Der Polo R WRC mit der Startnummer 9 fährt über die Ziellinie. Es ist geschafft: Andreas Mikkelsen hat in Spanien das Duell gegen seinen Teamkollegen Jari-Matti Latvala gewonnen und ist Zweiter. Die Freude ist groß. Mitten im Interview allerdings der fragende Blick, die Augen werden groß, der Kopf wandert nervös vom Interviewer zu Beifahrer Ola Fløene hin und her. "Steht er wirklich in der Prüfung?", kommt dann fragend über Mikkelsen Lippen. Ungläubiges Staunen, er beginnt zu verstehen, langsam, sehr langsam: Er hat seine erste Rallye in der WRC gewonnen. Spätestens der Blick zum weinenden Fløene lässt keine Zweifel mehr offen. Etwas zittrig nimmt er die Hand seines Beifahrers, das Gesicht des Norwegers wechselt von Anspannung auf Freunde und endet bei purer Euphorie.

Andreas Mikkelsen hat bei seinem 64. Start in der WRC seinen ersten Sieg erzielt - in einem Finale, dass an Spannung kaum zu überbieten war. Mit mehr als 50 Sekunden Rückstand auf Weltmeister Sebastien Ogier war er in die Power Stage gestartet. Das Ziel war klar: die Bestzeit sichern und damit Teamkollege Jari-Matti Latvala auf Abstand halten. Als sich durch Ogiers Unfall nur vier Kilometer vor dem Ziel die Ereignisse plötzlich überschlagen, war es nicht mehr Rang zwei, es war der Sieg.

"Ich habe das noch nicht richtig begriffen. Meine Strategie war, den dritten Platz in der Weltmeisterschaft hier zu sichern und dann vielleicht in Wales anzugreifen", erklärte Mikkelsen. "Ich glaube, ich bin heute mit dem richtigen Fuß aufgestanden. Ich fühlte mich gut, habe aber nur an den Kampf mit Jari gedacht. Als ich schließlich über das Teamradio gehört habe, dass Ogier auf der Prüfung stehengeblieben ist und ich gewonnen habe, konnte ich es nicht glauben."

Alle Anspannung fällt ab: Andreas Mikkelsen siegt in Spanien, Foto: Sutton
Alle Anspannung fällt ab: Andreas Mikkelsen siegt in Spanien, Foto: Sutton

Der lange Weg zum Erfolg

Mikkelsens Weg zum ersten Sieg war ein harter. Am Freitag auf Schotter fiel der Norweger zeitweise bis auf Rang sechs zurück. Stück für Stück ging es schließlich nach vorne - bis auf Rang zwei. Am Samstagabend musste sich Mikkelsen allerdings Latvala geschlagen geben, der ihm auf nur einer Prüfung fünf Sekunden abnahm und wieder vorbeizog. Ein spannender Kampf stand bevor, denn die beiden Volkswagen-Piloten trennte nur ein Wimpernschlag.

Am Sonntag ging es schließlich hin und her. Ausschließlich Latvala und Mikkelsen teilten sich die Prüfungs-Bestzeiten untereinander auf und bewegten sich im Zehntelsekunden-Bereich voneinander weg und wieder zu. Erst auf WP21 schien die Entscheidung gefallen. Mit einem Plattfuß erreichte Latvala das Ziel und verlor neun Sekunden auf Mikkelsen. Doch das Glück für den Norweger hielt nicht lange. "Ich hatte einen großen Dreher direkt auf der Prüfung danach, das war tatsächlich ein großer Vorfall in der ersten Kurve. Damit war es vor dem Finale richtig eng", erinnerte sich Mikkelsen.

Von Volkswagen-Motorsport-Direktor Jost Capito gab es dazu einen kleinen Einblick in das Kommando-Zentrum bei Volkswagen. "Der Ingenieur von Jari-Matti und der von Andreas sitzen sich direkt gegenüber und ihre Gesichtszüge veränderten sich mehrfach von lachend zu traurig über den Tag", lachte Capito. "Es war wirklich interessant, diese Körpersprache zu sehen."

Die Emotionen kochten über bei Andreas Mikkelsen, Foto: Sutton
Die Emotionen kochten über bei Andreas Mikkelsen, Foto: Sutton

Die Power Stage

Mikkelsen wusste, dass er eine perfekte Prüfung brauchte. Das war ihm zuvor in Spanien noch nicht gelungen. "Ich wusste, dass Jari diese Prüfung liebt, aber ich habe diese perfekte Prüfung geschafft", so Mikkelsen, der zu Beginn nicht glauben konnte, dass Ogier wirklich abgeflogen war. Er dachte im ersten Moment, die Reporter am Prüfungsende würden ihn veräppeln, bis die Nachricht auch über den Teamfunk zu ihm drang. "Ein fantastisches Ergebnis für uns und so großartig, dass wir nun diesen ersten Sieg erzielt haben. Es war ein langer, wirklich langer Weg und jetzt ist dieser erste Sieg endlich da. Es fällt nun eine große Last von meinen Schultern. Ich habe es nun geschafft und es zu wiederholen, wird einfacher sein."

Großes Lob gab es auch von Capito, der immer an Mikkelsens Talent geglaubt hatte. "Er war schon ein paar Mal in diesem Jahr nah dran. Er hat wirklich bis zum Ende Druck gemacht und sich keinen einzigen Fehler erlaubt", sagte der Motorsport-Direktor. Besonders beeindruckt war Capito von Mikkelsens-Prüfungszeiten am Sonntagmittag - unter anderem auch der Bestzeit in der Power Stage. "Sie waren wirklich unglaublich gut."

Als Mikkelsen schließlich zurück in den Service Park gefahren kam, gab es für Capito nur noch ein Ziel: Im Laufschritt rannte er von der Volkswagen-Hospitality zu seinem Fahrer und die beiden fielen sich in die Arme. "Ich habe ihm gesagt, dass ich daran geglaubt habe, dass er es dieses Jahr schafft. Und ich habe gesagt, dass er das schon längst verdient hat und dass wir gewusst haben, dass er dieses Jahr eine Rallye gewinnen wird."

Mikkelsen mindestens Dritter in der Weltmeisterschaft

Mit seinem ersten Sieg in der WRC hat Mikkelsen zudem den Kampf um Rang zwei in der Weltmeisterschaft weiterhin offen gehalten. Der Norweger liegt mit 154 Punkten auf Rang drei - 26 Punkte hinter Latvala. Um die Vizemeisterschaft zu erreichen, müsste er beim Saisonfinale in Wales sowohl die Rallye, als auch die Power Stage gewinnen, während Latvala maximial einen Punkte holen dürfte. Klar ist nach seinem Sieg in Spanien aber eines: zum zweiten Mal in Folge beendet der Norweger die WM-Saison unter den besten Drei.