Fabio Quartararo liegt in der Fahrer-Wertung der MotoGP stabil in Führung, in der Konstrukteurs-WM führt Yamaha seit dem ersten Rennen und auch in der Team-Weltmeisterschaft lacht die Werksmannschaft der Japaner von der Spitzenposition. Auf den ersten Blick ist für die Marke mit der Stimmgabel alles in Ordnung.

Doch hinter der hübschen Fassade der WM-Rankings braut sich etwas zusammen, das zu einem bösen Erwachen im Saisonfinish führen könnte. Schuld daran sind einige Entscheidungen von Yamaha, bei denen sich Otto Normalfan an die Stirn greifen muss.

So vermeldete Valentino Rossi am Sonntag nach dem Rennen am Sachsenring: "Das war es mit diesem Motorrad. Der nächste Test ist erst in Misano, vielleicht gibt es dort noch etwas Neues. Wir müssen nun das Beste aus diesem Material holen, denn unser Paket ist fertig." Eine bedenkliche Aussage nach einem Rennen in denen zwei der drei Werks-Motorräder auf dem 14. sowie 19. und damit letzten Platz landeten.

Yamaha gönnt seinem Test-Team also wieder einmal eine ausgiebige Sommerpause, nachdem man zuletzt bereits beim Montagstest nach dem MotoGP-Rennen in Barcelona auf den Einsatz von Testfahrer Cal Crutchlow verzichtet hatte. Die Japaner schaffen es seit Jahren nicht, mit einem umfassenden Test-Programm ihre Werksfahrer bei der Entwicklung zu unterstützen. Die Kritik daran hallt seit Jahren laut durch die eigene Yamaha-Box.

On-Off-Beziehung mit dem eigenen Testteam

Ein kleiner Abriss von Yamahas hausgemachtem Test-Dilemma gefällig? Bis zur Saison 2018 testeten die Japaner ausschließlich in ihrer Heimat mit einheimischen Piloten aus der japanischen Superbike-Meisterschaft. Da zu diesem Zeitpunkt alle Konkurrenten Testteams in Europa aufgebaut hatten, entschloss sich Yamaha für 2019 auch dazu und nahm mit Jonas Folger einen starken Fahrer für diese Aufgabe unter Vertrag.

Marc Marquez triumphiert am Sachsenring: Glück des Tüchtigen (12:34 Min.)

Eigentlich war man mit Folger zufrieden und die Werksfahrer Rossi und Vinales lobten den Beitrag, den das neue Testteam für die M1 leistete. Doch Ende des Jahres war bereits Schluss: Yamaha setzte Folger vor die Tür und ersetzte ihn durch Jorge Lorenzo, während das europäische Team eingestampft wurde und künftig wieder von Ingenieuren aus Japan betreut werden sollte.

Lorenzos Einsätze beschränkten sich allerdings auf die Wintertests und einen völlig missglückten Auftritt in Portimao kurz vor Saisonende. Unter erschwerten Reisebedingungen wegen der Corona-Pandemie sei es nicht möglich gewesen, die notwendigen Mitarbeiter aus Japan nach Europa einzufliegen, lautete die offizielle Begründung für den beinahe völligen Test-Verzicht von Yamaha im Vorjahr.

Für 2021 wurde daher erneut ein europäisches Testteam aus der Taufe gehoben, das vom ehemaligen Rossi-Crewchief Silvano Galbusera geleitet werden sollte. Tatsächlich fuhr man bei den Wintertests in Katar in einer Stärke auf, die man in den vergangenen Jahren nur bei Honda gesehen hatte. Doch die vermeintliche Erhöhung der Einsätze des Testteams erwiesen sich als Strohfeuer, denn seit Wochen darf Crutchlow schon wieder in vollen Zügen seinen Ruhestand genießen.

Kein Interesse an intensiverem Engagement

Die Worte von Rossi legen nahe, dass sich der Brite im Sommer einen ausgiebigen Strandurlaub genehmigen darf. Das Testteam hat ohnehin keinen Chef mehr, denn Galbusera wurde am MotoGP-Wochenende in Barcelona zur Werkstruppe einberufen, wo er seither Maverick Vinales betreut. Ein Schritt, zu dem Yamaha seinen Fahrer zwang. Ein Crewchief-Wechsel auf Druck des Arbeitgebers - auch das ist eine in der MotoGP üblicherweise ungebräuchliche Maßnahme.

