Die Einsätze am Pokertisch der MotoGP sind hoch, immerhin geht es um nichts Geringeres als die wichtigsten drei Titel im Motorradsport. Trophäen, die zuletzt dreimal in Folge im Triplepack an Honda gingen. Doch der japanische Hersteller hat seine Erfolge mit einer riskanten All-In-Strategie erobert, die sich in der verkürzten Corona-Saison 2020 rächen könnte.

Denn das einzige Ass in der Honda-Hand hat den Saisonauftakt in Jerez verbockt und muss in den kommenden Tagen um eine rasche Rückkehr in den MotoGP-Zirkus bangen. Ist Marc Marquez 2020 noch Topfavorit auf den Gesamtsieg und Solo-Garant für Triumphe in Team- und Konstrukteurs-Wertung? Nach dem Desaster von Jerez muss man diese Frage klar verneinen.

Marc Marquez ist seit Jahren Hondas Plan A, zu dem es keine Alternativen mehr gibt. Die jahrelangen Erfolge gaben den riskanten Planungen Recht, in Japan verzichtet man daher schon seit vielen Jahren auf einen Plan B. Schon im Vorjahr hätte der gefloppte Lorenzo-Transfer fast zum Verlust der Team-Wertung an Ducati geführt.

Marquez seit 2014 unumschränkter Honda-Herrscher

Spätestens seit seiner Siegesserie 2014 entwickeln die Japaner nur noch in die Richtung, die Marc Marquez ihnen vorgibt. Die Ingenieure konnten sich austoben, die RC213V wurde dadurch immer radikaler und aggressiver, weil der wendige Spanier auch den biestigsten Motor mit vollem Körpereinsatz irgendwie bändigen und zu Erfolgen führen konnte. Ist die Honda das "beste" Motorrad, wie viele Marquez-Hater immer wieder unterstellen? Wohl nur in den Händen des besten Fahrers.

Selbst große Namen wie Dani Pedrosa und Jorge Lorenzo zerbrachen an dieser Maschine, die letztlich sogar der Grund war, wieso diese beiden glänzenden Karrieren so unrühmlich mit Negativ-Rekorden zu Ende gingen. Neben Marquez war zuletzt nur Cal Crutchlow fähig, in einigen Rennen aus eigener Kraft Podestplätze und sogar Siege zu holen.

Doch selbst von ihren erfolgreichen Bezwingern forderte die RC213V einen hohen Preis, der in der Crash-Statistik der vergangenen fünf Jahre klar ersichtlich ist: In dieser liegen Marc Marquez (94 Stürze seit Anfang 2015) und Cal Crutchlow (91 im gleichen Zeitraum) haushoch an der Spitze, während Fahrer wie Maverick Vinales (30), Andrea Dovizioso (27) oder Valentino Rossi (26) in diesem Zeitraum nur einen Bruchteil der Unfälle der Honda-Piloten aufweisen.

Jerez: Ein Crash zuviel

Der Crash in der viertletzten Runde des Rennens von Jerez war für Marc Marquez dieser eine zu viel, bei dem eben nicht mehr alles glimpflich ausging. Das könnte nun für die erste Verletzungspause des MotoGP-Champions in der Königsklasse sorgen. Unglaublich, aber wahr: Bei zuvor 121 Stürzen an 128 Wochenenden kam er zumindest immer in einem Zustand davon, der einen Start beim darauffolgenden GP erlaubte.

Dieser Nimbus der Unzerstörbarkeit ist nun dahin, bekam aber bereits in den vergangenen Jahren Kratzer. Mittlerweile sind beide Schultern operiert, nun kommt der Oberarm dazu - im schlimmsten Fall inklusive eine Nervenschadens, wie die MotoGP-Ärzte befürchten. Sollte all das dazu führen, dass Marquez seine Monster-Saves nicht mehr in der gewohnten Kompromisslosigkeit zeigen kann, muss Honda zwei bis drei Ausfälle pro Jahr mehr einrechnen.

Hondas Plan A bröckelt 2020 gewaltig, was aber verständlicher macht, warum man für die kommende Saison Pol Espargaro verpflichtet hat. Dem Spanier traut man nicht nur vom Fahrstil her die Bändigung der RC213V zu, sondern möchte auch von seiner Expertise als Chefdompteur der KTM RC16 profitieren. Honda muss diese Chance aber auch nutzen, aus dem Jerez-Schock lernen und das nächste Motorrad wieder fahrbarer machen.

"Er wird eine gute Unterstützung für Marc sein", urteilte Honda-Teamchef Alberto Puig über Espargaro. Und er wäre zumindest ein guter Plan B. Bruder Alex ist das nämlich ebenso wenig wie ein am Kahnbein verletzter Cal Crutchlow oder Taka Nakagami. Ohne einen topfitten Marquez droht Honda in der MotoGP-Hackordnung 2020 gleich mehrere Ränge auf einmal zu verlieren - und im Poker um die WM-Titel letztlich leer auszugehen. Denn genau das ist die Gefahr, wenn man alles auf nur eine Karte setzt.