Die MotoGP-Fans wurden beim Rennen in Brünn Zeuge eines historischen Ereignisses. Brad Binder holte in seinem dritten Start seinen ersten Sieg und sorgte zugleich für den ersten Erfolg in der Königsklasse für den österreichischen Hersteller KTM. Fabio Quartararo und Maverick Vinales, die noch in Jerez dominiert hatten, konnten diesmal nicht um den Sieg kämpfen, schafften es nicht einmal in die Nähe der Podestplätze. Der Tschechien-GP der MotoGP in der Analyse.

MotoGP-Analyse: Wie kam es zum 1. KTM-Sieg der Geschichte? (33:56 Min.)

Die Reifenwahl

Es gab im Rennen nur zwei Refien-Kombinationen, da alle 21 Fahrer an der Front die härteste Mischung aufzogen. Am Heck kamen lediglich Soft und Medium zum Einsatz, der härteste Hinterreifen blieb bei allen Teams in der Michelin-Garage.

Soft Miller, Smith, A.Espargaro, Dovizioso, Petrucci, Vinales, Morbidelli, Zarco, Rabat, Rins
HardCrutchlow, Nakagami, Rossi, Quartararo, Binder, P.Espargaro, Lecuona, Oliveira, A.Marquez, Bradl, Mir

Alle vier KTM und alle vier Honda setzten hinten den Medium-Reifen ein, ebenso Joan Mir (Suzuki) sowie die beiden Yamaha-Stars Valentino Rossi und Fabio Quartararo. Der Rest des Feldes setzte am Heck die weichste Mischung ein. In die Top-10 schafften es je fünf Fahrer der beiden Kombinationen. Wie sehr es an diesem Tag auf das richtige Setup ankam, zeigt etwa ein Blick auf Yamaha: Franco Morbidelli und Maverick Vinales setzten auf dem baugleichen Motorrad die gleiche Reifenkombination ein. Morbidelli wurde damit Zweiter, Vinales war 14 Sekunden langsamer und holte als 14. gerade noch zwei WM-Punkte.

Wie dominant war KTM?

Eine befürchtete Dominanz von Yamaha trat - entgegen des Eindrucks der Freien Trainings - nicht ein. Yamaha hatte zwar Trainingsbestzeit am Freitag, sowie Bestzeit im 3. Training und in FP4 geholt, doch im Rennen hatte KTM die beste Pace. Das galt aber nicht nur für Sieger Brad Binder, sondern auch für dessen Markenkollegen Pol Espargaro und Miguel Oliveira. In 15 der 21 Runden war einer dieser drei Piloten der schnellste im gesamten Feld.

Schnellste Zeit in jeder der 21 Runden:

Fahrer Anzahl Schnellste Runde in
Brad Binder 9 Lap 3, 9-10, 12, 14, 16-18, 20
Miguel Oliveira 3 Lap 13, 15, 19
Pol Espargaro 3 Lap 4, 5-6
Franco Morbidelli 3 Lap 1-2, 4
Johann Zarco 1 Lap 8
Valentino Rossi 1 Lap 11
Alex Rins 1 Lap 21

Der erste MotoGP-Erfolg für KTM war somit hochverdient, ja hätte sogar noch beeindruckender ausfallen können. Doch Miguel Olvieira hatte sich bereits im Qualifying (P13) besserer Chancen beraubt und startete zudem im Rennen schlecht (-1 Platz). Somit musste er sich von Rang 14 nach vorne kämpfen. Von seinen 7,9 Sekunden Rückstand auf Binder im Ziel verlor er 4,5 Sekunden in den ersten drei Runden.

Bei Pol Espargaro war die Sache ein wenig anders gelagert. Der Katalane sah sich schon im Qualifying um einen besseren Startplatz betrogen, wo er zunächst als Zweiter geführt wurde, ihm dann aber wegen Missachtens Gelber Flaggen die Rundenzeit gestrichen wurde. Espargaro wütete danach gegen die Marshals, die ihre Flaggen nur auf der Außenseite der Kurve geschwenkt hätten, sodass er sie gar nicht sehen hatte können.

Im Rennen wirkte der Katalane erneut emotional und nervös. Obwohl vor Binder gestartet, lag er nach zwei Runden hinter ihm und es dauerte bis zur 8. Runde, ehe er wieder auf Schlagdistanz zu ihm aufgeschlossen hatte. Als sich Binder in Lap 9 endlich Quartararo schnappen konnte, wollte Espargaro seinen Teamkollegen nicht alleine auf die Jagd auf Leader Morbidelli lassen.

Er zog selbst am WM-Leader vorbei, leistete sich aber in Turn 13 schon den ersten Fehler, indem er sich zu weit nach außen treiben ließ und sogar die Boxeneinfahrtslinie kreuzen musste. Über Start/Ziel war ihm damit nicht nur Quartararo enteilt, sondern plötzlich hatte er auch den bereits bezwungen geglaubten Zarco wieder im Nacken.

Beim Anbremsen von Turn 1 unterlief Espargaro der nächste Fehler und er kam erneut zu weit von der Linie ab. Mit dem Messer zwischen den Zähnen zog er zurück in Richtung des Innenkerbs, wo mittlerweile aber schon Zarco auf die Ideallinie durchgestochen war. Da keiner der beiden zurückziehen wollte, kam es zur Berührung, die Espargaro zu Fall brachte. Der Zwischenfall ließ die Emotionen hochgehen.

