Maverick Vinales fuhr für seinen neuen Arbeitgeber Yamaha in Le Mans den 500. Sieg in der Hersteller-Geschichte ein. Jedoch nicht, ohne sich auf dem Weg dorthin das erste richtige Kopf-an-Kopf-Duell mit Valentino Rossi als Teamkollegen zu liefern. Wie ist die Stimmung zwischen den beiden Yamaha-Piloten nach fünf WM-Rennen?

Mehr Druck als je zuvor

Das Niveau der MotoGP nimmt seit Jahren mit jeder Saison kontinuierlich zu. Vor zwei Jahren hätte man glauben können, die Spannungen zwischen Rossi und Marc Marquez hätten den Druck im Rennen ins Unermessliche getrieben. Die fünfte Runde der MotoGP-Saison 2017 bewies jedoch, dass auch Duelle ohne Zwist im Hintergrund den Fahrern alles abverlangen. Denn selbst Rossi ließ sich vom astronomischen Druck in einen seltenen Fehler treiben. "Ich war nur etwa einen Stundenkilometer zu schnell, aber das hat gereicht, um beim Anbremsen die Kontrolle zu verlieren und von der Linie abzukommen", gestand Rossi nach dem Rennen. Ein paar Kurven später endete dieser Fehler in seinem Crash.

Der Doktor ist mit Abstand der erfahrenste Pilot im aktuellen MotoGP-Grid und mit Sicherheit auch einer der ausgefuchstesten. Aber bei einem Duell wie dem mit Vinales helfen Rossi auch die besten Tricks nichts. Einziges Trostpflaster für Rossi: Auch Vinales konnte bei dem harten Duell an der Spitze Fehlerchen nicht vermeiden. Sowohl in Runde 26, als zwei Runden später verbremste sich der Spanier. Auch Vinales' Fehltritte hätten in einem Crash enden können, der Yamaha-Neuling behielt jedoch im Gegensatz zu Rossi bis zum Ende die Nerven.

Es sind jedoch Situationen wie diese, die aufzeigen, wie stark der Druck auf den MotoGP-Piloten lastet. Wenn es um den Titelkampf geht umso mehr. Und im Falle Rossis zeigt nicht nur sein Crash, sondern auch seine Enttäuschung danach, wie ernst ihm das Rennfahren auch im 22. WM-Jahr noch ist.

Vinales vs Rossi: Kein Lorenzo-Ausmaß

Und trotz der harten Bandagen mit denen Vinales und Rossi in Le Mans kämpften, verlor keiner der beiden nach dem Rennen ein schlechtes Wort über den anderen. Eher im Gegenteil: Vinales gab zu, sich auf eine mögliche Revanche Rossis in Mugello zu freuen: "Ich hoffe, dass wir mehr solche Kämpfe haben werden." Nach bösem Blut klingt diese Aussage nun wirklich nicht.

Dabei kann es für Rossis Teamkollegen auch ganz anders laufen. Das beste Beispiel dafür ist wohl Jorge Lorenzo. Seit seinem Einstieg ins Yamaha-Team 2008 waren sich Rossi und Lorenzo spinnefeind. Legendär die Wand, die die Yamaha-Box in ein Rossi- und Lorenzo-Lager spaltete. Natürlich hatten auch die beiden MotoGP-Giganten mal bessere und mal schlechtere Zeiten, ein friedliches Miteinander wie aktuell zwischen Rossi und Vinales war jedoch selten möglich. Auch zu verbalen Auseinandersetzungen in Pressekonferenzen oder Media-Runden kam es zwischen den beiden (noch) nicht.

Erste Unstimmigkeiten

Lediglich eine kleine Unstimmigkeit muss das neue Yamaha-Zweiergespann bereits auf dem Konto verbuchen. In Le Mans entschieden sich 20 der 23 MotoGP-Piloten gegen das aktuelle Michelin-Pneu aus. Damit wird ab Mugello nur noch mit der Konstruktion aus dem Vorjahr gefahren. In der Yamaha-Box gab es in dieser Abstimmung geteilte Meinungen. Vinales stimmte gemeinsam mit zwei anderen Piloten (Jorge Lorenzo und Loris Baz) gegen die alten Pneus, Rossi mit dem restlichen Fahrerfeld dafür.

Der WM-Stand

Auch in Sachen WM-Stand belauerten sich Vinales und Rossi zuletzt bitter. Nach einem Rennen lag Rossi noch weit hinter dem Führenden Vinales, ein Rennen später in Argentinien war der Vorsprung des Spaniers jedoch schon wieder geschrumpft. In Austin war es nach Vinales' Nuller dann endgültig Essig, Rossi übernahm um sechs Zähler den WM-Vorsprung. Dieser Vorsprung hielt nun bis Le Mans. Nachdem auch Rossi jetzt einer Nuller kassierte, liegt jetzt Vinales wieder vorn.

Die ersten fünf Rennen der Saison haben jedoch bewiesen, dass das letzte Wort im WM-Kampf Vinales/Rossi noch lange nicht gesprochen ist. Mit hohem Druck, großen Erwartungen und starken Konkurrenten kann bereits in Mugello viel passieren - und die bisher gute Stimmung in der Yamaha-Box doch noch kippen.