Die MotoGP sorgte am Sonntag in Spielberg wieder einmal für viel Adrenalin bei Fahrern und Zusehern. Im Gegensatz zu den vorangegangenen drei Rennen gab es diesmal zwar keine Rote Flagge nach schweren Unfällen, dafür wurde den Fans ein irrer Flag-to-Flag-Krimi serviert, in dem sich Brad Binder mit einem Slick-Poker bei am Ende strömendem Regen durchsetzte. Der Grand Prix von Österreich in der Analyse.

Binder nach MotoGP-Sieg bestraft - oder doch nicht?: (09:54 Min.)

Das Trockenrennen

Obwohl die Rennleitung bereits während der ersten Runde die Erlaubnis zum Wechsel auf Regenreifen erteilte, blieben die Fahrer trotz vereinzelter Tropfen über weite Strecken der Renndistanz draußen. Insgesamt 22 Runden absolvierten alle Fahrer auf Slicks, ehe ab der 23. der 28 Laps die ersten Piloten umsattelten. Der Zwischenstand sah zu diesem Zeitpunkt folgendermaßen aus.

Stand im Österreich-GP nach 22 Runden

P Fahrer Rückstand
1. Bagnaia
2. M.Marquez +0,127 Sek.
3. Quartararo +0,555
4. Martin +2,749
5. Mir +3,126
6. Binder +4,988
7. A.Espargaro +6,436

Es hatte sich an der Spitze eine Dreiergruppe formiert, die angeführt von Francesco Bagnaia auch Marc Marquez und Fabio Quartararo umfasste. In Lauerstellung dahinter befanden sich Jorge Martin und Joan Mir. Der spätere Sieger Binder war zu diesem Zeitpunkt bereits frustriert, weil er schon fast viereinhalb Sekunden hinter dem angestrebten Podestplatz lag. Diese Unzufriedenheit sollte wenig später auch der Grund sein, warum er auf einen Boxenstopp verzichtete.

Die heikle Phase

Am Ende der 23. Runde steuerten Jack Miller und Alex Rins als erste Fahrer die Pitlane zum Motorradwechsel an. Das Duo lag zu diesem Zeitpunkt nur auf den Plätzen 9 und 10 und erhoffte sich vom frühen Stopp einen Vorteil. Doch Lap 23 war definitiv zu früh für den Umstieg auf das Regen-Bike, denn auf der ersten fliegenden Runde nach dem Stopp (Lap 25) verloren Miller und Rins zwei bis vier Sekunden auf jene Fahrer, die auf Slicks geblieben waren. Erst in den letzten drei Umläufen konnte das Duo Zeit aufholen.

Während der Regen einsetzte, bewies Marc Marquez seine Klasse. Er schnappte sich auf der 25. Runde die Führung und steuerte direkt die Box an. Ein taktischer Schachzug, wie er nach dem Rennen zugab: "Ich habe versucht, das Rennen anzuführen. Denn wenn der Führende reinkommt, folgen ihm normalerweise alle anderen Fahrer. Leider ist Brad weitergefahren." Tatsächlich bogen unmittelbar hinter Marquez Bagnaia, Mir, Martin und Quartararo ebenfalls zum Motorradwechsel ab. Vom Rest des Feldes in der 25. Runde ansonsten aber nur noch der aussichtslos zurückliegende Cal Crutchlow.

Gesamtzeit In- & Out-Lap (Runde: 25/26):

P Fahrer Rückstand
1. M.Marquez
2. Martin +0,439 Sek.
3. Bagnaia +0,905
4. Mir +1,822
5. Quartararo +3,334
6. Crutchlow +8,155

Unter allen MotoGP-Fahrern, die in der 25. Runde an die Box kamen, war Marc Marquez in der kombinierten Zeit aus In- und Out-Lap der schnellste. Während das Ducati-Duo Martin und Bagnaia noch mithalten konnte, verlor Mir 1,8 Sekunden, Quartararo sogar 3,3 Sekunden. In dieser Phase verspielte der WM-Leader die Chance auf einen Podestplatz. Aber auch für Marquez sollte es trotz des guten Wechsels nicht reichen. Denn in der vorletzten Runde ging er in Kurve 1 zu Boden und warf damit seinerseits ein mögliches Podium weg.