Beim Blick auf seine Pace und die einzelnen Rundenzeiten kann man klar sagen: Espargaro hat in dieser Situation einen Podestplatz verloren, vermutlich sogar einen Doppelsieg für KTM in den Kies gesetzt. Entsprechend emotional reagierte er danach: "Ich war in der Kurve und er hätte den Kontakt vermeiden können. Aber das hat er nicht gewollt, er hat stattdessen Gas gegeben und mich von der Linie geworfen. Er musste nur eine Long-Lap-Penalty fahren, die hier auf dieser Strecke ein Witz ist. Ohne diese Aktion wäre er nicht auf das Podium gekommen."

Wie viel Zeit hat Zarco seine Long Lap gekostet?

Eine Long-Lap-Penalty als Witz? Werfen wir einen Blick darauf, wieviel Zeit Zarco tatsächlich verloren hat. Turn 7, wo die Strafzone auf der äußersten Bahn verläuft, liegt im zweiten Sektor der Strecke. Vergleicht man Zarcos Rundenzeit in Lap 14 (hier hat er die Strafe angetreten) mit jener davor und danach, wird ersichtlich, dass er etwas mehr als zwei Sekunden verloren hat.

Runde Zarcos Sektorzeit
Lap 13 35,912
Lap 14 38,120
Lap 15 35,997

Das gelang Zarco aber auch nur dadurch, dass er auf seiner Long-Lap-Penalty volles Risiko nahm. In spitzem Neigungswinkel, hielt er die Reifen seiner Ducati gerade so über der Außenseite der Markierung, während seine Knieschleifer schon über die Innenseite der Linien hinausragten. Sogar Staub wurde auf dieser schmutzigen Seite der Piste aufgewirbelt. Seine Aktion war also mit einem gewissen Sturzrisiko verbunden.

"Ich bin so etwas durch das Kreisverkehr fahren mit meiner Multistrada gewohnt", scherzte Zarco danach. "Eigentlich dachte ich aber, dass zwei bis drei Fahrer an mir vorbeiziehen würden. Deshalb wollte ich diese Strafe so schnell wie möglich erledigen." Sein Plan ging auf, denn er kam knapp vor Fabio Quartararo wieder auf die reguläre Strecke zurück und konnte dadurch seinen Podestplatz verteidigen.

Wie stark bauten die Reifen ab?

Auch diese Aktion zeigte, wie sehr Jerez-Dominator Yamaha (Doppel- und Dreifachsieg) in Brünn litt. Doch war es alleine der hohe Reifenverschleiß, der Quartararo, Rossi und Vinales zusetzte, oder fehlte ihnen generell die Pace im Vergleich zur Konkurrenz?

Fahrer Gap SR zu Lap 10 Gap SR zu Lap 20
Brad Binder +1,086 +2,420
Franco Morbidelli +1,308 +3,025
Johann Zarco +1,110 +2,214
Alex Rins +0,715 +1,530
Valentino Rossi +0,874 +1,830
Miguel Oliveira +0,878 +1,965
Fabio Quartararo +1,461 +3,068
Andrea Dovizioso +0,921 +1,819
Maverick Vinales +1,109 +3,445

Ein Blick auf die Tabelle zeigt klar, dass Yamaha mehr vom Reifenabbau betroffen war als die anderen Hersteller. Denn während zum Beispiel bei Alex Rins der Unterschied zwischen schnellster und vorletzter Runde nur eineinhalb Sekunden betrug, so lag dieser Wert beim Yamaha-Trio Morbidelli, Quartararo und Vinales bei über drei Sekunden.

Einzig Valentino Rossi, als Fünfter zweitbeste Yamaha am Sonntag, konnte sich sein Rennen besser einteilen. Sein Reifenabbau-Wert lag bei unter zwei Sekunden. Ernüchternd muss ein Blick in diese Statistik für Andrea Dovizioso sein. Denn mit 1,8 Sekunden Unterschied zwischen schnellster und vorletzter Zeit fuhr er ein konstantes Rennen, allerdings war der Elftplatzierte an diesem Tag einfach nicht schnell genug und seine schnellste Rennrunde eine Sekunde langsamer als jene von Brad Binder.

Fazit

KTM hat die Gunst der Stunde in Brünn genutzt. Zum ersten Mal in der MotoGP-Geschichte hatte man am Sonntag die beste Pace und konnte diese dank Brad Binder zum ersten Sieg verwerten. Es wäre noch mehr möglich gewesen, wenn Pol Espargaro in den entscheidenden Rennrunden einen kühleren Kopf bewahrt hätte.

Für Yamaha verlief der Tschechien-GP ernüchternd. Zwar durfte man den ersten Podestplatz für Franco Morbidelli bejubeln, doch mit dem massiven Reifenabbau bei drei der vier Yamaha-Bikes kam ein altes und überwunden geglaubtes Problem wieder zurück. Valentino Rossi konnte damit am besten umgehen, doch für die Titelambitionen von Quartararo und Vinales sind das keine guten Vorzeichen.