Sieben von 14 MotoGP-Wochenenden in der Saison 2020 sind Geschichte, Halbzeit ist damit erreicht. Und dieses Jahr ist nicht nur aufgrund der chaotischen Rahmenumstände ein historisches, sondern auch wegen den verrückten Ereignissen auf der Strecke. Motorsport-Magazin hat zur Saisonhalbzeit einige Statistiken zusammengetragen die beweisen, dass uns das MotoGP-Jahr 2020 noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Andrea Dovizioso: Schwächster WM-Leader seit 36 Jahren

Nach den ersten sieben Saisonrennen führt Andrea Dovizioso die MotoGP-Gesamtwertung mit 84 Zählern an. Um zu diesem Zeitpunkt einen derart niedrigen Punktestand des WM-Leaders zu finden, muss man in den Geschichtsbüchern der Königsklasse weit zurückblättern. Genauer gesagt bis in die 500ccm-Saison 1985, als Freddie Spencer nach sieben Rennen auf 81 Punkte kam. Damals gab es für einen Sieg aber auch nur 15 Punkte. Bei den späteren Punktesystemen mit 20 beziehungsweise 25 Zählern pro Sieg gab es nie mehr einen derart schwachen WM-Leader.

Vier Premierensieger in einer Saison

Mit Fabio Quartararo, Brad Binder, Miguel Oliveira und Franco Morbidelli haben in dieser Saison bereits vier Fahrer ihr erstes MotoGP-Rennen gewonnen. Derart viele Premierensieger gab es in der über 70-jährigen Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft nur einmal. 1949, in der allerersten WM-Saison, als logischerweise jeder neue Sieger seinen ersten Erfolg feierte. Damals gewannen die nur sechs Rennen ebenfalls vier Fahrer: Harold Daniell (Isle of Man), Leslie Graham (Bremgarten und Ulster), Nello Pagani (Assen und Monza) sowie William Doran (Spa-Francorchamps).

Marc Marquez und Honda: Niedergang der Dominatoren

In den vergangenen drei Jahren feierten Marc Marquez und Honda in der MotoGP jeweils den totalen Triumph. Alle Titel in der Fahrer-, Team- und Konstrukteurswertung gingen an die Erfolgspartnerschaft. 2020 könnte man davon nicht weiter entfernt sein. Marc Marquez hält aufgrund seiner Verletzung zur Saisonhalbzeit immer noch bei null Punkten und das bekommt Honda auch in den beiden anderen Weltmeisterschaften zu spüren. Bei den Konstrukteuren ist man auf den vorletzten Rang hinter Yamaha, Ducati, KTM und Suzuki abgerutscht, nur die ewigen Nachzügler von Aprilia kann man noch hinter sich halten. In der Teamwertung trägt man sogar die rote Laterne: 24 Punkte bedeuten den elften und damit letzten Rang. Ein Absturz, wie ihn die MotoGP noch nicht erlebt hat.

Ohne Marc Marquez ist Honda nur eine Randnotiz, Foto: MotoGP.com
Ohne Marc Marquez ist Honda nur eine Randnotiz, Foto: MotoGP.com

Negativserie für Spanien

Mit dem Verlust ihres großen Aushängeschildes Marc Marquez musste auch die spanische Motorradnation 2020 eine Krise überstehen. In den ersten sechs MotoGP-Rennen konnte man keinen einzigen Sieg feiern. Sechs GPs ohne spanischen Sieger - das gab es zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt. Von Donington 2008 bis Katar 2009 teilten sich Casey Stoner und Valentino Rossi zwölf Siege in Serie auf. Zuvor gewann Dani Pedrosa, danach Jorge Lorenzo - beide mittlerweile in der MotoGP-Rente.

Aufstand der europäischen Hersteller

Die Königsklasse der Motorrad-WM wird seit Jahrzehnten von japanischen Herstellern beherrscht. Seit 1975 fuhr nur ein Weltmeister ein europäisches Motorrad: Casey Stoner 2007 die Ducati. Doch mit der sportlichen Wiederauferstehung der Marke aus Borgo Panigale in den vergangenen Jahren und dem Durchbruch für KTM in dieser Saison bröckelt die Dominanz der Japaner etwas. Beim zweiten Rennen in Spielberg, das Miguel Oliveira (KTM) vor Jack Miller (Ducati) und Pol Espargaro (KTM) gewann, gab es keinen Podiumsplatz für Honda, Yamaha oder Suzuki. Das passierte zuletzt 1972! Damals siegte beim Grand Prix von Schweden in Anderstorp Phil Read vor seinem MV-Agusta-Kollegen Giacomo Agostini und dem Neuseeländer Kim Newcombe auf einer Maschine des Berliner Unternehmens König.

Seit den großen Tagen von MV Agusta beherrscht Japan die Königsklasse, Foto: Frank Bischoff
Seit den großen Tagen von MV Agusta beherrscht Japan die Königsklasse, Foto: Frank Bischoff

Vom Triumph in die Rente

Andrea Dovizioso führt die MotoGP-WM aktuell an, wenn auch denkbar knapp. 2020 könnte ihm nach drei Vizeweltmeisterschaften in Serie also der große Wurf gelungen. Und das in seiner womöglich letzten WM-Saison. Denn für 2021 hat Dovizioso immer noch keinen Platz gefunden, die Möglichkeiten sind mehr als überschaubar. Nicht unwahrscheinlich also, dass sich 'Dovi' als amtierender Champion aus der Königsklasse verabschiedet. Das gab es in der Geschichte genau einmal. John Surtees verließ 1960 die Motorrad-WM mit seinem vierten 500ccm-Titel im Gepäck in Richtung Formel 1. Vier Jahre später wurde er auch dort Weltmeister.