Christian Menzel ist Realist durch und durch. Der ehemalige DTM-Pilot und aktuelle Motorsport-Magazin.com-Kolumnist antwortet auf die Frage, ob er jungen Menschen raten würde, ihr Glück als Rennfahrer zu probieren: "Ich würde nicht eindeutig 'Ja' sagen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es heute mehr ums Geld als ums Talent geht. Wer ein großes Budget hat, der braucht weniger Talent und Passion. Die kleineren Teams im Motorsport sind fast immer auf Piloten mit Finanzpolster angewiesen und diese verdrängen bessere Fahrer."

Als Beispiel für einen solchen Paydriver verweist er auf Pastor Maldonado, Lotus-Pilot in der Formel 1. Dem Venezolaner wird häufig unterstellt, er habe nicht das fahrerische Können für die Königsklasse und sei dort nur aufgrund der massiven finanziellen Unterstützung eines Erdölkonzerns gelandet. Der Däne Kevin Magnussen dagegen, zuletzt Testfahrer bei McLaren, hat laut Menzel die sportliche Qualität, konnte sich aber bisher aufgrund fehlender Sponsoren-Gelder nicht langfristig in der F1 etablieren. "Das Talent macht letztendlich vielleicht 30 Prozent aus, um es ganz nach oben zu schaffen", findet auch Marvin Kirchhöfer, Dritter in der GP3-Gesamtwertung 2015.

Rennfahrer müssen erhebliche finanzielle Mittel aufbringen

Damit ist das wohl wichtigste Thema umrissen, das dem Branchen-Nachwuchs Sorgen bereitet: Anders als Fußball oder Tennis ist Motorsport von Beginn an mit hohen Kosten verbunden. Ein Pilot hat nicht automatisch ein starkes Team hinter sich, sondern ist zunächst einmal Einzelkämpfer. Meist müssen Eltern oder gegebenenfalls Sponsoren investieren. Förderungs-Einrichtungen wie die ADAC Stiftung Sport oder die Deutsche Post Speed Academy sind - zumindest in Deutschland - weitere Möglichkeiten. Der Finanzbedarf eines Rennfahrers ist groß.

Pastor Maldonado wird häufig vorgeworfen, dass seine Unfälle mit mangelndem fahrerischen Können zu tun haben, Foto: Sutton
Pastor Maldonado wird häufig vorgeworfen, dass seine Unfälle mit mangelndem fahrerischen Können zu tun haben, Foto: Sutton

In der zwischen 2002 und 2007 bestehenden Formel BMW ADAC (ab 2005 "Formel BMW Deutschland") mussten die meist 15-jährigen Fahrer jährlich etwa 200.000 Euro aufbringen. In der GP2 sind es derzeit vermutlich etwa zwei Millionen Euro, in der Formel 1 mitunter das Zehnfache. "Ich merkte schnell, dass alles, was über das Kart hinausging, nicht so leicht darstellbar war", erzählt Menzel von seinen eigenen Anfängen.

Für Kirchhöfer ist die ständige Suche nach Sponsoren der härteste Teil seines Jobs. "Es ist extrem schwierig für mich, immer wieder das nötige Budget für eine Saison zusammenzubekommen. Es kann sehr nervenaufreibend sein, wenn man nicht weiß, wie es genau im nächsten Jahr weitergeht im Motorsport", erklärt er.

Aller Anfang ist Kart

Das Kart gilt heute als der ideale Einstieg des Nachwuchses in die Branche. Eine deutliche Mehrheit der aktuellen Profis im deutschsprachigen Raum kam ursprünglich über diese Schiene. "Das Kart kann man als Grundschule des Motorsports betrachten", formuliert Jeffrey Schmidt, der unter anderem bereits im Porsche Carrera Cup und Supercup fuhr. "Daran führt heute kein Weg mehr vorbei", glaubt auch Marvin Dienst, 2015 Champion in der ADAC Formel 4.

Allerdings: Selbst Erfolg im Kart reicht bei Weitem nicht aus, um eine echte Chance auf ein Profi-Cockpit zu haben. Alle befragten Piloten sind sich beispielsweise einig, dass dafür auch bestimmte Charakterzüge nötig sind. Menzel beschreibt ein vielfältiges Anforderungsprofil: "Gas geben können viele. Aber man muss auch ein gutes 'Marketing-Instrument' für seinen Arbeitgeber sein. Die Hersteller sehen Motorsport schließlich als Werbung. Außerdem sind Leidensfähigkeit und Stressresistenz wichtige Faktoren."

Gute Netzwerker seien darüber hinaus im Vorteil, so Menzel weiter: "Heutzutage musst du dich innerhalb einer Marke politisch gut aufzustellen! Du musst Kontakte ausbauen und versuchen, Dir Vorteile zu erarbeiten, sonst bist du nach zwei Jahren wieder weg." Kirchhöfer hält noch ein weiteres Charaktermerkmal für wichtig. "Es klingt vielleicht blöd, aber um Profi zu werden, brauchst du eine gehörige Portion Egoismus. Du musst deinen eigenen Weg gehen und Durchhaltevermögen an den Tag legen", sagt der 21-Jährige. Zustimmung erhält der GP3-Pilot aus der Königsklasse. Ex-F1-Pilot Marc Surer hatte vor kurzem die harten Manöver Lewis Hamiltons gegen dessen Teamkollegen Nico Rosberg wie folgt kommentiert: "Der ist kein Netter, der ist Weltmeister!"

