See, Schickeria oder Segelschiffe samt Champagner spritzenden Superreichen. Denkt man an Starnberg, denkt man an vieles, aber sicherlich nicht an den Motorsport. Umso überraschender klingt es, dass ausgerechnet Spitzentechnologie aus der Formel 1, aus Le Mans, der Formel E oder inzwischen der Rallye-Weltmeisterschaft direkt aus dem mondänen Ausflugs- und Erholungsort rund 25 Kilometer südlich von München stammt. Und das schon seit vielen Jahren, allerdings zumeist und aus gutem Grund unter dem Radar der Öffentlichkeit.

Vom damaligen KERS-System der Formel-1-Teams BMW und Honda hat jeder Motorsport-Fan schon einmal gehört, auch vom Audi R18 e-tron quattro, mit dem die Ingolstädter die legendären 24 Stunden von Le Mans zwischen 2012 und 2014 dominierten. Oder von Audis und Abt Sportslines Erfolgen in der Formel E mit dem Gewinn von Fahrer- und Team-Meisterschaften. Dass an all diesen Erfolgen ein Unternehmen namens Compact Dynamics seinen Anteil hat, wissen aber wohl nur absolute Insider.

Dabei spielt das am Ortseingang von Starnberg - nach links hin geht's zum See, nach rechts zum Firmengelände - gelegene Unternehmen seit vielen Jahren eine technologisch wichtige Rolle im Rennsport. Was einst 2001 in einer Zusammenarbeit mit dem Formel-1-Rennstall Williams begann, mündete schließlich in der Entwicklung des gesamten Vorderachs-Hybridsystems in Audis LMP1-Monster und dem Bau des kompletten Antriebsstranges für den Formel-E-Renner des Autobauers mit den vier Ringen.

WRC 2022: Start in eine neue Ära, Foto: Red Bull Content Pool
WRC 2022: Start in eine neue Ära, Foto: Red Bull Content Pool

Verschwiegenheitsklauseln und Herstelleransprüche sorgten dafür, dass Compact Dynamics in den vergangenen Jahren ähnlich unter dem Radar der Öffentlichkeit agierte wie der Bezug zwischen Starnberg und dem Motorsport. Während andere Unternehmen auf ihren Internetseiten gern nur so mit großen Partnernamen um sich schmeißen, sucht man bei Compact Dynamics vergebens. Nach Abschluss einiger Projekte darf die 85-köpfige Mannschaft rund um Geschäftsführer Oliver Blamberger uns aber doch den einen oder anderen Einblick ins Rennsportgeschäft gewähren.

Und bei unserem Besuch - aus der Münchner Redaktion ist es nur ein Katzensprung über die Autobahn - staunen wir nicht schlecht, als wir bei unserem Gespräch plötzlich eine waschechte MGU-K (kinetische Motorgeneratoreinheit), wie sie seit 2014 in der Formel 1 zum Einsatz kommt, in den Händen halten. Ein Modell direkt aus dem 3D-Drucker, wie Blamberger erklärt, "um mal eine Benchmark in diesem Bereich zu setzen". Ob wir ein Foto schießen dürfen, schließlich hat man nicht tattäglich Top-Technologie mit F1-Standard vor der Nase. "Lieber nicht", sagt Blamberger mit einem Grinsen im Gesicht. Wer weiß, wofür das Teil in Zukunft noch gut sein könnte...

Oliver Blamberger erklärt das Hybridsystem bei unserem Werksbesuch, Foto: Motorsport-Magazin.com
Oliver Blamberger erklärt das Hybridsystem bei unserem Werksbesuch, Foto: Motorsport-Magazin.com

"Seitdem wir mit BMW in der Formel 1 waren, haben wir den Antrieb, dort wieder hinzukommen", verrät Blamberger, der seit 2013 die Geschäftsführung bei Compact Dynamics innehat und schon als Kind Formel-1-Fan und Rennsport begeistert war. "Von einem Hersteller wurden wir gefragt, was wir denn im Angebot hätten. Erstmals haben wir uns 2016 mit dem Thema auseinandergesetzt im Rahmen von Machbarkeitsstudien." Ein Auge schielt sicherlich in Richtung des künftigen Motorenreglements ab 2026, wenn die MGU-K beim wahrscheinlichen Wegfall der MGU-H eine noch größere Rolle einnehmen wird.

Bis es soweit ist, wird den Ingenieuren von Compact Dynamics aber sicherlich nicht langweilig, das nächste Großprojekt steht längst in den Startlöchern. Und lief lange Zeit auch auf dem hauseigenen Prüfstand, der im Herzen der rund 2.500 Quadratmeter Arbeitsfläche von Compact Dynamics steht: das nagelneue Hybridsystem, das die Hersteller der Rallye-Weltmeisterschaft ab der Saison 2022 erstmals nutzen werden. Compact Dynamics als 100-prozentigem Tochterunternehmen des Automobil- und Industriezulieferers Schaeffler ist es gelungen, bei der hart umkämpften FIA-Ausschreibung den Zuschlag als exklusiver Lieferant zu erhalten.

Ford startet bei der Monte 2022 in neuem Look, Foto: Red Bull Content Pool
Ford startet bei der Monte 2022 in neuem Look, Foto: Red Bull Content Pool

Das hochperformante Hybridsystem in P3-Topologie vereint Motorgenerator, Steuereinheit und Batterie in den Rennwagen von Toyota, Hyundai und M-Sport mit Ford. Beim Werksrundgang dürfen wir einen Blick auf eines dieser Systeme werfen, fein säuberlich in einer Kiste verpackt zum Abtransport an die Hersteller. Erstmals bei der ikonischen Rallye Monte-Carlo im Januar 2022 unterstützt die 100 kW starke Technologie dann die 380 PS starken 1,6-Liter Turbomotoren der WRC-Boliden.

