen, was da dann los wäre!"

Für die kurzfristige Karriereplanung hat sich Castroneves unterdessen eine Rückkehr in die IndyCar-Serie 2022 vorgenommen. In der vergangenen Saison konnte er aufgrund von Sponsoren-Schwierigkeiten nur sechs Rennen für sein Team Meyer Shank bestreiten, darunter bekanntermaßen der Sieg beim Indy 500.

Auf zur Rolex-Uhr: Helio Castroneves auf dem Podium, Foto: LAT Images
Auf zur Rolex-Uhr: Helio Castroneves auf dem Podium, Foto: LAT Images

Castroneves: "Das Feuer brennt noch in mir"

Sein Geheimnis, auch im für einen Rennfahrer gehobenen Alter weiter auf Top-Niveau abliefern zu können: "Leidenschaft! Wenn du liebst, was du tust und Spaß daran hast, dann kann es klappen. Das ist das Geheimnis. Das Feuer brennt noch in mir. Wenn du aber anfängst zu überlegen, ob es das noch tut, dann solltest du aufhören. Ich will weitermachen, ich liebe diese Umgebung. Sie ist meine Komfortzone, meine Therapie."

Bemerkenswert: Er lerne jeden Tag etwas Neues und verbessere sich als Fahrer, merkte Castroneves an, der in fast 30 Jahren Automobilsport schon so ziemlich alles erlebt hat. "Und er wird immer besser!", scherzte Teamkollege und Indy-500-Sieger von 2019, Simon Pagenaud, der in Daytona gleich sein erstes Rennen mit Meyer Shank Racing gewann.

Pagenaud, der mit seinen 37 fast zehn Jahre jünger ist als der aufgedrehte Castroneves, über den Schlüssel zum Gesamtsieg auf dem Daytona International Speedway mit seinen berühmten Ovalkurven: "Die Strategie war entscheidend. Wir konnten Sprit sparen und länger fahren als alle anderen. Am Ende haben wir nur wenig nachgetankt und konnten den anderen zuvorkommen. Das war ein Sieg des gesamten Teams."

Daytona: Zeit für den Spider-Man

Das gesamte Team - mit Ausnahme des wohlbeleibten Jim Meyer ("Niemals!"), seit 2017 Miteigner und Namensgeber, konnte es sich nach dem packenden Daytona-Rennen nicht nehmen lassen, Castroneves bei seinem berühmten 'Signature-Move' zu folgen: Auch in Daytona kletterte der Mann mit dem passenden Spitznamen 'Spider-Man' den Fangzaun auf der Start/Ziel-Geraden hoch und ließ sich von den Fans auf der riesigen Zuschauertribüne gebührend feiern. Auch dafür ist Castroneves noch lange nicht zu alt.

Klassiker: Spider-Man Helio und Co. erobern den Zaun, Foto: LAT Images
Klassiker: Spider-Man Helio und Co. erobern den Zaun, Foto: LAT Images