Nach fünf Jahren ohne Fahrerweltmeistertitel in der MotoGP darf sich Yamaha wieder über die wichtigste Krone im Motorradsport freuen. Fabio Quartararo hat die Japaner erlöst. Die Führungsebene streute 'El Diablo' nach dem Rennen in Misano Rosen.

"Wir wussten, dass Fabio ein außergewöhnliches Talent ist, das versteht, wie man das Maximum aus der M1 herausholt. Er hat sich seinen Traum durch harte Arbeit, Leidenschaft und spektakuläres, aber sauberes Racing verwirklicht", lobte Yamaha-Präsident Yoshihiro Hidaka. Auch Motorsportchef Lin Jarvis unterstrich Quartararos herausragende Leistungen: "Als wir ihn für diese Saison ins Werksteam geholt haben, wussten wir bereits, wie talentiert er ist. Er hat unsere Erwartungen aber nicht nur erfüllt, sondern sogar deutlich übertroffen." Teamchef Massimo Meregalli schloss sich an: "Die Art, wie er mit dem großen Druck umgegangen ist, unterstreicht, dass er ein würdiger Weltmeister ist. Das zeigt, wie sehr er gereift ist."

Derartige Dankesreden gibt es nach dem großen Triumph im Normalfall nicht nur von Hersteller und Team an den Fahrer, sondern auch in die entgegengesetzte Richtung. Diese blieben am Sonntag in Misano aber aus. Sowohl bei der ersten Stellungnahme im Parc ferme, beim Gespräch in der Interview-Zone und auch in seiner Weltmeisterpressekonferenz. Quartararo dankte seiner Familie und seinem Crewchief Diego Gubellini. Einziges Lob an Yamaha: Man habe viel gearbeitet und große Fortschritte im Bremsbereich gemacht, attestierte er in der PK. Im selben Atemzug wies Quartararo aber bereits wieder auf die bekannten Schwächen der Yamaha M1 hin: "Wir müssen noch viele Dinge verbessern. Die Motorleistung ist natürlich das Wichtigste. Yamaha weiß, dass wir daran arbeiten müssen."

Natürlich wäre es unfair, Quartararo in der emotionalen Stunde seines größten Triumphs einen Strick daraus zu drehen, seine Lobesworte an den Arbeitgeber vergessen zu haben. Seine Antwort auf die Frage, ob er die Yamaha M1 als bestes Motorrad der MotoGP ansehen würde, war dann aber doch bemerkenswert: "Ich weiß es nicht. Die Honda oder die Ducati bin ich ja noch nie gefahren. Wenn man sich die Leistungen und Kommentare der anderen Fahrer ansieht, sieht es aber nicht so aus. Für mich funktioniert das Bike ziemlich gut, aber auch ich habe oft große Probleme, damit zu überholen."

Aufholjagden wie von Quartararo in Misano sind mit der M1 nur selten möglich, Foto: LAT Images
Aufholjagden wie von Quartararo in Misano sind mit der M1 nur selten möglich, Foto: LAT Images

Quartararos Worte erinnern stark an die seines Managers Eric Mahe. "Natürlich ist Fabio mit seinen aktuellen Leistungen sehr zufrieden. Man muss sich das aber genauer ansehen, denn die Gründe dafür liegen eher bei Fabio als bei seinem technischen Paket", sagte der erst vor wenigen Tagen. Die Statistik untermauert die Aussagen der beiden Franzosen: Quartararo holte in dieser Saison bislang 267 Punkte. Die sieben weiteren Yamaha-Fahrer (Franco Morbidelli, Valentino Rossi, Maverick Vinales, Andrea Dovizioso, Cal Crutchlow, Garrett Gerloff und Jake Dixon) gerade einmal 178 Zähler. Quartararo konnte 2021 bereits fünf Rennen gewinnen, außer ihm gelang nur Vinales ein einziger Sieg auf der M1. Bei den Podien steht es zehn zu drei im Duell zwischen Quartararo und seinen Markenkollegen.

Im Gespräch mit den französischen Kollegen von 'AutoHebdo' schloss Manager Mahe einen Wechsel Quartararos nach Ablauf des Vertrags Ende 2022 nicht aus: "Fabio wird dort fahren, wo es für ihn am besten ist. Derzeit ist für 2023 alles offen." Ernsthafte Angebote soll es von zwei weiteren Herstellern geben. Freie Plätze für 2023 hätten alle fünf Konkurrenten von Yamaha - Honda, Ducati, Suzuki, KTM und Aprilia - zur Verfügung.

Yamaha im Honda-Dilemma?

Yamahas aktuelle Situation erinnert an die im Honda-Lager. Auch dort feierte man jahrelang große Erfolge mit Marc Marquez, doch seine Markenkollegen kamen mit dem Motorrad überhaupt nicht zurecht. Das scheint nun auch bei Yamaha der Fall zu sein, wo die M1 in den vergangenen beiden Saisons einen massiven Wandel durchgemacht hat. "Das Bike hat sich in den letzten zwei Jahre extrem verändert", bestätigt Quartararo. "2019 konnte ich noch diesen sehr sauberen Lorenzo-Stil fahren. Jetzt muss ich viel aggressiver sein und das Bike am Limit bewegen." Eine Umstellung, die Quartararos Mitstreitern schwerer zu fallen scheint.

2019 debütierte Quartararo in der MotoGP auf Yamaha, Foto: LAT Images
2019 debütierte Quartararo in der MotoGP auf Yamaha, Foto: LAT Images

Für ein definitives Urteil diesbezüglich, müssen wir aber wohl aber das Jahr 2022 abwarten. Denn die laufende Saison ist aus vielerlei Gründen nur bedingt aussagekräftig. Maverick Vinales brachte Yamaha mit seinem erzwungenen Abschied in die Bredouille, Franco Morbidelli kämpft mit einer langwierigen Verletzung und Valentino Rossi scheint in seiner allerletzten MotoGP-Saison endgültig der Saft ausgegangen zu sein. 2022 könnte man mit einem dann hoffentlich fitten Morbidelli, dem dreifache MotoGP-Vizeweltmeister Andrea Dovizioso und Rookie Darryn Binder schon deutlich besser aufgestellt sein.