Am MotoGP-Sonntag in Mugello brachten zwei Worte die Fans auf die Palme: "Track" und "Limits". Denn in den Rennen aller drei Klassen war dieser Begriff die Rechtfertigung für eine Anpassung des Ergebnisses nach der Zieldurchfahrt.

In der Moto3 verlor WM-Leader Pedro Acosta nachträglich eine Position, in der Moto2 Joe Roberts sogar seinen hart erkämpften Podestplatz. Für eine finale Farce sorgte die Rennleitung im MotoGP-Rennen, indem sie zunächst Miguel Oliveira seinen zweiten Platz für Joan Mir räumen ließ, ehe sie auch beim Weltmeister einen Verstoß feststellte und die eben erst getauschten Plätze doch wieder in die ursprüngliche Form brachte.

Grund für diese Interventionen waren Verstöße gegen die Track Limits bzw. eine Sonderregelung dieses Vergehens. Seit Augusto Fernandez 2019 in Misano in der letzten Runde des Moto2-Rennens in weitem Bogen außerhalb der Streckenmarkierung für sein siegbringendes Überholmanöver in der darauffolgenden Kurve ausholte, geht die Rennleitung gegen derartige Delikte rigoros vor. Wer seither in einem direkten Positionskampf die Track Limits bricht, wird automatisch um eine Position zurückgereiht.

Für 2021 haben es sich die Offiziellen leicht gemacht, da nunmehr Drucksensoren die Grenze bestimmen, die nicht überschritten werden darf. Der Computer entscheidet, die Rennleitung greift nachträglich nicht mehr ein. Fingerspitzengefühl? Fehlanzeige. So die aktuellen Fakten. Da kann man sich nur polemisch wünschen: Nieder mit den Track Limits!

Wo Track Limits Sinn machen

Als radikaler Verfechter echten Oldschool-Racings muss man generell gegen die künstliche Beschränkung der physischen Gegebenheiten einer Rennstrecke sein. Wahre Track Limits sind Kerbs, Rasenflächen, Kiesbetten oder für die Hartgesottenen auf der Isle of Man oder in Macao Mauern. Gerade Mugello hat uns an diesem Wochenende aber gezeigt, dass der Tod im Motorradsport noch immer mitfährt und auch bis in alle Ewigkeit mitfahren wird. Ruhe in Frieden, Jason Dupasquier.

MotoGP-Rennen nach Tod von Jason Dupasquier: Fahrer verärgert: (12:05 Min.)

Daher macht es auf jeden Fall Sinn, potenzielle Unfallquellen zu minimieren und so gut wie möglich zu entschärfen. Die Entfernung nasser Rasenteppiche oder zu nahe an der Strecke befindlicher Mauern haben zuletzt dafür gesorgt, dass es in einigen Kurven eben keine natürliche Grenze mehr gibt, sondern ein künstliches Track Limit, das nicht mehr ist als grüne Farbe auf eigentlich befahrbarem Rennasphalt.

Die letzte Kurve in Spielberg ist ein gutes Beispiel hierfür: Weil es am Kurvenausgang keine Auslaufzone gibt, wurde einfach die Streckenmarkierung um einige Meter weiter nach innen gezogen. Daher sieht dieser Bereich beim Formel-1- Rennen anders aus als an den MotoGP-Wochenenden. Prompt gab es im Vorjahr dort eine Track-Limit-Debatte, da Jack Miller Pol Espargaro dort in weitem Bogen über die Begrenzungsmarkierung schickte.

Hier machen Track Limits Sinn: Lieber hundert Debatten über die nachträgliche Umreihung eines Endergebnisses als einen toten Fahrer, weil die Mauer einer nicht versetzbaren Tribüne zu nahe am Asphaltband stand. Es gibt aber viele andere weit weniger gefährliche Stellen, wie etwa jene vom Sonntag in Mugello. "Man müsste ja nur die grünen Stellen weiß anmalen", meinte am Sonntag etwa Miguel Oliveira mit einem Augenzwinkern.

Rennfahrer gegen künstliche Eingriffe

Die Debatte um die Track Limits wird uns leider erhalten bleiben. So lange es nur um die Aberkennung von schnellen Rundenzeiten in Training oder Qualifying geht, ist das noch erträglich. Zumal es hier mit der aktuellen Gelbe-Flaggen-Regelung einen Nebenbuhler gibt und Motorradrennen noch nie über die Startaufstellung gewonnen wurden.

Selbst Sanktionen nach dem permanenten Überschreiten der künstlichen Grenzen im Rennen - so wie aktuell geregelt - sind noch argumentierbar. Wer in einem Rennen über 20 oder 25 Runden fünfmal über eine Markierung rattert, kann schließlich nicht mehr von einem Versehen sprechen.

Was aber schwierig zu rechtfertigen ist, sind Entscheidungen wie am Sonntag in Mugello. Von Sensoren festgestellte Millimeter-Nuancen, die nachweislich keinerlei messbaren Vorteil bringen, zur Entscheidung über Podium oder nicht zu machen, darf nicht Sinn und Zweck dieser Regelung sein. Das sehen nicht nur Fans so, die kopfschüttelnd vor ihren Fernsehern sitzen, sondern auch die Rennfahrer.

Der ehemalige Superbike-Champion und MotoGP-Rennsieger Ben Spies etwa tat seinem Unmut auf Twitter kund: "Sollen wir eine Petition gegen diese Bullshit-Regel der Track Limits machen?", fragte der Texaner spöttisch und bekam großen Zuspruch von anderen (Ex-)Racern wie Chris Vermeulen oder Loris Baz. Jack Miller klärte später auf, dass die aktuelle Track-Limits-Regelung in der nächsten Safety Commission der Fahrer das große Thema sein wird. "Wir müssen eine Lösung finden", erklärte der Australier nach dem Rennen in Mugello.

MotoGP hat viel zu verlieren

Die Motorrad-WM hat sich in den vergangenen Jahren einen hervorragenden Ruf als eine der letzten Bastionen echten Racings erarbeitet. Mensch und Maschine entscheiden über Sieg und Niederlage und nicht Bürokraten oder Computerprogramme in den abgeschotteten Zimmern der Rennleitung. Im Vergleich zu anderen - teils überreglementierten Rennserien - darf sich der MotoGP-Fan erhaben fühlen.

Während in der Formel 1 oftmals ein abgeschlossenes Mathematik-Studium bei der Erstellung einer Startaufstellung förderlich ist und das Warten auf ein Endergebnis der Formel E oder DTM länger dauern kann als das Rennen selbst, gab es in der MotoGP nur selten drastische Eingriffe. Den guten Ruf sollte sich die Motorrad-WM nicht von einer eigentlich unnötigen Debatte um Streckenmarkierungen zerstören lassen.