Binders Husarenritt

Brad Binder verzichtete auf einen Stopp, obwohl die fünf vor ihm liegenden Fahrer allesamt in die Boxengasse abbogen. Das sollte sich als goldrichtige Strategie erweisen. Zwar blieben mit Valentino Rossi, Alex Marquez, Luca Marini, Danilo Petrucci, Iker Lecuona, Aleix Espargaro und Taka Nakagami sieben weitere Fahrer bis zur Zielflagge auf Slicks, aber in den letzten drei Runden fuhr Binder in seiner eigenen Liga.

In der 25. Runde war Binder noch der langsamste Fahrer unter jenen, die nicht an die Box fuhren. Doch schon im darauffolgenden Umlauf änderte sich das. In Lap 26 war er um mindestens zweieinhalb Sekunden schneller als alle seine Slick-Kollegen, in Lap 27 um mindestens zwei Sekunden und im letzten Umlauf um mindestens 1,2 Sekunden. Aleix Espargaro und Taka Nakagami brachen am Ende völlig ein: Binder nahm ihnen auf der Schlussrunde zehn Sekunden ab.

Rossi kein Regengott mehr

Am Ende der 26. Runde durften die tausenden Fans von Valentino Rossi kurz auf den 200. Podestplatz ihres Idols in der Königsklasse hoffen. Der 42-Jährige schien hinter Binder und Aleix Espargaro auf dem 3. Rang auf. Doch es sollte nicht das Finish des "Doctor" werden. Luca Marini und Iker Lecuona zogen in der vorletzten Runde an ihm vorbei, in der Schlussrunde machte auch das Regenreifen-Quartett aus Bagnaia, Martin, Mir und Quartararo kurzen Prozess mit ihm. Da er immerhin noch Aleix Espargaro überholen konnte, beendete Rossi das MotoGP-Rennen in Spielberg auf dem 8. Platz.

Gesamtzeit Lap 25-28:

P Fahrer Rückstand
1. Binder
2. A.Marquez +4,226 Sek.
3. Marini +5,870
4. Petrucci +6,139
5. Lecuona +7,005
6. Rossi +8,678
7. A.Espargaro +17,312
8. Nakagami +17,419

Seine langjährige Erfahrung in Regenrennen zahlte sich für Rossi diesmal nicht aus. Von den acht Piloten, die bis zum Ende auf Slicks blieben, war er in den letzten vier Runden nur der sechstschnellste. Lediglich Aleix Espargaro und Nakagami konnte er hinter sich lassen. Auf Sieger Binder verlor Rossi in den letzten vier Runden sogar mehr als acht Sekunden.

Fazit: Boxenstopp oder kein Boxenstopp?

Im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer. Daher darf für das MotoGP-Rennen am Sonntag festgehalten werden, dass der Motorrad-Wechsel ein Nachteil für alle Piloten war. Der Zweitplatzierte Francesco Bagnaia war in den letzten vier Runden um 14 Sekunden langsamer als Brad Binder und verlor sogar auf Valentino Rossi über fünf Sekunden. Von den Slick-Fahrern waren nur Aleix Espargaro und Nakagami in den letzten vier Umläufen langsamer als Bagnaia - um jeweils drei Sekunden.

Fabio Quartararo schaffte nicht einmal das. Er verlor auf Binder 20 Sekunden und war um etwa drei Sekunden langsamer als die langsamsten Fahrer auf Slicks. Der WM-Leader ist somit wohl der größte Verlierer der hektischen Schlussphase, da er anstatt eines Podestplatzes sein zweitschlechtestes Saisonergebnis bekam.