Das geschichtsträchtige MotoGP-Rennen in Silverstone zeigte es ganz deutlich: In der Königsklasse gibt es unterschiedliche Fahrweisen, die zum Erfolg führen können. Marc Marquez begeisterte mit seinem gewohnt aggressiven Stil. Seine 20 Rennrunden waren voller Rutscher, Wackler und Stoppies. Alex Rins hingegen pilotierte seine Maschine wie auf Schienen um den Kurs. Er wählte weite, runde Linien und machte somit Tempo.

Warum? Weil beide Fahrer die Stärken ihrer jeweiligen Maschine zu nutzen versuchten. Im Fall von Marquez und seiner V4-Honda sind das, wie für dieses technische Konzept typisch, gute Bremsstabilität und starke Beschleunigung. Rins' Suzuki mit Reihenmotor hingegen punktet, ebenfalls typisch, durch Wendigkeit und überlegenen Kurven-Speed. Am Ende lagen die so unterschiedlich erzielten Rennzeiten nur 13 Tausendstelsekunden auseinander.

Silverstone ist aber eine besondere Strecke im Rennkalender. Es ist ein Kurs der alten Schule, mit vielen schnellen, flüssigen Kurven und wenigen harten Brems- und Beschleunigungszonen. Von dieser Sorte gibt es im aktuellen MotoGP-Kalender nur noch wenige Kurse wie Phillip Island, Assen, Mugello oder eben Silverstone. Die restlichen Strecken weisen einen anderen Charakter auf.

V4s geben MotoGP-Takt vor

In der aktuellen MotoGP-Ära, beginnend 2016 mit der Einführung der Einheitselektronik und dem Wechsel von Bridgestone- auf Michelin-Reifen, haben V4-Motorräder (Honda, Ducati, KTM, Aprilia) 51 der bislang 66 Rennen gewonnen, die Reihen-Vierzylinder von Yamaha und Suzuki siegten nur 15 Mal. Bezeichnend: die vier zuvor genannten Strecken machen nur rund 21 Prozent des aktuellen Kalenders aus, die Reihen-Vierzylinder feierten auf diesen Strecken aber 40 Prozent ihrer Siege. In den letzten 43 Rennen gelang mit Alex Rins' Austin Triumph 2019 nur ein Erfolg auf einer anderen Strecke. Und der wäre auch an V4-Pilot Marc Marquez gewannen, hätte der seine Honda nicht klar in Führung liegend weggeworfen.

Es stellt sich also die Frage: Wie kann Yamaha oder Suzuki gegen die V4-Konkurrenz von Honda oder Ducati einen WM-Titel gewinnen, wenn ihnen nur vier von 19 Strecken in die Karten spielen? Die kurze Antwort: Nur sehr schwer.

Eine ausführlichere Antwort kennt der erfolgreichste MotoGP-Fahrer überhaupt auf einer Reihen-Vierzylinder-Maschine: Valentino Rossi. "Ich denke, dass beide Konzepte ihre Vor- und Nachteile haben", führt er aus. "Fakt ist, dass die zwei schnellsten MotoGP-Maschinen aktuell auf einen V4 setzen. Yamaha ist aber sehr fokussiert auf den Reihenmotor, weil sie der Meinung sind, mit diesem Konzept und ihrer Erfahrung damit das insgesamt beste Motorrad bauen zu können. Deshalb wird Yamaha auch in der Zukunft daran festhalten. Wir müssen aber daran arbeiten, das Maximum aus diesem Motorenkonzept herauszuholen."

Rossi hat seit über zwei Jahren kein Rennen mehr gewonnen, Foto: Tobias Linke
Rossi hat seit über zwei Jahren kein Rennen mehr gewonnen, Foto: Tobias Linke

Zuletzt war vor allem Yamaha auf den Geraden oft chancenlos unterlegen. Das müsse aber nicht so sein, glaubt Rossi: "Der Reihenmotor ist im Normalfall besser in den Kurven und schlechter im Topspeed. Wir hatten in der Vergangenheit aber auch schon Jahre, in denen Yamaha auf den Geraden schnell genug war. Ich glaube deshalb, dass der Unterschied zwischen den Konzepten nicht so groß ist, wenn man das volle Potenzial nutzt."

Alles eine Frage des Potenzials?

Geht es also nur darum, wer mehr aus seinem jeweiligen Konzept macht? V4-Maschinen gelten im Vergleich mit ihren Reihenmotor-Schwestern generell als schwieriger zu fahren. Beobachtet man die guten bis herausragenden Leistungen praktisch aller Yamaha- und Suzuki-Neueinsteiger der letzten Jahre, scheint das der Wahrheit zu entsprechen. Bei Ducati und vor allem Honda fiel das vielen Fahrern schwerer, manchen straucheln bis heute.

Und doch gewannen seit 2016 acht Piloten (Marquez, Pedrosa, Crutchlow sowie Miller für Honda und Dovizioso, Lorenzo, Petrucci sowie Iannone für Ducati) mit V4-Maschinen ein MotoGP-Rennen, auf Reihen-Vierzylindern nur vier (Rossi, Lorenzo und Vinales für Yamaha, Rins und ebenfalls Vinales auf Suzuki). Aktuell ist die Königsklasse fest in der Hand der V-Motoren. Können die Reihen-Triebwerke zurückschlagen? Man darf zumindest daran zweifeln.