Totale Freiheit oder Kreativität in engen Grenzen - was liegt einem Motorsport-Ingenieur mehr?
Willy Rampf: Ich denke, zehn von zehn Ingenieuren würden die totale Freiheit wählen, wenn sie dürften, weil das auf den ersten Blick interessanter ist. Aber das wäre im Motorsport vermutlich nicht bezahlbar. Ein Fahrzeug nach strengen Spielregeln zu konstruieren, ist deshalb das Sinnvollste. Ein solches Reglement gilt für alle Teilnehmer. Das heißt, überall dort, wo die kreativeren Köpfe und die besten Ingenieure sitzen, werden auch die besten technologischen Lösungen entwickelt. Die Herausforderung für die Ingenieure ist also auch in engen Grenzen mindestens genauso groß.

Was ist in der Rallye-WM die große Herausforderung für einen Techniker?
Willy Rampf: Die Performance von einem Rallye-WM-Fahrzeug ist stark von der Mechanik abhängig. Das Fahrwerk und das Chassis spielen also eine enorm wichtige Rolle. Was für ein Formel-1-Fahrzeug die Aerodynamik ist, ist für ein World Rally Car der mechanische Grip. Das heißt, dass wir Ingenieure im Grunde genommen nach der optimalen Fahrbarkeit bei unterschiedlichen Fahrbahn- und Klimabedingungen suchen.

Wenn Sie drei Stichworte nennen könnten, die das Besondere an einem World Rally Car beschreiben - welche wären das, und warum?
Willy Rampf: Die Fahrer wollen am liebsten ein Fahrzeug haben, das auf kleinste Änderungen von Lenkung oder Gaspedalstellung reagiert, auf gut Deutsch also besonders agil ist. Agilität ist somit ein Stichwort. Zuverlässigkeit ist das zweite. Das ist ein großes Thema, denn die Rallye-WM wird auf vier Kontinenten, auf Schotter, Asphalt, Eis und Schnee, ausgetragen. Unter all diesen Bedingungen muss das Auto also zuverlässig sein. Die dritte große Überschrift über einem World Rally Car wäre Service-Freundlichkeit. In jedem Bauteil stecken viele Gedanken, wie man es besonders schnell austauschen kann. Ein Beispiel: Der Getriebewechsel im Polo R WRC ist nach zwölf Minuten abgeschlossen.

Werden die Mechaniker bei der Entwicklung eines Rallye-WM-Fahrzeugs demnach mit einbezogen?
Willy Rampf: Ein klares Ja. Simples Beispiel: Wenn uns ein Mechaniker sagt, dass man diese oder jene Stelle mit dem Schraubenschlüssel nicht erreichen kann, brauchen wir die Konstruktion des Bauteils gar nicht fertigzustellen. Wenn man für irgendetwas fünf Hände braucht, dann geht das nicht - so viele Schrauber passen gar nicht unter das Auto. Ganz klar, Mechaniker und Ingenieure arbeiten Hand in Hand. Und das funktioniert bestens.

Performance hat höchste Priorität

In welchen Bereichen des Polo R WRC wurde besonders viel Innovationskraft investiert?
Willy Rampf: Wir haben uns viele Gedanken um das Fahrwerk gemacht und darum, wie man möglichst viel mechanischen Grip erzeugen kann. In dieser Hinsicht steckt viel Innovationskraft im Polo R WRC. Das haben wir für 2014 kräftig vorangetrieben. Aber auch in den Motor wurde viel Engineering gesteckt. Er hat eine enorm gute Fahrbarkeit und ist extrem zuverlässig.

Die Performance hatte beim Polo R WRC höchste Priorität., Foto: Sutton
Die Performance hatte beim Polo R WRC höchste Priorität., Foto: Sutton

Kann man eine Philosophie benennen, der der Polo R WRC folgt?
Willy Rampf: Ziel war es von Anfang an, das Auto auf maximale Performance auszulegen. Es ist einfacher, ein schnelles Auto zuverlässig zu machen, als ein zuverlässiges schnell. Wenn man ein schnelles Auto hat, dann kann man mit viel Ingenieursgeist und intensiver Arbeit aus ihm ein zuverlässiges machen. Wenn man jedoch feststellt, dass man ein standfestes Auto hat, aber in Sachen Performance mit dem Fahrzeugkonzept danebenliegt, dann ist es nach der Homologation kaum noch möglich, mehr Performance herauszuholen. Dazu sind die Änderungsmöglichkeiten innerhalb des Reglements der Rallye-WM zu gering. Deshalb war unsere Philosophie: Performance hat höchste Priorität.

Einer Ihrer Grundsätze lautet "Fehler, die man nicht zu hundert Prozent behebt, kommen hundertprozentig wieder". Wie viel Arbeit war in dieser Hinsicht am Polo R WRC, Version 2014, nötig?
Willy Rampf: Die Fehler, die im vergangenen Jahr aufgetreten sind, haben wir genau nach diesem Grundsatz abgearbeitet. Wenn ein Teil bricht, könnte man sagen: Das ist jetzt zwar einmal vorgekommen, wird in Zukunft aber vermutlich nie wieder geschehen. Das ist unserer Meinung nach jedoch die falsche Herangehensweise. Wir haben uns gefragt, was wir tun müssen, damit ein Fehler nie wieder auftritt - auch wenn es sich nur um eine Bagatelle gehandelt hatte.

Die Qualitätssicherung spielt im Motorsport eine große Rolle. Wie verlaufen für den Rallye-WM-Einsatz die Wege in dieser Hinsicht bei Volkswagen?
Willy Rampf: Jede Komponente, die produziert oder angeliefert wird, geht bei uns durch die Qualitätskontrolle. Die Dimensionen und Konturen werden vermessen, die Oberfläche und die Härte werden überprüft. Parallel dazu werden aber auch immer wieder Teile geopfert, also bewusst zerstört, um die Belastbarkeit und Beschaffenheit nachzuweisen. Aber die meisten Checks verlaufen zerstörungsfrei - etwa per Röntgenstrahlen oder Ultraschall. Und das wird zumeist bei den Kollegen in Wolfsburg gemacht.

Welches ist denn für Sie die schönste Rallye im Kalender?
Willy Rampf: Ganz klar: Portugal. Das war im vergangenen Jahr die spannendste Rallye, weil sie am härtesten für das Material war. Dort waren wir Ingenieure auch als Problemlöser gefragt. Aber im Grunde genommen haben wir es auch gern langweilig.

So schnell kann's gehen - die Service-Zeiten beim VW Polo R WRC

Reifenwechsel:
1 Minute pro Reifen

Getriebewechsel:
12 Minuten

Stoßdämpferwechsel:
3 Minuten pro Dämpfer/Feder-Einheit

Lenkung justieren:
1 Minute, 30 Sekunden

Frontschürze wechseln:
1 Minute

Heckschürze wechseln:
1 Minute, 30 Sekunden

Zusatzscheinwerfer ("Nightface") montieren:
2 Minuten

Scheinwerfer tauschen:
1 Minute

Querlenker tauschen:
4 Minuten

Bremsbeläge und -scheiben wechseln:
3 Minuten