In Mugello herrscht am kommenden Wochenende wieder Ausnahmezustand. Diesmal allerdings nicht aufgrund der italienischen Tifosi, sondern wegen behördlich verordneter Covid-19-Schutzmaßnahmen. Schade, denn kein WM-Stopp lebt derart von den Fans wie das Rennen in der Toskana. Vom Layout, den Naturtribünen, dem Campingplatz und der nahegelegenen Ortschaft her, war die Strecke stets ein Paradies für die diesmal leider ausgesperrten Zuschauer. Und in irgendeiner Klasse sind die Italiener ja immer konkurrenzfähig.

Nirgends hören und spüren auch die Fahrer das Publikum so sehr wie in Mugello. Sobald die Lichter ausgehen, sind sie freilich in ihrer eigenen Welt. Doch geht vieles leichter von der Hand, wenn du aus den Augenwinkeln gelbe Rauchwolken von den Rängen steigen siehst. Vor allem willst du nach dem Rennen deine Emotionen herausschreien und die Schlüsselmomente mit den Fans teilen - doch alles ist leer. Diese Situation begleitet uns schon länger, aber in Mugello fühlt es sich doppelt bitter an.

Sportlich betrachtet führt der Sieg beim Großen Preis von Italien nur über Ducati. Das Werk ist einen Steinwurf von Mugello entfernt, die Powerstrecke auf das Motorrad zugeschnitten. Und jetzt reist das Heimteam mit dem Rückenwind von Doppelsiegen in Le Mans und Jerez an, wo man in der Regel nicht seine Stärken ausspielen kann. Obwohl die Entwicklung der Motorräder eingefroren wurde, merkt man den Italienern an, wie glücklich sie mit ihrem Paket sind.

Denn auch personell ist Ducati mit völlig konträren Chauffeuren extrem breit aufgestellt. Auf der einen Seite Werksfahrer Jack Miller, der naturbelassene Rohdiamant und Mann der Stunde, der weiß, dass hinter ihm ein italienischer Stallgefährte mit einer italienischen Maschine fährt, der es genauso kann. Erwähnter heißt Pecco Bagnaia und vertraut ganz seinem Gefühl. Der 25-Jährige ist sehr sensibel, versucht, das Motorrad zu verstehen und hat im bisherigen WM-Verlauf die größte Konstanz gezeigt. Über die Saison gesehen könnte diese Eigenschaft ausschlaggebend sein.

Miller und Bagnaia haben im Werksteam voll eingeschlagen, Foto: LAT Images
Miller und Bagnaia haben im Werksteam voll eingeschlagen, Foto: LAT Images

Hinzu kommen bei Pramac Johann Zarco mit seiner enormen Erfahrung und der unbeschwerte Rookie Jorge Martin, dessen Comeback jedoch verschoben werden muss. Das Satellitenteam steht nicht unter demselben Druck, aus der Basis die Maschine noch stärker machen zu müssen. Und diese Breite spricht sehr dafür, dass am Ende eine rote Maschine ganz vorne stehen könnte. Denn die Strecken waren bisher sehr unterschiedlich, Ducati aber immer da, kein Fahrer driftet ab.

Angeführt wird die WM allerdings von Fabio Quartararo. Mir gefällt, wie der Franzose zugibt, nervös zu sein - weil er weiß, dass man nicht jedes Jahr die Chance hat, um den Titel zu fahren. Der Regen erweist sich zwar noch als wunder Punkt, andererseits ist der Jungstar in Le Mans mit viel Weitsicht gefahren und hat sich eingestanden, dass nicht mehr geht. Er ist nur auf Dinge fokussiert, die er ändern kann. Solche Erkenntnisse können für die weitere Saison sehr wertvoll sein.

Und immerhin hat Quartararo auch im Ducati-Land Katar gewonnen. In Mugello sprechen zudem viele Abschnitte eindeutig für Yamaha. Vielleicht kann er ja den Rhythmus von Ducati stören, obwohl die Italiener auf dieser verflixt langen Geraden exzellent starten.

Zwei Saisonsiege hat Fabio Quartararo bereits eingefahren, Foto: LAT Images
Zwei Saisonsiege hat Fabio Quartararo bereits eingefahren, Foto: LAT Images

Auch Suzuki sehe ich noch nicht geschlagen. Der verlässliche Weltmeister Joan Mir stellt die breitere Bank dar als der an sich schnellere, aber stets sturzgefährdete Alex Rins. Grundsätzlich kann sich das Team nicht verlaufen, man verfügt über ein sehr stabiles Motorrad, das sein größtes Handicap auf einer schnellen Runde hat. Sie sind aber weiterhin bei der Musik, und ihre Strecken kommen erst. Im Vorjahr war man zu diesem Zeitpunkt ja auch noch weit weg.

Und Marc Marquez? In Le Mans hat er uns vor Augen geführt, wie konsequent, hungrig und bereit er ist, nur den Bruchteil einer Chance zu ergreifen. Nach seinem ersten Ausrutscher in Frankreich hat er die Welt wieder ins Staunen versetzt. Honda braucht nicht viel, um gefährlich zu werden und kann Ducati und Yamaha durchaus in die Suppe spucken. Man ist sich bewusst, mit den enormen Ressourcen etwas finden zu müssen, um das Motorrad in eine andere Balance zu bringen. Selbst ein achtfacher Weltmeister kann nicht alles ausgleichen. Von seinem Killerinstinkt hat Marquez jedenfalls nichts eingebüßt. Abschreiben dürfen wir also noch niemanden.

August "Gustl" Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2021 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse.