So ein Heimrennen kann ganz schön stressig sein. Vor allem, wenn man Valentino Rossi heißt und der Hauptgrund ist, warum am Sonntag über 100.000 Fans an die Strecke in Misano pilgerten. "Ja, ich habe hier besonderen Druck", gab der Doktor am Samstag offen zu. "Es ist schwierig, mich durch das Fahrerlager zu bewegen und ich komme kaum von einem Fleck zum nächsten."

Doch es wäre nicht Rossi, würde er dieses Bad in der Menge nicht auch bis zu einem gewissen Grad genießen. "Sobald man auf die Strecke fährt, saugt man die großartige Atmosphäre und die Partystimmung förmlich in sich auf. Leider macht mich das nicht schneller, aber immerhin gibt es mir ein gutes Gefühl."

Das zeigte sich auch am Sonntag in der Outlap in die Startaufstellung, die Rossi beinahe im Schritttempo absolvierte, während die Fans die Tribünen in ein gelbes Pyro- und Fahnenmeer verwandelten. Im Rennen blieb Rossi sein vierter Sieg in Misano verwährt. Zu stark war an diesem Tag Dani Pedrosa, der den Doktor auf Platz zwei verwies. "Gegen Dani hatte ich heute keine Chance", gab Rossi nach dem Rennen zu.

Dennoch erlebte er eines der emotionalsten Misano-Wochenenden seiner Karriere. Man merkte Rossi an, dass er an diesem Sonntag unbedingt gewinnen wollte. Das gab er nach dem vereitelten Sieg offen zu: "Heute Erster zu werden, wäre mir wichtiger gewesen als an jeder anderen Rennstrecke. Es ist eben Misano." Ein Rückblick auf das "Leider Nein"-Wochenende von VR46:

Zoff mit Aleix Espargaro im Training

Im zweiten Training platzte Rossi zum ersten Mal der Kragen. Als er sich von Aleix Espargaro im letzten Sektor behindert fühlte, zeigte er ihm über die Boxenmauer hinweg den Stinkefinger. Wenig später tauschten die beiden Fahrer Nettigkeiten über die Medien aus. "Keine Ahnung, warum er sich so aufgeregt hat. Das müsst ihr ihn fragen", meinte Espargaro patzig. "Ich habe ihn (nach Ende des Trainings) gefragt: Was hast du getan? Er entgegnete mir nur: Fuck you! Man sollte sich für so ein Manöver eigentlich entschuldigen, aber er weiß vielleicht nicht, wie man das tut", erwiderte Rossi.

Die entgangene Pole Position

Am Samstag lautete der große Aufreger: Track Limits. Einigen Fahrern war im Qualifying eine Rundenzeit gestrichen worden, weil sie die Streckenbegrenzungsmarkierung überfahren hatten. Jorge Lorenzo erzielte neuen Pole-Rekord und verwies Rossi damit auf Startplatz zwei. Einige Fans witterten in den sozialen Medien daraufhin Betrug, da ein Foto beweisen soll, dass Lorenzo bei seiner schnellsten Runde außerhalb der Track Limits gefahren sein soll. Rekord hin oder her - was die Rossi-Anhänger dabei nicht bedachten: Auch Lorenzos zweitschnellste Runde - an deren Legalität es keinen Zweifel gibt - hätte zur Pole Position vor Rossi gereicht.

Vergebener Sieg und Wortgefecht mit Lorenzo

20 von 28 Runden in Führung - am Ende aber doch nicht auf dem obersten Treppchen. So bitter die Niederlage vor den zigtausenden gelben Fans gegen Dani Pedrosa auch war, richtig rund ging es erst nach dem Rennen. In der Pressekonferenz der Top-3 bekamen sich Rossi und Erzrivale Jorge Lorenzo so richtig in die Haare. Angesprochen auf ein Überholmanöver Rossis gegen seinen Teamkollegen, übte dieser harsche Kritik. "Meine Meinung ist, dass dieses Überholmanöver ein bisschen zu aggressiv war. Er hätte dieses Manöver nicht setzen müssen. Aber das ist eben sein Stil. Andere Fahrer überholen sauberer", ätzte Lorenzo in Richtung Rossis. Dieser wiederum lachte laut auf, schüttelte den Kopf und ein hitziges, rund zwei Minuten langes Wortgefecht entbrannte.

Immerhin feierte Rossi im Verbalduell einen moralischen Sieg, auch wenn es sein einziger an diesem Wochenende in Misano bleiben sollte. Denn von Marc Marquez angefangen, bezeichneten alle dazu Befragten Rossis Überholmanöver als hart, aber im grünen Bereich. Auch Sieger Dani Pedrosa packte in einigen Duellen die Brechstange auf - allerdings ohne dass sich jemand nach dem Rennen daran stieß.

Für Rossi bleibt unterm Strich in Misano ein Plus von sieben aufgeholten Punkten auf Marquez in der WM-Wertung. Für den Endspurt der letzten fünf Rennen hat er aber immer noch ein Defizit von 43 Zählern auf dem Konto. Im Saisonfinale müssen Siege her, denn im Schnitt muss Rossi auf Marquez in den ausstehenden Rennen 8,6 Punkte pro Wochenende aufholen. Sonst muss er "Mission 10" auf 2017 verschieben.