Wer nach Le Mans eine Rechnung offen hatte, musste wirklich lange warten, um sie zu begleichen. Drei Monate lang war die World Endurance Championship in der Sommerpause, die die Werksteams zu fleißigen Testfahrten nutzte. Nach dem Highspeed-Spektakel gilt es nun, Hochabtriebs-Pakete für die letzten fünf Rennen zum Arbeiten zu bringen. Das Lone Star Le Mans ist der Auftakt zum meisterschaftsentscheidenden Endspurt mit fünf Rennen auf drei Kontinenten. Die LMP1-Klasse hat Zuwachs durch Lotus bekommen und das Verhältnis zwischen Hybridboliden und Leichtbaufahrzeugen wurde noch einmal angepasst - Hochspannung vor dem texanischen Rodeo-Ritt!

Wer hat das beste High Downforce Package?

Porsche tritt erstmals mit viel Abtrieb an, Foto: Porsche
Porsche tritt erstmals mit viel Abtrieb an, Foto: Porsche

Der Kampf der Werke geht wieder von vorne los. Seit Le Mans hat sich so viel verändert, dass man von einem ganz neuen Start sprechen kann. Zwei Siege und ein dritter Platz in Le Mans bescheren den Toyota-Piloten Nicolas Lapierre, Anthony Davidson und Sebastien Buemi die Tabellenführung mit 20 Punkten Vorsprung vor den Le-Mans-Gewinnern Andre Lotterer, Benoit Treluyer und Marcel Fässler auf ihrem Audi R18 e-tron quattro. Deren Teamkollegen Lucas di Grassi und Tom Kristensen liegen nur weitere sechs Punkte zurück. Noch enger ist es bei den Herstellern: Toyota führt mit einem Punkt Vorsprung vor Audi.

Nach dem herben Rückschlag in Le Mans kehrt das Toyota-Team mit neuer Motivation zurück: Der TS040 Hybrid war in Silverstone, als zuletzt mit viel Abtrieb gefahren wurde, das schnellste Auto. Doch viel Wasser ist seitdem die Sarthe heruntergeflossen. Der Vorteil ist, dass sich die Kölner bereits auf ein Auto im Titelkampf konzentrieren können. In den Vorjahren drehte Toyota erst nach Le Mans so richtig auf, doch damals konnte Audi in der Regel bereits die Entwicklung auf das nächstjährige Auto legen. Das Team rund um Yoshiaki Kinoshita wird gewarnt sein. Auf dem zweiten Fahrzeug wird Testfahrer Mike Conway sein Debüt geben, weil Kazuki Nakajima in Japan fährt.

In Silverstone war Toyota mit viel Abtrieb deutlich schneller als Audi, Foto: Toyota
In Silverstone war Toyota mit viel Abtrieb deutlich schneller als Audi, Foto: Toyota

Nach dem verhaltenen Saisonstart war Le Mans der Rettungsanker für Audi. Nun ist Ingolstadt wieder voll im Titelrennen und hat die Sommerpause gründlich für Testfahrten genutzt. Der nun höhere maximale Spritdurchfluss könnte Audi auf der langen Gerade von Austin helfen. Im Vorjahr hatten die R18 beim Speed klar die Nase vorn, doch das waren komplett andere Fahrzeuge. Nichtsdestotrotz will das Audi Sport Team Joest Nordamerika in beiden Meisterschaften führend verlassen. Lotterer, Fässler und Treluyer sowie di Grassi, Kristensen und der zurückkehrende Loic Duval werden alles geben, um zu zeigen, dass man nicht auf einen Ausfall der Konkurrenz angewiesen sein muss, um zu gewinnen.

Porsche kommt als große Unbekannte zum Circuit of the Americas. Austin wird das Renndebüt für das Weissacher High Downforce Paket sein. Die technischen Probleme in Le Mans hatte man durchaus einkalkuliert und performte sogar über weite Strecken über den eigenen Möglichkeiten. Nun geht es darum, wenigstens sechs Stunden ohne Probleme abzuspulen. Wie gut das Aerodynamikpaket für hohen Abtrieb sein wird, werden selbst Romain Dumas, Neel Jani und Marc Lieb sowie Timo Bernhard, Mark Webber und Brendon Hartley erst nach diesem Wochenende wissen. Wie Toyota profitiert auch Porsche von einer minimalen Anhebung der Durchflussmenge beim Boxenstopp.

Das lang ersehnte Lotus-Debüt

Die LMP1-L wird in doppelter Hinsicht spannend. In Austin debütiert der brandneue Lotus CLM P1/01-AER mit den Fahrern Christophe Bouchut, James Rossiter und Lucas Auer. Bislang sind so wenige Informationen nach außen kommuniziert worden, dass die Performance des Fahrzeugs eine absolute Unbekannte darstellt. Jedenfalls wird sich erstmals zeigen, wie gut Rebellion mit dem R-One, der seinerseits erst sein drittes Rennen absolviert, aufgestellt ist. Nach einem Jahr der Konkurrenzlosigkeit nimmt Rebellion Racing die Konkurrenz mit einem Handkuss im P1-L-Lager auf. Für Lotus wird es im ersten Rennen jedoch erst einmal darum gehen, die Zielflagge zu sehen.

Endlich bekommt Rebellion Racing Konkurrenz durch Lotus, Foto: Lotus
Endlich bekommt Rebellion Racing Konkurrenz durch Lotus, Foto: Lotus

Der zweite Spannungsbogen ist weniger aufsehenerregend, birgt aber Zündstoff: Die LMP1-L ist nach Le Mans noch einmal gepusht worden. Nur mehr 800 Kilogramm wiegen die hybridlosen Prototypen von Rebellion Racing und Lotus. Ein erhöhter maximaler Benzindurchfluss wird durch einen größeren Tank und einen größeren Tankrestriktor ausgeglichen. Die Maßnahmen, um die LMP1-L konkurrenzfähiger zu machen, gehen in den Augen mancher Experten mittlerweile so weit, dass sie die Leichtbauprototypen rein technisch sogar im Vorteil sehen. Nur die enormen Hersteller-Budgets würden den Unterschied machen. Austin wird also auch eine politische Bewährungsprobe.

Vorfreude auf Corvette-Einsatz

In der LMP2-Kategorie kommen völlig überraschend Sergey Zlobin und sein SMP-Team als Tabellenführer nach Austin. Die Neueinsteiger profitieren davon, als Einzige in Le Mans Punkte gemacht zu haben - wegen der Doppelwertung des Ultralangstreckenrennens sogar 50 an der Zahl. Die Favoriten von G-Drive Racing - Olivier Pla, Roman Rusinov und Julien Canal - werden aber alles dran setzen, die ursprüngliche Reihenfolge wiederherzustellen. Weil das amerikanische Team Extreme Speed Motorsports mit seinem HPD einen Gaststart absolviert und der Strakka-Dome nun erst beim Saisonfinale debütieren soll, stehen diesmal fünf LMP2 am Start.

Foto: Adrenal Media
Foto: Adrenal Media

Ein Leckerbissen ist in der GTE Pro zu erwarten: Corvette Racing nutzt die Doppelveranstaltung mit der USCC, um das WEC-Feld auch außerhalb von Le Mans aufzumischen - Traumsound ist garantiert. Gimmi Bruni und Toni Vilander kommen nach dem Le-Mans-Sieg mit einem ordentlichen Vorsprung von 27 Punkten auf die Porsche-Piloten Marco Holzer und Fred Makowiecki nach Austin. Hingegen die Meisterschaft abschreiben muss wohl Aston Martin Racing. Im Vorjahr aber war der V8 Vantage bis zum bitteren Ausfall durch Aufhängungsschaden das dominierende Fahrzeug in Austin. Doch seit Le Mans musste Prodrive 20 zusätzliche Kilo in ihren Nobelkarossen platzieren.

In der GTE Am hingegen hat Aston Martin Racing alle Trümpfe in der Hand: David Heinemeier Hansson und Kristian Poulsen reisen als Tabellenführer mit 18 Punkten Vorsprung auf ihren Teamkollegen Nicki Thiim nach Texas. Dahinter folgen die Ferrari-Piloten Luis Perez Companc, Marco Cioci und Mirko Venturi auf Rang drei. Zurückkehren wird auch der berüchtigte grün-gelbe Ferrari von Tracy Krohn. Das gemeinsame Event von USCC und WEC wird zum zweiten Mal ausgetragen, nachdem im Vorjahr die ALMS das Rahmenprogramm bildete. Durch die Unzufriedenheit des ACO mit dem Zuschauerandrang am Sonntag findet das Rennen nun Samstags statt - nach europäischer Zeit mitten in der Nacht von 0 bis 6 Uhr.