Das zweite Standbein

Wer nun glaubt, sportlich, finanziell und menschlich die richtigen Voraussetzungen mitzubringen, der muss außerdem den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg finden. Ab wann lohnt es sich für den Nachwuchs und dessen Eltern, den beruflichen Fokus voll auf das Thema Rennsport zu legen? Für Marvin Dienst ist das "die schwierigste Frage von allen". Der 18-Jährige absolviert neben seiner Karriere noch eine Ausbildung zum Automobil-Kaufmann und sagt den bemerkenswerten Satz "Man sollte sich ohne schlechtes Gewissen für den Motorsport entscheiden".

Jeffrey Schmidt rät ebenfalls dazu, einen (Neben-)Job zu haben, so lange man nicht mit Werksvertrag unterwegs ist. "Gerade in Deutschland und der Schweiz werden jungen Menschen ja auch abseits des Sports gute berufliche Möglichkeiten geboten", findet Schmidt, der nebenbei Wirtschaftswissenschaften studiert. Menzel rät ebenfalls zu Flexibilität. "Ich muss als Rennfahrer mehr zu bieten haben als nur fahrerisches Können, also notfalls auch einen anderen Job in der Automobilbranche machen, wenn es mit einem Profi-Cockpit auf Dauer nichts wird", empfiehlt er.

Viele Nachwuchs-Kräfte unterschätzen seiner Meinung nach die Härte der Branche. "Es ist schwierig, dem Leistungsdruck und den nicht immer schönen Entscheidungen standzuhalten. Du bist als Werksfahrer ein Angestellter und musst eigene Interessen oft hinten anstellen - für einen echten Racer ist das die Höchststrafe!", warnt Menzel. Laut Jeffrey Schmidt unterliegen junge Piloten oft dem Irrtum, Rennfahrer säßen hauptsächlich im Fahrzeug. "Das meiste spielt sich neben der Strecke ab. Hinzu kommt, dass du deinen Sport nicht wie ein Fußballer jeden Tag ausüben kannst. In den Zeiten, die du im Auto verbringst, musst du es dann auf den Punkt bringen", erzählt er.

Jeffrey Schmidt beim Porsche Carrera Cup 2015, Foto: Porsche AG
Jeffrey Schmidt beim Porsche Carrera Cup 2015, Foto: Porsche AG

"Alle unterschätzen die Härte des Weges und die Arbeit, die dahintersteckt. Oft denkt man, nur die ersten drei eines Rennens sind stark, dabei gibt es auch viele Gute im Mittelfeld, die alles geben", berichtet Marvin Dienst. Schmidt betont, dass auch ein nationaler Meister nicht davon ausgehen sollte, international sofort mithalten zu können. "Bis man sich dort etabliert, dauert es oft länger als erwartet und gewünscht. Es zählt eben auch die Erfahrung", so der Schweizer.

Trotz aller Mühen raten die Piloten, es zu versuchen

Auch ein großer Name ist nicht zwingend ein Vorteil. Sebastian Asch, aktueller Sieger der ADAC GT Masters und Sohn von Ex-DTM-Pilot Roland Asch, erklärt: "Wenn du den Namen im Rücken hast, bereitet das natürlich auch Druck. Das ist sicherlich auch bei Mick Schumacher so, der vermutlich drei Mal überlegen wird, ob er in die Fußstapfen seines Vaters treten will. Er hat sicher Vorteile, aber auch die Nachteile. Durch den Namen liegt die Messlatte hoch."

Sebastian Asch und Luca Ludwig, Sohn von DTM-Legende Klaus Ludwig, gewannen 2015 die ADAC GT Masters, Foto: ADAC GT Masters
Sebastian Asch und Luca Ludwig, Sohn von DTM-Legende Klaus Ludwig, gewannen 2015 die ADAC GT Masters, Foto: ADAC GT Masters

Trotz dieser Mühen und Hindernisse würden alle Befragten jungen Talenten raten, es zumindest zu versuchen, wobei Menzel wie oben erwähnt nicht uneingeschränkt zustimmt. "Natürlich, man muss träumen dürfen. Wer es nicht versucht, kann es nicht schaffen", findet Schmidt. "Wer es wirklich will, der sollte dranbleiben, aber auch ehrlich zu sich selbst sein: Wenn es keinen Spaß macht, darf man nichts erzwingen wollen", meint Dienst.

Ein Beispiel für die Komplikationen und Wendungen im Motorsport ist die Karriere von Maximilian Götz. Im Jahr 2003 gewann der Deutsche die Formel BMW ADAC - vor Sebastian Vettel. Später war er in der Formel 3 Teamkollege von Lewis Hamilton. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel musste er später eineinhalb Jahre pausieren. Die Konkurrenten von einst schafften dagegen den Sprung in die Formel 1. Doch er kämpfte sich zurück, gewann unter anderem die Blancpain Sprint Series und fährt heute DTM für Mercedes. "Ich habe mich zusammengerauft und bin immer dran geblieben. Die eineinhalb Jahre fehlen in meiner Vita. Es passiert nicht oft, dass man dann noch so ein Cockpit bekommt", hatte Götz vor der Saison 2015 gesagt.