"Wir haben in der Vergangenheit mehrfach die FIA mit unserer Expertise beraten", erklärt Blamberger den Werdegang des Projekts. "Ich war auch mal bei einem Treffen der FIA Working Group, da sitzt alles, was Rang und Namen hat. Das ist schon ein Erlebnis. Für uns als Team war klar, dass wir an der nächsten Ausschreibung teilnehmen werden, weil wir in so vielen Rennserien wie möglich vertreten sein wollen." Compact Dynamics konnte sich vor dem Gremium des automobilen Weltverbandes gegen große Konkurrenten durchsetzen und tauchte damit gleichzeitig erstmals namentlich auf der Landkarte des Rennsports auf.

Zeit für einen Latte Macchiato zur Feier am Ufer des Starnberger Sees mit Blick auf die traumhafte Alpenlandschaft blieb allerdings nicht. Nur acht Monate Entwicklungszeit hatte das Team ab April 2020 bis zum ersten Prototypen im Januar 2021, dazu zahlreiche Feedback-Schleifen mit den Herstellern bis hin zur Einfrierung des Designs im Juli dieses Jahres und der anschließenden, hauseigenen Fertigung der Komponenten. "Zum Teil haben wir uns auf neues Terrain begeben, weil wir nicht nur für den Motor und den Umrichter verantwortlich sind, sondern für das gesamte Hybridsystem", sagt Blamberger, der auch von langen Nächten für das Team berichtet, um die schier unzähligen Vorgaben der FIA zu erfüllen und sämtliche Vertragsinhalte zu klären.

Compact Dynamics entwickelt das Hybridsystem für die WRC, Foto: Motorsport-Magazin.com
Compact Dynamics entwickelt das Hybridsystem für die WRC, Foto: Motorsport-Magazin.com

Die Entwicklung eines einheitlichen Hybridsystems, das den brutalen Rallye-Bedingungen wie Eis und Schnee in Monte-Carlo oder der staubigen Piste der Safari-Rallye in Kenia standhalten muss, ist nicht ohne Risiko. "Wir versuchen bei Compact Dynamics immer, in Chancen statt in Risiken zu denken, und für uns als Marke bedeutet das eine große Chance", gibt sich Blamberger nach den Erfahrungen der letzten Hersteller-Testfahrten zuversichtlich. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht."

Um den extremen Herausforderungen gerecht zu werden, konnte Compact Dynamics auf Erfahrungen im Motorsport zurückgreifen, kalt kann es schließlich auch in den Nächten von Le Mans werden und große Höhenlagen kennt das Unternehmen unter anderem von den Mexiko-Rennen der Formel E. Auch das Wissen, das die Ingenieure bei elektrischen Propellerantrieben für Flugzeuge gesammelt haben, war hilfreich. "Wir konnten auf Erfahrungswerten an der Grenze des Technischen aufbauen, die auch im Motorsport funktionieren", sagt Blamberger.

Das Hybridsystem für die WRC war eine Neuentwicklung, bei der gleichzeitig Kenntnisse etwa aus dem alten und hochkomplexen LMP1-Antriebssystem einflossen. Überhaupt hat das 'Recycling' auf höchstem Niveau gute Tradition bei Compact Dynamics: Teile des Schwungradspeichers aus dem für Honda gefertigten Formel-1-KERS fanden zusammen mit Schaeffler später den Weg in das Demonstrationsobjekt für eine Hafenkran-Anwendung. Und ein auf einen halben Meter Durchmesser skalierter Generator aus einem Le-Mans-Auto erfuhr tatsächlich im Hybridsystem für einen Linienbus ein zweites Leben.

Toyota, Hyundai und M-Sport mit Ford starten in der WRC, Foto: Red Bull Content Pool
Toyota, Hyundai und M-Sport mit Ford starten in der WRC, Foto: Red Bull Content Pool

"Wir versuchen im Wesentlichen, Technologien aus dem Motorsport zu nutzen, um sie für unseren Gesellschafter Schaeffler für Serienapplikationen zu nutzbar zu machen", erklärt Blamberger. "So haben wir in den vergangenen zwölf Monaten für Schaeffler erstmals Faserverbundwerkstoffe für die Serienanwendung in einer Axialfluss-E-Maschine zur Anwendung gebracht. Ein wunderbares Resultat unserer Race-to-Road/Product Strategie. In nicht allzu ferner Zeit kann Jeder Renntechnologie im eigenen E-Auto selbst spüren."

Die Hybrid-Box im Rallye-Auto inklusive aller Komponenten ist quer hinter dem Fahrersitz über die gesamte Wagenbreite eingebaut, wiegt rund 85 Kilogramm und ist 45 Zentimeter hoch. Sicherheits-Features, wie eine Kupplung zur möglichen Abkopplung des autarken Hybridsystems oder ein Sound-Modul zur Warnung für umstehende Zuschauer, gehören ebenso wie die aus Starnberg stammende Software zum Paket. Nur die Batterie des Plug-In-Hybridsystems kommt von Technologiepartner Kreisel aus Österreich.

Während die Inhalte des WRC-Projekts größtenteils transparent sind und der Name 'Compact Dynamics' auch öffentlich groß drüberstehen darf, geht es nach bester Motorsport-Tradition im Unternehmen doch nicht ganz ohne Verschwiegenheit. "Wir arbeiten momentan an einem Projekt für ein WEC-Hypercar", verrät Blamberger zum Abschluss, ohne dabei näher ins Detail zu gehen.