Aprilia steht ein großer Umbruch bevor. Der italienische Piaggio-Konzern will das MotoGP-Team auf eigene Beine stellen und zudem ab 2022 auch ein Kundenteam mit Motorrädern ausstatten. Den Italienern läuft nun aber die Zeit davon, wie die Teamführung im Rahmen der Testfahrten in Katar verriet.

"Carmelo (Ezpeleta; Anm.) hat uns als Deadline Mai ausgegeben. Bis dahin müssen wir unser künftiges Programm präsentieren. Vielleicht haben wir da noch einen zusätzlichen Monat als Puffer, aber viel länger können wir mit Sicherheit nicht warten", sagte Teamchef Massimo Rivola in einem Videocall.

Technik-Chef Romano Albesiano wäre eine rasche Einigung lieber: "Aus technischer Sicht sind wir schon jetzt nahe an der Deadline, denn zusätzliche Motorräder zu liefern, ist immer kritisch. Wir sollten daher möglichst früh wissen, wie viele Bikes wir 2022 brauchen. Juni oder gar September wäre definitiv zu spät für eine solche Entscheidung."

Gresini Racing doch als Partner?

Zumal sich Aprilia auch personell neu aufstellen muss. Seit dem MotoGP-Einstieg im Jahr 2015 lief der Werkseinsatz der Italiener über den Rennstall von Gresini Racing. Fausto Gresini stellte die Einsatzmannschaft und war stets selbst im Besitz der Startplätze. Bereits im Herbst hatte Gresini das Ende der Zusammenarbeit in der aktuellen Form angekündigt, ehe er zu Weihnachten mit einer Covid-19-Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, an deren Folgen er vor wenigen Wochen verstarb.

Dieser Todesfall hatte freilich auch Auswirkungen auf die Verhandlungen von Aprilia, da Gresini Racing als ein potenzieller Satellitenrennstall für 2022 gilt. "Nach dem, was Fausto passiert ist, will ich aktuell nicht über Kundenteams sprechen. Bitte gebt uns bis Anfang April Zeit, ehe wir dazu etwas sagen können", so Rivola.

Wie es mit dem Gresini-Rennstall weitergeht, ist noch unklar. Allerdings haben sowohl seine Familie, als auch der neue Chef Carlo Merlini angekündigt, auch weiterhin in der MotoGP an den Start gehen zu wollen. Aprilia könnte dabei unter die Arme greifen, im Gegenzug aber Personal mit zum neuen Werksteam nehmen.

Personelle Umstrukturierung

"Die Mechaniker im Team sind aktuell alle von Gresini Racing. Nach so vielen gemeinsamen Jahren ist es schwierig vorzustellen, hier mit neuen Leuten zu beginnen. Wir würden sehr gerne mit dieser Gruppe weitermachen, mit denen wir sehr zusammengewachsen sind", sagte Rivola in Katar. Aus technischer Sicht würde sich für Aprilia als vollwertigem Werksteam wenig ändern, wie Albesiano klarstellte: "In Wahrheit sind wir ja jetzt schon ein Factory-Team."

Die Liste an potenziellen Partnern ist überschaubar, zumal es mit Suzuki einen prominenten Nebenbuhler gibt. Denn das Weltmeister-Team will ab 2022 ebenfalls einen unabhängigen Rennstall unterstützen. Die Vertragsverlängerungen von Honda mit LCR, KTM mit Tech3 und Ducati mit Pramac gelten als fix, auch wenn noch nichts offiziell unterschrieben wurde. Somit müssten sich Aprilia, Suzuki und Yamaha um die Mannschaften des Sepang Racing Teams, von Gresini Racing oder dem Avintia-Rennstall duellieren.

Letzterer könnte aber schon 2022 zur Gänze von Valentino Rossi übernommen werden, nachdem seine VR46 Academy für Luca Marini bereits in das Team eingestiegen ist. Für Aprilia, wäre dieses Team sehr attraktiv, daraus machte Rivola keinen Hehl: "Das wäre großartig! Valentinos Name neben unserem - das war der Beginn einer ganz großen Geschichte."

Motorrad muss auf Touren kommen

Denn Valentino Rossi bestritt seine ersten vier WM-Jahre in den kleinen Klassen auf Aprilia und ist mit 26 Siegen noch heute der erfolgreichste Fahrer des Herstellers in der Weltmeisterschaft. Rivola ist aber klar, dass Aprilia nur dann eine Chance auf ein attraktives Team hat, wenn die RS-GP in den kommenden Rennen endlich gute Ergebnisse einfährt. Die MotoGP-Testfahrten geben zwar Grund zur Hoffnung, das Potenzial muss in den ersten Rennen aber tatsächlich ausgeschöpft werden.

MotoGP-Testauftakt: Wie viel ist die Aprilia-Bestzeit wert?: (12:52 Min.)

"Wir müssen zeigen, dass unser Motorrad konkurrenzfähig ist", so Rivola. Dann hätte man auch auf dem Fahrermarkt besser Karten, denn nach zahlreichen Absagen im vergangenen Herbst (u.a. Cal Crutchlow, Andrea Dovizioso, Marco Bezzecchi oder Joe Roberts) musste man den italienischen Superbike-Meister Lorenzo Savadori als Notlösung in die MotoGP befördern.

"Natürlich hätten wir gerne einen großen Namen", gab der Aprilia-Teamchef zu. "Aber letztlich wird unsere Strategie über unsere Fahrerwahl entscheiden. Sobald wir festgelegt haben, ob wir nur zwei oder vier Motorräder besetzen müssen, wird es eine Kettenreaktion geben. Vielleicht müssen wir dann mehr investieren, bekommen im Gegenzug aber auch mehr von Sponsoren." Somit sind starke Leistungen in den ersten Rennen der neuen MotoGP-Saison nicht nur sportlich wichtig, sondern auch im Hinblick auf die Zukunft von Aprilia.