Aber nicht nur Vinales wurde von Yamaha zuletzt vor den Kopf gestoßen, auch das Partnerteam Petronas erfuhr in den vergangenen zwölf Monaten keinerlei Wertschätzung aus Japan. Zu einem Upgrade für Vizeweltmeister Franco Morbidelli konnte man sich ebenso wenig hinreißen lassen wie zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem malaysischen Rennstall in den kleinen Klassen.

Razlan Razali wollte seine Truppe in der Moto3 und Moto2 zu einer Art "Yamaha Junior Team" umfunktionieren, doch das war in Japan nicht gewollt. Das Beispiel von Aki Ajo und KTM zeigt allerdings eindrucksvoll, dass ein derartiges Konzept durchaus Sinn macht. Zu allem Überdruss wurde zuletzt auch noch publik, dass Yamaha Valentino Rossis neuem Team ab 2022 Motorräder zum halben Preis, den Petronas 2021 dafür bezahlt, angeboten haben sollen. Dass sich Rossi für sein VR46-Team dennoch wahrscheinlich für Ducati entscheiden wird, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht für Yamaha.

Auf Hilfe bei der Fahrersuche kann das Petronas-Team wohl auch nicht zählen. Während etwa KTM und Ducati für ihre Premiumkunden vollwertige Factory-Bikes liefern und die Fahrer bezahlen, sieht Yamaha sein Satellitenteam als klassischen Kunden. Das bemängelte früher bereits Herve Poncharal, so wie es nun Razlan Razali auch tut. Franco Morbidelli hat seinen Vertrag nicht etwa mit Yamaha, sondern mit Petronas. Für 2022 wollen die Malaysier für das zweite Motorrad eine interne Lösung durch den Aufstieg von entweder Jake Dixon oder Xavi Vierge aus dem eigenen Moto2-Team.

Was KTM und Ducati besser machen

Ist Yamaha überhaupt bewusst, was für eine Chance man sich dadurch entgehen lässt? Im Kundenteam könnten aussichtsreiche Talente geparkt werden, die ihre ersten MotoGP-Erfahrungen ohne den Druck eines Werksteams sammeln könnten. Dass dieser Plan funktioniert, zeigen die Beispiele von Miguel Oliveira, Francesco Bagnaia oder Jack Miller.

Nun könnte man zwar einwerfen, dass Yamaha mit Fabio Quartararo ohnehin diesem Beispiel gefolgt ist, doch das entspricht nicht den Fakten. Denn der Franzose wurde für 2019 nicht von Yamaha verpflichtet, sondern von der Führung des Petronas-Teams, die dabei auch noch gegen Widerstände innerhalb des Hauptgeldgebers kämpfen musste. Yamaha hielt sich aus dieser Entscheidung nobel heraus, verlangte nach einer sensationellen Debütsaison für 2020 sogar bare Münze für Quartararos Upgrade auf ein vollwertiges Werksbike und sicherte sich im Anschluss seine Dienste direkt für das Werksteam.

Führt man sich all diese Umstände vor Augen, wirkt es so, als würde das Yamaha-Team noch immer nach einem Konzept aus der Saison 2015 arbeiten. Ducati und KTM, aber auch Honda sind in den Bereichen Testteam, Nachwuchsförderung und Zusammenarbeit mit den Satellitenteams viel weiter. Man muss sich fragen: Warum? Können die Japaner nicht oder wollen sie nicht?

Am Finanziellen kann es nicht scheitern. Die Yamaha Motor Company hatte 2020 einen Umsatz von rund 11,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: KTM erwirtschaftete 1,2 Milliarden, Ducati lediglich 676 Millionen. Und dennoch schaffen die beiden europäischen Hersteller etwas, das Yamaha nicht gelingt: Regemäßige Einästze des Testteams, vier reinrassige Werks-Motorräder und aussichtsreiche Fahrer als kostenlose Leihgaben.

Wo ein Wille, dort ein Weg. Doch dieser Wille zum totalen MotoGP-Engagement scheint bei Yamaha bereits seit Jahren nicht mehr so recht vorhanden zu sein. Valentino Rossi formulierte es einst so: "Man kann nicht immer alles verstehen, was bei Yamaha vor sich geht." Verhaltene Kritik des teuersten Angestellten in der Geschichte des Konzerns.

Yamaha steht aktuell auf den ersten Blick nicht schlecht da und führt dank Ausnahmetalent Fabio Quartararo in allen drei WM-Wertungen. Leider haben die Japaner in den vergangenen Jahren aber wie kein anderer Hersteller durch selbst verschuldete Verfehlungen bewiesen, dass sie Titel in der zweiten Saisonhälfte wie kein anderer vergeigen können. Der WM-Leader sollte gewarnt sein.