Marc Marquez wird 2016 aller Voraussicht nach MotoGP-Weltmeister. Allerdings nicht dank Honda, sondern eher trotz Honda. Denn die RC213V war in diesem Jahr vor allem zu Saisonbeginn der Yamaha M1 deutlich unterlegen. Hauptproblem: Wie schon im Vorjahr ein zu aggressiver Motor, der sich nun mit der Einheitselektronik noch schwerer kontrollieren lässt. Während die Konkurrenz von Yamaha, Ducati, Suzuki und Aprilia keinerlei Probleme zu haben scheint, die Power ihrer Aggregate auf den Boden zu bringen, strauchelt man bei Honda. Aber warum?

Honda und der 'Screamer'

In der hochkomplexen Welt der MotoGP-Motoren eine einfache Antwort zu finden, ist schwierig. Auffällig ist aber, dass Honda als einziges der fünf aktuell in der MotoGP engagierten Werke einen 'Screamer' verwendet, der Rest setzt auf einen 'Big Bang'. Das müsste Honda eigentlich eine gleichmäßigere Leistungsentfaltung bringen.

Ausflug in die Untiefen der Motorentechnik: Was sind 'Screamer' und 'Big Bang'? Grundsätzlich bezeichnen diese beiden Begriffe die verwendete Zündreihenfolge. Im Normalfall zünden die vier Zylinder - in der MotoGP werden ja durchwegs Vierzylindermotoren verwendet, bei Suzuki und Yamaha in Reihe, bei Honda, Ducati und Aprilia im V - separat, die Abstände dazwischen sind immer gleich lang. Hier spricht man vom 'Screamer', da das Motorengeräusch einem bei höheren Drehzahlen ständig lauter werdendem Schrei gleicht. Beim 'Big Bang' hingegen wird die Zündreihenfolge verändert. Im Fall eines V4 bedeutet das konkret: Die zwei Zylinder die sich auf einer Zylinderbank befinden, sind so an der Kurbelwelle montiert, dass sie zeitgleich oder in einem verkürzten Abstand zünden. In diesen Zeiträumen mit mehreren Zündungen wird der Motor klarerweise kurz deutlich lauter, ähnlich einem Knall - dem 'Big Bang'.

Yamaha setzt seinen Jahren auf den 'Big Bang', Foto: Milagro
Yamaha setzt seinen Jahren auf den 'Big Bang', Foto: Milagro

Dieses Motorenkonzept liefert so also innerhalb kurzer Zeit mehr Drehmoment, was den Motor grundsätzlich noch aggressiver werden lässt. Bei Hondas bisherigen Problemen eigentlich eher kontraproduktiv, allerdings bietet der 'Big Bang' einen wesentlichen Vorteil, der ihn dann doch fahrbarer als den Honda-'Screamer' machen könnte. Mit der 'Big Bang'-Zündreihenfolge steht zwar kurz mehr Leistung zur Verfügung, es folgt aber logischerweise anschließend auch ein längeres Loch ohne Power. So lässt sich das Motorrad am Kurvenausgang zum Zeitpunkt der Zündungen gezielt in einen Slide versetzen, der sich dann in der Pause ohne Zündung wieder fast von alleine beendet. Eine Charakteristik, die beispielsweise dem durchaus für wilde Einlagen bekannten Marc Marquez entgegen kommen könnte.

Verräterischer Honda-Sound bei Tests

Wirkliche Beweise gibt es für die Umstellung Hondas von 'Screamer' auf 'Big Bang' aber ohnehin noch keine, Ingenieure, Führungsriege und Fahrer schweigen zu diesem Thema beharrlich. Aufgekommen waren die Vermutungen nach den Privattests in Misano und Aragon im September, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Der Sound der Motoren war aber freilich auch jenseits der Absperrungen zu hören und da erkannten geschulte Ohren einen deutlich anderen Klang. Von Honda gab es keinerlei Statements zu den Tests, lediglich kurze Videos auf Twitter.

Marc Marquez meinte auf eine mögliche Motorenrevolution angesprochen nur: "Abwarten! In Valencia werden es dann alle sehen." Sein Grinsen dabei war allerdings noch eine Spur spitzbübischer als sonst, was den Spekulationen natürlich weitere Nahrung gab.

Verwunderlich wäre ein Wechsel Hondas zum 'Big Bang' jedenfalls nicht. Seit knapp 30 Jahren springt man bei den Japaner zwischen den beiden unterschiedlichen Modellen der Zündfolge hin und her. Die legendäre NSR500 etwa wurde 1984 als 'Screamer' eingeführt, 1990 umgestellt, 1997 auf Wunsch von Mick Doohan wieder in den ursprünglichen Modus zurückgebracht. Das 'Big Bang'-Konzept hat sich mittlerweile auch bei den Viertaktern bewährt. Warum sollte Honda nicht erneut den Wechsel wagen?