Blickt man auf die nackten Zahlen, kann Maverick Vinales' Wechsel von Yamaha zu Aprilia für die MotoGP-Saison 2022 nur als klarer Abstieg betrachtet werden. Yamaha hat in diesem Jahr fünf der elf ausgetragenen Rennen gewonnen und zehn Podiumsplatzierungen geholt. Mit Fabio Quartararo führt man die Fahrerweltmeisterschaft klar an und hat auch in der Teamwertung die Nase vorne, bei den Konstrukteuren fehlen nur drei Zähler auf Ducati. Für Aprilia waren hingegen zwei sechste Plätze das höchste der Gefühle. In der Konstrukteurswertung belegt man klar den letzten Rang.

Dennoch ist Vinales' Wechsel in gewisser Weise nachvollziehbar. Schließlich ist die reine Performance eines Motorrads nicht alles für einen Fahrer. Er muss sich im Team geschätzt und unterstützt fühlen, um Bestleistungen abrufen zu können. Das war bei Vinales und Yamaha seit längerer Zeit schon nicht der Fall, das desaströse Wochenende am Sachsenring sorgte für den endgültigen Bruch.

Vinales ist nicht der erste MotoGP-Fahrer, der einen solchen Schritt wagt. Cal Crutchlow warf 2014 nach einem Jahr bei Ducati hin und wechselte ins Honda-Kundenteam LCR, wo er alle seiner drei Siege in der Königsklasse einfahren sollte. Jorge Lorenzo erfüllte nur ein Jahr seines Honda-Vertrags und beendete dann seine Karriere.

Das Paradebeispiel für ein positives Ende nach einer vorzeitigen Trennung ist aber Johann Zarco. Er war 2019 nach zwei höchst erfolgreichen Jahren bei Tech3-Yamaha ins KTM-Werksteam gekommen. Zarco sollte den österreichischen Hersteller zu neuen Höhen führen. Daraus wurde aber nichts. Ein zehnter Platz war das Highlight und zur Saisonhalbzeit bat Zarco KTM um die Vertragsauflösung mit Jahresende. Zwei Rennwochenenden später wurde er endgültig vor die Tür gesetzt und war de facto arbeitslos.

Zarco fühlte sich auf der KTM nie wohl, Foto: KTM
Zarco fühlte sich auf der KTM nie wohl, Foto: KTM

Zarco hatte weder ein Motorrad für die restliche Saison noch für das bevorstehende Jahr zur Verfügung. Eine Verletzung von Takaaki Nakagami bescherte Zarco Einsätze in den letzten drei Saisonrennen, in denen er durchaus überzeugen konnte und so das Interesse von Honda und Ducati weckte. Zarco entschloss sich schließlich für die Italiener, wo man für ihn sogar einen Platz bei Avintia freiräumte und Karel Abrahams Vertrag dabei einfach ignorierte.

So stieg Zarco von einem der bestfinanzierten Werksteams der MotoGP in den schlechtesten Kundenrennstall der letzten Jahre ab. Dennoch steigerte er seinen Punkteschnitt 2020 von 1,88 auf 5,5 Zähler pro Rennstart und fuhr in Brünn sogar Platz drei sowie die Pole Position ein. Diese Leistungen bescherten ihm den Aufstieg zu Pramac Racing für 2021, wo er nun erstmals voll im Titelkampf steckt. So schnell kann sich in der MotoGP eben das Blatt wenden.

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Das könnte in dieser Form Maverick Vinales ebenso gelingen, auch wenn er Zarco aktuell noch nicht als Vorbild sehen will. "Zarco hat das geschafft, aber ich werde nicht einfach irgendwelchen Fahrern folgen. Ich folge meinem Gefühl", sagte er in Assen. Dabei hätte Zarco gute Ratschläge für ihn parat. "Die Yamaha konnte ich so fahren, wie ich sie wollte", erinnert er sich. "Auf der KTM, der Honda oder der Ducati musste ich viel an mir arbeiten und mich anpassen." Genau darin wird für Vinales die Krux liegen: Seine Sturheit ablegen und mit offenem Geist in das neue Abenteuer gehen.