Das WEC-Rennen auf dem Nürburgring liegt nun zwar schon knapp sechs Wochen zurück, aber das Rennen erregt im Lager der LMP1-Hersteller immer noch die Gemüter. Konkret geht es um die Full Course Yellow Phasen während des Rennens. "Wir hatten die besseren Rundenzeiten, doch die Gelbphase hat uns leider zurückgeworfen", wurde Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich bereits im Anschluss an das Rennen in der offiziellen Pressemitteilung zitiert.

Doch auch einige Fahrer gingen mit diesem System der Renn-Neutralisierung hart ins Gericht. Mark Webber und André Lotterer beispielsweise bezeichneten die Full Course Yellow Phasen während des Rennens als Russisches Roulette! Motorsport-Magazin.com hat aufgrund dieser Vorwürfe einmal bei den involvierten Parteien nachgefragt und die Hintergründe zur Situation analysiert:

Die Argumentation der FCY-Befürworter Porsche und ACO

Ursprünglich sollten die Full Course Yellows die Sicherheit auf der Strecke erhöhen. Bei einem Abflug, Dreck auf der Strecke, oder sonstigen Zwischenfällen, die die Streckenposten auf den Plan rufen, gibt es mehrere Möglichkeiten, ein Rennen zu neutralisieren: Man kann das Safety Car auf die Strecke schicken, Slow Zones einrichten, oder gleich eine Full Course Yellow ausrufen. In Le Mans arbeitet man mit Slow Zones, während der restlichen WEC-Saison wendet man das FCY-System an. "Das ist die beste Möglichkeit, die wir haben, da sie das sportliche Geschehen nicht so sehr beeinflusst wie ein Safety Car", meint ACO-Sportdirektor Vincent Beaumesnil auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Absolute Fairness kann aber auch dieses System nicht garantieren, das ist Beaumesnil bewusst.

"Das Safety Car hat einen wesentlich größeren Einfluss auf das Renngeschehen, also ist eine FCY schon das Richtige. Die Rennleitung ruft FCY's aber aus, wenn es nötig ist, und obwohl es ihr Job ist, so fair wie möglich zu sein, ist es für sie unmöglich, die individuelle Strategie von 30 verschiedenen Autos dabei zu berücksichtigen." Unterstützung erfahren Beaumesnil und der ACO dabei Porsche. Logisch, möchte man denken, brachte doch die zweite FCY des Nürburgring-Rennens die Zuffenhausener auf die Siegerstraße. "Porsche hat von Anfang an die Idee hinter der Full Course Yellow-Lösung unterstützt und wird dies auch weiterhin so tun", erklärt Teamchef Andreas Seidl auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com.

"Das Wesen der Full Course Yellow-Lösung erhöht die Sicherheit für auf der Strecke gestrandete Fahrer und vor allem auch für das Streckenpersonal erheblich, da FCY natürlich sicherer ist als normale gelbe Flaggen - selbst bei kleineren Zwischenfällen", fährt Seidl fort. Verständnis hat Porsche allerdings auch für die Situation der Rennleitung, denn auch sie wissen, dass kein System totale Fairness garantieren kann: "Eines ist allerdings auch klar, egal ob gelbe Flaggen, FCY, Slow Zones oder SC, es wird immer so sein, dass der eine oder andere Rennteilnehmer mehr oder weniger davon profitiert. Entsprechend sind natürlich auch die augenblicklichen emotionalen Reaktionen aus dem Cockpit", bringt Seidl Verständnis auf.

Audi lag in Führung - bis das Rennen zum zweiten Mal neutralisiert wurde, Foto: Audi
Audi lag in Führung - bis das Rennen zum zweiten Mal neutralisiert wurde, Foto: Audi

Das hatte Audi zu den Full Course Yellows am Nürburgring zu sagen

Auch bei Audi hat man eine Meinung zum Full Course Yellow System. Grundsätzlich steht man diesem aufgeschlossen gegenüber. "Für Audi gilt ganz klar: 'Safety first'. Es ist wichtig, dass die Rennleitung auf Gefahrensituationen angemessen reagieren kann. Es stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: eine Full-Course-Yellow-Phase oder eine Slow Zone", beschreibt Audis LMP-Leiter Stefan Dreyer auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Betrachtet man jedoch das große Ganze während des Rennens, wird deutlich: Bei Audi mussten die Beteiligten wohl vor Wut schäumen ob der zweiten FCY am Nürburgring.

"Am Nürburgring trat die Full Course Yellow kurz nach einem Boxenstopp von Audi in Kraft – die Konkurrenz dagegen konnte den planmäßigen Tankstopp während der aktiven FCY-Phase absolvieren. Audi hat dadurch mehr als 40 Sekunden Zeit und damit auch die Führung verloren", schimpft Dreyer noch immer. Und damit nicht genug: Nach Ansicht von Audi war das Ausrufen der FCY eine übertriebene Maßnahme. Für das Säubern der Strecke in Kurve sechs (dies war der Auslöser für die FCY) wäre laut Audi eine weniger drastische Maßnahme angemessener gewesen. Darauf weist auch Dreyer hin: "Wäre stattdessen an der betreffenden Stelle eine Slow Zone in Kraft getreten, hätte Audi sicherlich deutlich weniger Zeit verloren."

Porsche ist sich der Wichtigkeit von Renn-Neutralisierungen bewusst, Foto: Speedpictures
Porsche ist sich der Wichtigkeit von Renn-Neutralisierungen bewusst, Foto: Speedpictures

An den Renn-Neutralisierungen wird permanent gearbeitet

Gerade solch harte Vorwürfe wie diejenigen von Audi sind der Anlass dazu, ständig an den Renn-Neutralisierungen zu feilen und das System zu verbessern. Andreas Seidl sieht die Sache ganz entspannt und verweist auf den permanenten Dialog: "Der Renndirektor, die Teilnehmer und die Sporting Working Group der WEC arbeiten permanent und im Dialog daran, das System noch zu verfeinern und so fair wie möglich zu gestalten." Das bedeutet jedoch nicht, dass die Full Course Yellow durch ein anderes System ersetzt wird. Viel mehr bildet die FCY eine Basis, die man kontinuierlich weiter entwickelt.

Denn ACO-Sportdirektor Beaumesnil ist vom System überzeugt: "Durch ein Safety Car kann ein Auto nahezu eine komplette Runde gewinnen oder verlieren. Das war schon immer so und jeder versteht, dass das unfair sein mag. Es ist unmöglich, ein Rennen ganz ohne Einfluss auf das Ergebnis zu neutralisieren. Daher ist eine Full Course Yellow die fairste Lösung." Gewinner und Verlierer wird es also immer geben, wenn es zu solchen Situationen kommt. Trotz allen Ärgers dürfte man das auch bei Audi wissen. Und, wie Porsche-Teamchef Seidl anmerkt: "In der Regel gleicht sich dieses Glück / Pech über die Saison aus."