Bei Suzuki kochten die Emotionen nach dem zweiten MotoGP-Rennen in Spielberg hoch. Auslöser für den Zorn war aber nicht etwa die Rote Flagge, die vermutlich einen ersten Sieg von Joan Mir verhinderte, sondern der spektakuläre Zieleinlauf des Führungs-Trios.

Denn Suzuki forderte nach dem Rennen lauthals eine Strafe für Pol Espargaro. Der Vorwurf: Espargaro habe die letzte Kurve in einer Linie angefahren, in der er unmöglich innerhalb der Strecke hätte bleiben können. Einmal außerhalb der Track Limits habe der Spanier das Gas seiner KTM voll aufgezogen und wäre nur deshalb vor Mir ins Ziel gekommen. 0,101 Sekunden gaben letztlich den Ausschlag.

"Pol wollte in den letzten beiden Kurven innen bleiben, wurde dann aber nach außen getragen. Jack übernahm seine Position und da entschied sich Pol, außen anzugreifen. Wenn du mit diesem Tempo auf dieser Linie ankommst, kannst du die Kurve nicht bekommen. Und man sieht klar, dass er auf dem grünen Streifen voll durchgezogen hat", sagte Mir. "Ich bin wirklich sauer."

MotoGP-Analyse: Irres Finale in Spielberg: (34:02 Min.)

Brivio gibt Mir Rückendeckung

Teamchef Davide Brivio sprang Mir zur Seite: "Ich verstehe nicht, was die Rennleitung will! Pol war außerhalb der Track Limits und wurde nicht bestraft. Vielleicht liegt es ja daran, dass er auf einer von Red Bull gesponserten KTM in Österreich fuhr", erhob der Italiener Verschwörungstheorien.

Mir empfand die nicht ausgesprochene Strafe als besonders ärgerlich, weil sein Landsmann Jorge Martin zwei Stunden zuvor im Moto2-Rennen den Sieg wegen eines Track-Limits-Vergehens in der letzten Runde nachträglich an Marco Bezzecchi abtreten musste. "Martin durfte nicht gewinnen, weil er auf den Grünstreifen kam, dabei aber gar keine Zeit gewonnen hat", ärgerte sich Mir.

Brivio setzte sich in dieser Causa nach Rennende mit der Rennleitung in Verbindung: "Wegen der Corona-Situation dürfen wir nicht persönlich zur Rennleitung, aber ich habe eine Email-Anfrage gesendet, in der ich um eine Aufklärung über diese Entscheidung gebeten habe. Wir haben noch keine Beschwerde eingereicht, aber diese Frechheit können wir nicht einfach so hinnehmen."

Gummiparagraf lässt Spielraum

Schuld an der Situation ist wieder einmal ein unpräzise formulierter Regelparagraf. In Punkt 1.21.3 des Sportlichen Reglements heißt es: "Fahrer dürfen nur die Strecke und die Boxengasse befahren. Falls ein Fahrer von der Strecke abkommt, darf er wieder zurück auf die Strecke fahren - auf einem Platz, der ihm von den Offiziellen zugewiesen wird oder einem Platz, der ihm keinen Vorteil bringt."

Die Rennleitung könnte diesen Paragrafen nun so auslegen, dass Espargaro sich durch seine Linie in der letzten Kurve keinen Vorteil verschafft habe, weil er ja ohnehin eine Position verloren hat. Denn Miguel Oliveira konnte auf der Innenbahn durchziehen und in der letzten Kurve vom dritten auf den ersten Rang klettern. Das kostete neben Miller auch Espargaro eine Position.

Ein klarer Vorteil war allerdings auch bei Martin, der bestraft wurde, nicht ersichtlich. De Spanier hatte das Pech, dass es mittlerweile Usus der FIM-Stewards ist, jeden Piloten auf Solofahrt, der gegen die Track Limits verstößt, zu bestrafen. Da dieser Verstoß auf der letzten Runde geschah, wurde Martin um eine Position nach hinten gereiht.

Einen solchen Richtspruch hätte sich Suzuki auch für Espargaro gewünscht, denn er hätte Mir einen Podestplatz verschafft. Chancen auf einen Erfolg der Anfrage bei der Rennleitung macht sich Brivio aber nicht: "Sie werden schon irgendeine Ausrede finden." Der neuerliche Zoff setzt die in die Kritik geratene Rennleitung samt FIM-Stewards weiter unter Druck. In den vergangenen Rennen häufte sich die Kritik der Fahrer. So plädierte zuletzt etwa Valentino Rossi auf klar formulierte Regeln und härtere Strafen. "Wie in der Formel 1", wie Rossi am Freitag ausführte.