Neun Weltmeistertitel, 115 Rennsiege, 235 Podiumsplatzierungen - Valentino Rossis Erfolgsbilanz in 26 Jahren Motorrad-WM spricht für sich. Viel wurde in diesen mehr als zweieinhalb Jahrzehnten über die besonderen Fähigkeiten des MotoGP-Superstars geredet und gerätselt. Nun, kurz vor dem Ende seiner Karriere als Motorradrennfahrer, verrät Rossi eine seltene Fähigkeit, die er für entscheidend hält.

"Was hat dich - technisch gesehen - so gut gemacht?", wollte Suzi Perry vom britischen Fernsehsender 'BT Sport' am vergangenen Wochenende in Silverstone in einem ausführlichen Interview von Rossi wissen. Er wusste zunächst selbst nicht, wie er antworten sollte. "Haha, das ist eine Frage. Äääääääh. Puh. Ich glaube… Also…", grübelte Rossi vor sich hin.

Seine Erklärung war dann aber höchstinteressant. "Ich bin Linkshänder. Aber eine ganz besondere Art von Linkshänder, denn ich bin beidhändig", führte Rossi aus. In der Medizin spricht man hierbei von Ambidextrie. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und setzt sich aus den Worten "ambo" für "beide" und "dexter" für "rechte Hand" zusammen. Ambidextrie ist äußerst selten. Während etwa zehn bis 15 Prozent der europäischen Bevölkerung Linkshänder sind, ist nur circa ein Prozent beidhändig.

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"Ich kann mit der rechten Hand eigentlich alles machen, was ich auch mit links kann. Viele Fahrer sind sehr stark in den Linkskurven, haben aber dafür mehr Probleme in Rechtskurven. Die sind ohnehin etwas schwierig, weil man mit der rechten Hand ja auch das Gas regeln muss. Meine Stärke waren immer diese Rechtskurven. Da hatte ich das nötige Gefühl, um mit etwas mehr Geschwindigkeit einzulenken. Ich glaube, dass das der Grund war. Jetzt wissen es alle, aber jetzt ist es eh zu spät", lachte Rossi.

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Ambidextrie wirklich Rossis Joker?

Mit seinen Ausführungen stützt Rossi eine altbekannte Theorie unter Motorradfahrern, wonach Linkshänder in Rechtskurven sicherer und schneller unterwegs - und umgekehrt. Von einem sportmedizinischen Standpunkt aus gesehen ist diese These aber umstritten. "Jeder Mensch verfügt über eine gewisse Asymmetrie, etwa durch eine Deformierung der Wirbelsäule", erklärt Sportarzt Dr. Philipp Schultes gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Das kann gewisse Bewegungsabläufe auf einer Körperseite erleichtern. Mit der Händigkeit hat das aber eher selten zu tun."

Zustimmung gibt es von Horst Graef, der seit vielen Jahren als Rennstreckeninstruktor arbeitet und auch bereits als Riding-Coach in der Motorrad-Weltmeisterschaft engagiert war: "Ich glaube nicht, dass die Händigkeit hier wirklich eine Rolle spielt. Es gibt bei vielen Fahrer extreme Unterschiede zwischen Links- und Rechtskurven. Das kann aber viele Gründe haben: Einige haben in einer entscheidenden Phase der Entwicklung vielleicht auf Strecken trainiert, die über mehr Linkskurven verfügen. Ein anderer Fahrer hatte beispielsweise in einer Rechtskurve einmal einen schweren Unfall und ist seither gehemmt. Oder einem anderen ist in einer Linkskurve einmal ein tolles Überholmanöver gelungen und seither fühlt er sich dort extrem sicher." Das soll freilich nicht bedeuten, dass Rossis Vorteile beim Einlenken in Rechtskurven ein Mythos wären. Lediglich die Ursache dafür kann bezweifelt werden.