Alex, ist Andrea Dovizioso jetzt der heißeste Anwärter auf den MotoGP-Weltmeistertitel 2017?
Alex Hofmann: Man muss Dovi auf jeden Fall sehr ernst nehmen und kann nicht mehr von Zufall sprechen, wenn ein Mann, der zuvor je ein Rennen mit Honda und Ducati gewonnen hat plötzlich vier Siege in einer Saison hinlegt. Noch dazu hat er in diesem Jahr auf vier völlig unterschiedlichen Strecken gewonnen und nicht nur in Spielberg, wo es hauptsächlich geradeaus geht und man die Stärke auf Aerodynamik und Motor schieben kann.

Was macht Dovizioso deiner Meinung nach aktuell so stark?
Alex Hofmann: Er ist zusammen mit der Ducati ein absoluter Reifenflüsterer geworden. Die Maschine war in den letzten Jahren ja eher als Reifenfresser bekannt. Was auch immer Gigi Dall'Igna da angestellt hat - es funktioniert! Aber auch erselbst ist der absolut beste Dovi, den wir je gesehen haben. Er arbeitet das gesamte Wochenende genau auf die letzten paar Runden im Rennen hin, weil er weiß, dass es nur da entscheidend ist, seine Sachen beisammen zu haben. Und dann vollstreckt er eiskalt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Das hat er schon in Spielberg gezeigt, wo Marquez ja wirklich alles versucht hat, und das hat er in Silverstone gezeigt, wo er die Situation am Ende wieder souverän kontrolliert hat. Diese Faktoren zusammen bilden eine für die Konkurrenz unheimlich gefährliche Kombination.

Dovizioso wirkt auch in den Zweikämpfen deutlich aggressiver als wir das in der Vergangenheit oft von ihm gesehen haben. Ermöglicht ihm das Motorrad diese Fahrweise oder ist es das Selbstvertrauen aus den letzten Siegen?
Alex Hofmann: Ich denke, es ist das Wissen, dass jetzt vielleicht sein großer Moment gekommen ist. Er ist schon so lange in diesem Business und spürt nun, dass er die Chance hat, in der Königsklasse des Motorradsports Weltmeister zu werden. Da bist du dann einfach nochmal bereit diese letzten fünf Prozent im entscheidenden Moment draufzulegen. Das muss man dann auch gar nicht bewusst abrufen, das kommt ganz natürlich. Er spürt: Jetzt oder nie! Und seine Möglichkeiten waren tatsächlich nie besser, Motorschäden oder Stürze der Konkurrenz spielen ihm natürlich zusätzlich in die Karten.

MotoGP: Silverstone 2017 in 41 Sekunden: (00:41 Min.)

Valentino Rossi liegt als WM-Vierter 26 Punkte zurück. Er meinte aber am Donnerstag in Silverstone, dass er sich nicht im WM-Kampf sieht und wiederholte diese Aussage nach dem starken Rennen am Sonntag. Ist das eine realistische Einschätzung oder stapelt er da bewusst tief?
Alex Hofmann: Ich glaube schon, dass das eine realistische Einschätzung von Valentino ist. Er hat gemerkt, dass ihm derzeit im entscheidenden Moment zwei bis drei Zehntelsekunden fehlen. Ihn Spielberg war das schon so und heute hat es trotz langer Führung am Ende nur zu Rang drei gereicht. Valentino spürt, dass er momentan 100 Prozent geben, aber dennoch aus eigener Kraft nicht genug Punkte holen kann, um seine Gegner zu besiegen. Natürlich weiß er aber auch, dass im Motorradsport alles passieren und sich das Blatt auch wieder zu seinen Gunsten wenden kann.

Hat man bei Yamaha vielleicht ein bisschen auf das falsche Pferd gesetzt, als man mit dem Motorrad eher in die von Rossi gewünschte Entwicklungsrichtung ging?
Alex Hofmann: Ich glaube nicht, dass das der Fall war. Yamaha hört sicherlich auf beide Fahrer, weil beide realistische Chancen haben, Weltmeister zu werden. Da muss man als Hersteller alle zwei glücklich machen. Valentino ist aber natürlich ein sehr technikaffiner Fahrer und probiert an einem Rennwochenende normalerweise deutlich mehr am Motorrad aus als Maverick, redet auch dementsprechend mehr mit den Yamaha-Technikern über solche Details. Vielleicht sind seine Aussagen deshalb eher Thema. Wenn die zwei Fahrer unterschiedliche Rahmen haben wollten, würden sie die aber wohl bekommen. Ich denke nicht, dass das ein Problem wäre.

Bei Ducati und Honda hat sich mittlerweile mit Marquez und Dovizioso jeweils eine Nummer eins für diese Saison herauskristallisiert. Bei Yamaha liegen Vinales und Rossi nur 13 Punkte auseinander. Ist das eher ein Vorteil oder ein Nachteil?
Alex Hofmann: Zu Jahresbeginn ist es sicher ein Vorteil, wenn es dann eng wird kann es aber schnell zum Nachteil werden. Du hast dann nämlich einfach nicht die Möglichkeit, deinem schwächeren Piloten zu sagen, dass er die Nummer eins nicht attackieren soll. Und du kannst auch nicht rechtfertigen, dass ein Pilot eine technische Neuentwicklung vor dem anderen bekommt. Ich denke also, dass es besser ist, so wie Ducati und Honda ab Saisonmitte nur noch ein richtig heißes Eisen im Feuer zu haben, auf das sich das gesamte Team konzentrieren kann.

Bei Yamaha gibt es ein heißes Teamduell zwischen Rossi und Vinales, Foto: Yamaha
Bei Yamaha gibt es ein heißes Teamduell zwischen Rossi und Vinales, Foto: Yamaha

Zum Abschluss die Frage aller Fragen: Wer ist dein großer Favorit auf den MotoGP-Titel 2017?
Alex Hofmann: Es war noch nie so schwer eine Prognose abzugeben. Ich lehne mich aber aus dem Fenster: Für mich ist nach wie vor Marc Marquez der ganz große Favorit. Sein Gesamtpaket funktioniert einfach immer, er macht sehr wenig Fehler und ist in Flag-to-Flag-Rennen wahnsinnig stark. Der Motorschaden in Silverstone war natürlich sehr unglücklich, aber wenn einer das wegsteckt, dann auf jeden Fall Marc.