Fast genau 23 Jahre ist es her. Am 25. Oktober 1998 verfolge ich zum ersten Mal wirklich bewusst ein Motorradrennen. Es ist das 250ccm-Finale in Buenos Aires. An den dramatischen Showdown zwischen Loris Capirossi und Tetsuya Harada erinnern sich bestimmt noch viele. Aus irgendeinem Grund begeistert mich an diesem Tag aber ein anderer Fahrer mehr.

Valentino Rossi, der schlaksige Jungspund mit der Nummer 46, übt auf mein neunjähriges Ich eine gewisse Faszination aus. Was es genau ist, kann ich damals nicht verstehen. Und dass Rossi da draußen in unzähligen Menschen dieselben Emotionen weckt, weiß ich in dieser Zeit lange vor Social Media ebenfalls nicht.

Dass er der nächste große Star des Motorradsports ist, wird aber bald klar. Wochenende für Wochenende verfolge ich Rossis Rennen und bin sauer, wenn ich aufgrund eines Kirchenbesuches am Sonntagmorgen mal eines verpasse. Der 250ccm-Titel, die ersten Erfolge in der Königsklasse: Papa und ich waren auf der heimischen Couch immer live dabei. Am Nachmittag stelle ich die Rennen mit dem Mountainbike und später dem 50ccm KTM-Mofa auf den umliegenden Feldwegen nach.

Zeitsprung ins Jahr 2015: Aus mir ist mittlerweile sowas wie ein Mann geworden. Abitur und Studium liegen hinter mir, seit zwei Jahren arbeite ich als Journalist. Und Ende Mai darf ich endlich erstmals direkt an der Strecke von einem MotoGP-Rennen berichten. Nach wenigen Stunden im Paddock sitze ich in der Yamaha-Hospitality. Wenige Meter von Valentino Rossi entfernt. Und dürfte sogar mit ihm sprechen. Ein surrealer Moment, wenn man über anderthalb Dekaden lang eine Person nur am TV-Schirm oder durch die Streckenzäune von Brünn gesehen hat und ihr nun quasi auf Augenhöhe begegnen darf.

Valentino Rossis Medienrunden: Stets ein Spektakel, Foto: Monster
Valentino Rossis Medienrunden: Stets ein Spektakel, Foto: Monster

"Never meet your heroes", rät man im englischen Sprachraum. Helden aus Film, Musik oder Sport könnten im Vergleich mit unserem idealisierten Bild von ihnen nur enttäuschen, so die These. Eine These, die ich nicht verifizieren kann. Natürlich, meine Sicht auf Valentino Rossi hat sich gewandelt. Von der bedingungslosen Heldenverehrung aus Kindheitstagen ist sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen VR46 in all seinen Facetten geworden. Das gebietet das journalistische Ethos. Und ja, dabei entdeckt man an seinem Idol auch Charakterzüge, die einen zur Weißglut bringen. Etwa die Tatsache, dass es Rossi praktisch nie schaffte, zu Medienterminen pünktlich zu erscheinen.

Es gab einige Aussagen, Manöver und Entscheidungen in Valentino Rossis Karriere, die ich nicht gutheißen konnte. Das ist aber auch nicht nötig. Was für mich zählt, ist der Valentino, den ich abseits der Strecke erleben durfte. Der Valentino, der sich Zeit nahm für seine Fans und geduldig Autogramme schrieb. Der Valentino, der auch nach den bittersten Niederlagen nicht sein Lächeln verlor und uns Journalisten bereitwillig Rede und Antwort stand.

Die Aura, die Valentino Rossi umgibt, kann ich bis heute schwer in Worte fassen. Was ich mit zunehmendem Einblick in diesen Sport aber immer mehr verstanden habe, ist, wie beeindruckend seine Erfolge wirklich waren. Und welch Privileg es ist, diese unglaubliche Karriere zumindest für sieben ihrer 26 Jahre begleitet zu haben.

In diesem Sinne eine Botschaft an alle Fanboys und Fangirls: Meet your heroes! So lange es die richtigen sind. Und an den vielleicht größten Motorradrennfahrer der Geschichte: Grazie Vale!