Marc Marquez ist der beste MotoGP-Fahrer dieser Epoche. So gerne über diese Stellung auch diskutiert wird, die Fakten sprechen eine deutliche Sprache zugunsten des Mannes mit der Startnummer 93. Mit erst 26 Jahren hat er bereits weit über 70 Grands Prix gewonnen. 2019 wird er voraussichtlich seinen achten Weltmeistertitel einfahren. Schon jetzt hat er mehr Pole Positions geholt als jeder andere Pilot in der WM-Geschichte, weitere Bestmarken werden folgen. Selbst die 122 GP-Siege und 15 Weltmeistertitel von Giacomo Agostini scheinen greifbar.

Und doch ist Marc Marquez für viele Fans noch weit vom Legendenstatus eines Valentino Rossi entfernt, selbst Fahrer mit einer deutlich bescheideneren Erfolgsbilanz liegen in ihrer Gunst weit vor MM93. Woran liegt das? Sicherlich nicht an Marquez' Fahrstil. Selbst alte Zweirad-Haudegen müssen ihre grauen Zellen ordentlich strapazieren, um sich an einen Piloten zu erinnern, der sein Arbeitsgerät derart spektakulär um die Rennstrecken dieser Welt prügelte. Marc Marquez auf einer MotoGP-Maschine zu beobachten ist ein Spektakel. In jedem Rennen, jedem Qualifying, jedem Training und an jedem Testtag. In jeder einzelnen Runde definiert er physikalische Gesetze scheinbar neu. Jeder Mensch, der Motorräder mag, muss diese Show lieben. Marquez ist es aus anderen Gründen bisher nicht gelungen, zum Liebling der Massen zu werden, wie es einst Rossi oder vor ihm bereits Fahrern wie Barry Sheene gelungen war. Oft wird ihm vorgeworfen, er wäre ein schmutziger Fahrer und ginge häufiger als nötig mit der Brechstange gegen seine Gegner vor. Ein Vorwurf, der definitiv nicht haltlos ist. Marquez hat schon mehrfach die Grenzen des Erlaubten oder zumindest des Akzeptierten überschritten. Sein Chaos-Rennen in Argentinien 2018 sei hier nur als wohl prominentestes Beispiel genannt. Setzt man derartige Aussetzer in Relation zu fast 200 Grand-Prix-Starts, scheint sein Fehlverhalten aber im vertretbaren Rahmen. Fahrer wie Valentino Rossi oder Mick Doohan waren - respektive sind - im Infight mit der Konkurrenz ja beispielsweise auch keine Kinder von Traurigkeit. Sete Gibernau oder Alex Criville können davon ein Lied singen. Manch andere stören sich am Auftreten von Marquez. Zu glatt gebügelt sei er schon seit Kindheitstagen, mehr Marketing-Figur für Repsol und Honda als eigenständige Persönlichkeit.

Dieses Urteil leitet direkt in den größten Kritikpunkt über. Die Tatsache, dass er bislang kein Interesse daran zeigte, sich auf einem anderen Motorrad als der Honda RC213V in der Königsklasse zu beweisen, wird Marquez immer wieder zur Last gelegt. Die prägenden Fahrer der letzten Jahre wie Valentino Rossi, Casey Stoner oder Jorge Lorenzo waren ja für mindestens zwei MotoGP-Hersteller an den Start gegangen und hatten dabei auch Rennsiege oder sogar Weltmeistertitel eingefahren. Warum er selbst einen Wechsel zum Erlangen des ultimativen Legendenstatus nicht für nötig hält und worin eines Tages sein sportliches Vermächtnis liegen soll, verrät Marc Marquez im exklusiven Interview mit Motorsport-Magazin.com.

MSM: Marc, es ist zwar noch nichts entschieden, aber du bist auf dem besten Weg, deinen achten Weltmeistertitel zu holen - den sechsten in sieben Jahren MotoGP. Da kommen immer wieder Stimmen auf, die fordern, dass du dich auch auf einem anderen Motorrad als der Honda beweisen sollst. Denkst du nicht, dass es nötig ist, für zwei unterschiedliche Hersteller MotoGP-Weltmeister zu werden, um als einer der besten Fahrer aller Zeiten zu gelten?
[Das Interview fand während der Saison statt, als Marc Marquez noch nicht als Titelträger feststand]
MARC MARQUEZ: Nein, weil es da draußen vier Hondas gibt. Wenn ein Spitzenfahrer auf Honda zukommt und sagt, er möchte hier fahren, dann werden sie ihm die Möglichkeit geben, auf diesem Motorrad Weltmeister zu werden. Dann gilt es für mich, ihn zu schlagen, um der beste Fahrer zu sein. Deshalb glaube ich nicht, dass Titel auf zwei unterschiedlichen Motorrädern mehr wert sind. Im Endeffekt zählt nur die Zahl der Erfolge. Je mehr du gewinnst, desto besser bist du.

Du schließt einen Wechsel zu einem anderen Hersteller also aus?
Ich weiß nicht, was in der Zukunft passieren wird. Ich bin erst 26 Jahre alt. Ich weiß aber, dass im Moment nur Honda für mich zählt. Hier fühle ich mich wohl und es war immer mein Traum, für diesen Hersteller zu fahren. Wenn dein Traum wahr wird, du Spaß hast und gewinnst, warum solltest du dann wechseln?

Viele Fahrer haben es in der Vergangenheit gemacht, um neue Motivation zu finden.
Vielleicht brauche ich diese Motivation irgendwann, ja. Dann werde ich aber wechseln, weil es für mich wichtig und nötig ist. Nicht, weil irgendwelche Leute sagen, dass ich das tun muss. Das ist mir vollkommen egal.

Die Meinung welcher Menschen ist dir denn wichtig?
Nur die von Personen aus meinem direkten Umfeld. Zuhause ist das meine Familie. An der Strecke sind es mein Team sowie mein Manager Emilio Alzamora. An einem Rennwochenende höre ich nur auf sie. Wenn sie sagen, dass ich etwas Dummes gemacht habe, dann weiß ich, dass sie wahrscheinlich... (hält kurz inne) Okay, nicht wahrscheinlich, dann haben sie sicher einen Grund dazu und ich denke dann auch darüber nach. Wenn sie mir sagen, dass ich etwas gut gemacht habe, dann weiß ich auch, dass sie das ernst meinen. Was irgendwelche anderen Menschen sagen, war mir vielleicht vor sechs Jahren wichtig, aber jetzt nicht mehr. Ich vertraue nur den Leuten, die mir wirklich nahestehen.

Ein Tapetenwechsel als Motivation ist bei dir also im Moment nicht nötig, du bist auch so motiviert genug. Was treibt dich denn an?
Titel und Rennen zu gewinnen - in dieser Reihenfolge. Der Titel ist immer das große Ziel, dann kommen die Rennsiege. Erfolge sind für mich der beste Treibstoff. Ich fahre Motorradrennen, um am Sonntag ganz oben auf dem Podium zu stehen. Das ist der Moment, in dem sich die ganze harte Arbeit und all die Entbehrungen bezahlt machen. Dann ergibt alles plötzlich Sinn. Dieses Gefühl treibt mich an.

Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass wir dich irgendwann in der MotoGP nicht mehr auf einer Honda sehen werden. Denkst du, der Wechsel auf ein völlig anderes Bike wie etwa die Suzuki würde dir leichtfallen? Es scheint ja so, als könntest du dich an alle möglichen Faktoren sehr gut anpassen, seien es nun unterschiedliche Strecken, Wetterbedingungen oder die fortlaufenden Veränderungen an deiner Maschine.
Die Fähigkeit, mich schnell an neue Situationen oder Motorräder anzupassen, ist sicherlich eine meiner Stärken, ja. Wenn wir zuhause beispielsweise Offroad trainieren und die Bikes wechseln, dann bin ich von der ersten Runde an schnell. Ob das auch in der MotoGP so funktioniert würde? Ich weiß es nicht.

Deinem aktuellen Teamkollegen Jorge Lorenzo fällt das ja offensichtlich schwer.
Wenn du zu einem neuen Team kommst und dort ein Motorrad fährst, das Rennen gewinnt, dann musst du dich daran anpassen. Wenn dir das nicht gelingt, dann machst du etwas falsch. Wenn ich jetzt zu Ducati oder Suzuki wechseln würde und nur Zehnter werde, während mein Teamkollege siegt, dann liegt der Fehler bei mir, denn das Motorrad ist offensichtlich besser.

Bei Honda ist das demnach der Fall. Keiner deiner drei Markenkollegen Lorenzo, Cal Crutchlow und Takaaki Nakagami mischt in der Weltmeisterschaft vorne mit, während du sie sogar dominierst. Hast du das Gefühl, dass deine Leistungen oft nicht ausreichend geschätzt werden?
Ich glaube, dass ich selbst oft nicht wirklich zu schätzen weiß, was ich erreiche. Aber wenn der Tag einmal kommt - und er wird kommen - an dem ich nicht mehr gewinnen kann und vielleicht nur Dritter, Vierter oder Fünfter werde, dann werden die Leute und auch ich realisieren, was wir wirklich vollbracht haben. Im Moment fehlt mir dazu ganz einfach die Zeit. Wenn ich ein Rennen gewinne, denke ich sofort an das nächste Rennen, den nächsten Sieg. Du kannst nicht einen Grand Prix gewinnen und dann sagen: "Fette Party, alles geht auf mich." Mit so einem Charakter kannst du kein Spitzenathlet sein.

Marc Marquez: Ich glaube, dass ich selbst oft nicht wirklich zu schätzen weiß, was ich erreiche., Foto: Tobias Linke
Marc Marquez: Ich glaube, dass ich selbst oft nicht wirklich zu schätzen weiß, was ich erreiche., Foto: Tobias Linke

Du siehst dich also selbst als harten Arbeiter. Was aber soll den Fans von dir in Erinnerung bleiben, wenn du deinen Helm in einigen Jahren an den Nagel hängst?
Dass ich immer alles gegeben habe, in jeder Situation. Ob ich nun voll im Titelkampf stecke oder weit voraus bin, ich versuche immer, mein Maximum abzurufen, denn Motorradfahren ist mein Leben. Wenn ich morgens aufstehe, dann denke ich an Motorräder.

Mit dieser Mentalität hast du schon unglaublich viel erreicht. Welcher deiner Erfolge ist für dich der wertvollste?
Für mich sind das die WM-Titel 2013 und 2014, das waren die bislang besten Jahre meiner Karriere. 2013, weil ich damals ohne Druck fahren konnte. Ich habe ganz einfach nicht damit gerechnet, Weltmeister zu werden. Am Ende ist es mir aber gelungen. Und 2014, weil nicht nur ich den MotoGP-Titel holen konnte, sondern auch mein Bruder Alex Moto3-Champion wurde. Das war eine unglaubliche Saison für uns.

Du hast bei deinem MotoGP-Aufstieg 2013 mit dem Elbow-Down-Stil auch eine neue Fahrweise in die Königsklasse gebracht.
Darüber rede ich ehrlich gesagt nicht so gerne (lacht).

Wieso das?
Weil es kein wirklich neuer Stil war, ich war nur der Fahrer, der ihn in der MotoGP richtig etabliert hat. Es ist aber natürlich toll, jetzt zu sehen, wie alle anderen Fahrer in der MotoGP diese Fahrweise übernommen haben. Selbst kleine Kinder, die mit ihren Minibikes auf Kartstrecken fahren, schleifen jetzt mit ihren Ellbogen am Boden.

Zu Beginn gab es ja durchaus auch Kritik an diesem Stil, es hieß, das sei nur Show - ein Spleen von dir.
Ja, ich persönlich bin dadurch aber mittlerweile nicht nur schnell, sondern kann damit auch viele Stürze verhindern. Das ist also in gewisser Weise wieder ein neuer Stil.

Es drängen aktuell viele Jahre junge Fahrer in die MotoGP-Elite. Denkst du, dass von ihnen jemand eine derartige Revolution einleiten wird wie du damals?
Das ist ein ganz normaler Prozess, auch wenn es für mich schon komisch ist, wenn ich am Podium oder in der ersten Startreihe der älteste Fahrer bin. Ich bin 26, also eigentlich noch sehr, sehr jung. Aber diese neue Generation kommt und unter den vielen jungen Fahrern wird es einen herausragenden Fahrer geben. Er wird neue Techniken einbringen und den Sport auf das nächste Level heben. Diese Veränderungen muss dann auch ich verstehen und versuchen, mich zu verbessern.

Wir haben viel über deine eigenen Erfolge gesprochen. Wenn wir auf andere Piloten blicken, egal ob aktuelle oder Fahrer aus der Vergangenheit: Welche ihrer Leistungen würdest du auch gerne erbringen?
Was Valentino geleistet hat und immer noch leistet, ist sehr beeindruckend. Ich glaube, jeder von uns Rennfahrern wünscht sich, dass er mit 40 Jahren auch noch um Siege kämpfen kann. Auch deshalb ist Valentino einer der größten Fahrer in der Geschichte unseres Sports. Herausragend ist für mich aber Mick Doohan. Er hat seine Gegner Wochenende für Wochenende auf der Rennstrecke auseinandergenommen. Das ist die beste Art, Rennen zu fahren. Wir reden viel über psychologische Spielchen, aber du kannst deinen Gegnern nicht mehr Schaden zufügen, als wenn du sie regelmäßig deklassierst. Damit zerstörst du sie regelrecht. Mick ist das gelungen und das finde ich genial.

Aber das ist doch nicht gut für den Sport. In der Formel 1 befindet sich ja Lewis Hamilton in so einer Situation und er meinte in diesem Jahr, dass er sehr gut verstehen kann, wenn die Fans den Sport als langweilig empfinden.
Der Unterschied ist, dass man in der Formel 1 schon vor dem Wochenende weiß, welches Auto gewinnen wird. In der MotoGP ist der Fahrer immer noch wichtiger als die Maschine, in der Formel 1 ist das anders. Hamilton ist einer der besten Fahrer oder vielleicht sogar der beste, also verdient er dieses Auto schon. Aber was ich an der Formel 1 nicht mag, ist, dass es mittlerweile eher eine Ingenieurs- als eine Fahrer-Meisterschaft ist. Wenn du überholen willst, musst du vorher mit deinem Team darüber sprechen. Das ist doch lächerlich. In der MotoGP habe ich zwar fünf der letzten sechs Titel gewonnen, aber die Rennen werden oft erst in der letzten Runde oder sogar der letzten Kurve entschieden. Das macht unseren Sport aus.

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