Die MotoGP-Gesamtwertung wurde beim Grand Prix von Amerika in Austin gehörig auf den Kopf gestellt. Marc Marquez stürzte im Rennen an der Spitze liegend und verlor seine WM-Führung. Anstatt mit 18 Punkten Vorsprung kommt Marquez nun mit neun Zählern Rückstand zum ersten Europarennen nach Jerez Anfang Mai - und liegt damit hinter Andrea Dovizioso, Valentino Rossi und Alex Rins nur noch auf WM-Rang vier.

Vier Fahrer auf vier unterschiedlichen Motorrädern - Dovizioso auf Ducati, Rossi auf Yamaha, Rins auf Suzuki und Marquez auf Honda - liegen also nach drei Rennen innerhalb von neun Punkten auf den ersten vier Plätzen. Doch wie schätzen die vier Piloten selbst ihre WM-Chancen ein?

Herr der Lage: Andrea Dovizioso

Spitzenreiter Andrea Dovizioso konnte sich bei den Überseerennen schadlos halten. Den Saisonauftakt in Katar gewann er zum zweiten Mal in Serie, auf der für ihn und Ducati traditionell schwierigen Strecke von Termas de Rio Hondo wurde er guter Dritter und in Austin kämpfte er sich von Startplatz 13 noch auf Rang vier nach vorne und machte so durch Marquez' Sturz sogar Boden gut.

"Marcs Crash hat gezeigt, dass er nicht alles unter Kontrolle hat. Zwar meistens, aber eben nicht immer", stellte Dovizioso zufrieden fest. "Das ist gut für uns und die gesamte Meisterschaft, denn in den ersten beiden Rennen war er unglaublich schnell. Jetzt haben wir aber die Bestätigung, dass wir um den WM-Titel kämpfen können." Schon 2017 und 2018 war Dovizioso Marquez' härtester Gegner und wurde beide Male Vizeweltmeister. "In dieser Saison ist die Meisterschaft aber ganz anders. Ich denke, Alex wird um den Titel kämpfen und Valentino und Marc mit Sicherheit auch. Es wird also nicht wie in den letzten Jahren nur auf ein Duell zwischen Marc und mir hinauslaufen."

Erster Herausforderer: Valentino Rossi

Das wäre auch im Sinn von Doviziosos erstem Verfolger Valentino Rossi, den aktuell nur drei Zähler vom Platz an der Sonne trennen. "Die Meisterschaft ist durch Marcs Sturz in Austin jetzt sehr offen", weiß auch er. "Im Moment sieht es so aus, als wären wir wirklich stark. Das Motorrad hat sich verbessert und vielleicht können wir in dieser Saison noch oft um den Sieg kämpfen. Jetzt kommt eine wirklich heiße Phase der Saison auf uns zu. Von Jerez bis zum Sachsenring geht es Schlag auf Schlag. Ich liebe diese Rennen, denn ich kenne die Strecken sehr gut."

MotoGP Austin 2019: Der Analyse-Talk zum Rennen (23:57 Min.)

Der erste Europa-GP in Jerez wird für Rossi eine wichtige Standortbestimmung. Dort wurden in den vergangenen Jahren die Probleme von Yamaha augenscheinlich. Vor allem 2017 kassierte das Werksteam eine schallende Ohrfeige, Maverick Vinales und Rossi verloren 24 beziehungsweise 38 Sekunden auf die Siegerzeit. "Jerez war für uns in den letzten Jahren die schwierigste Strecke überhaupt, 2017 und 2018 war es ein Desaster. Wenn wir dort auch stark sind, dann ist das ein sehr positives Zeichen", so Rossi.

Aktuell will sich Rossi deshalb selbst noch nicht wirklich im Titelrennen sehen: "Natürlich habe ich jetzt schon nach drei Rennen zwei zweite Plätze, 2018 im ganzen Jahr nur einen. Es kommt aber viel darauf an, was im Lauf der Saison passiert. Die MotoGP wird was das betrifft immer mehr wie die Formel 1. Jeder arbeitet an den kleinsten Details und verbessert sich so. 2017 habe ich nach Austin die Weltmeisterschaft auch angeführt, dann sind wir nach Europa gekommen, Honda und Ducati haben sich extrem gesteigert und für uns wurde die zweite Saisonhälfte zum Debakel. Wir müssen Yamaha also antreiben, um das Motorrad weiter zu verbessern."

Mann der Stunde: Alex Rins

Mann der Stunde in der MotoGP ist Alex Rins. Bei seinem 40. Start gewann er in Austin erstmals ein Rennen der Königsklasse. "Wir haben ein sehr gut ausbalanciertes Bike. In der abgelaufenen Saison und im Winter hat Suzuki da super Arbeit geleistet. Wir haben ein gutes Basis-Setup und können damit auf allen Strecken schnell sein", freut sich Rins, der nur im Qualifying und auf langen Geraden noch Schwächen sieht. "Ansonsten müssen wir einfach so weitermachen wie bisher."

Auch Valentino Rossi konnte Rins in Austin nur gratulieren, Foto: MotoGP
Auch Valentino Rossi konnte Rins in Austin nur gratulieren, Foto: MotoGP

Er kann von den vier WM-Anwärtern mit Abstand am wenigsten Erfahrung in der Königsklasse vorweisen. Seine zwei absolvierten Saisons stehen sechs bei Marquez, elf bei Dovizioso und 19 bei Rossi gegenüber. Dennoch sieht er sich für den Kampf um die MotoGP-Krone gewappnet: "Die Resultate zeigen, dass wir bereit dafür sind. Warum also nicht?"

Neben Dovizioso sehen auch Rossi und Marquez den Suzuki-Piloten als ernsthaften Rivalen. "Alex ist sicher ein Gegner im Titelkampf", glaubt Rossi. "Er hatte jetzt ja nicht nur ein gutes Rennen. Schon seit Ende der letzten Saison ist er am Sonntag immer vorne dabei, auch wenn er schlechte Qualifyings hat. Er fährt sehr clever und sauber. Das ist extrem wichtig, um den Reifen zu schonen. Dadurch ist er in der zweiten Rennhälfte immer sehr stark und nur schwer zu schlagen." Marquez hatte Rins ohnehin schon lange auf der Rechnung: "Alex ist auf jeden Fall ein Titelanwärter. Das war mir schon vor dem Saisonstart klar."

Der Titelverteidiger: Marc Marquez

Und wie sieht Marquez seine eigene Position nach der Nullnummer von Austin? "Wir liegen in der WM nur neun Punkte zurück. Außerdem haben wir die richtigen Rahmenbedingungen, um den Titel zu kämpfen", gibt sich der amtierende Weltmeister gelassen. Dass die Triumphe der letzten Jahre und auch die Galavorstellung von Argentinien, wo er den Rest des Feldes deklassiert hatte, nun keinen Wert mehr haben, ist ihm aber klar: "Im Sport zählt immer nur die Gegenwart. Man darf nicht in der Vergangenheit leben. In Argentinien war ich noch der Unschlagbare, der alle Rennen gewinnen wird. Jetzt bin ich der, der einen unnötigen Fehler gemacht hat. Ich bin auch nur ein Mensch und Menschen machen Fehler. Das Wichtigste ist, daraus zu lernen."