Nach 35 Jahren erklang in Brünn zum ersten Mal wieder die britische Hymne bei einer Siegerehrung der Königsklasse in der Motorrad-Weltmeisterschaft. Cal Crutchlow beendete mit seinem Triumph eine Durststrecke, die seit Barry Sheenes Sieg beim GP von Schweden 1981 angedauert hatte. Wie konnte es dazu kommen?

Die lange britische Durststrecke

Dabei hatten doch von den Fünfziger- bis zu den Siebzigerjahren britische Fahrer immer ganz vorne mitgemischt. Man denke nur an Mike "The Bike" Hailwood, John Surtees, Phil Read, Geoff Duke oder zuletzt eben Barry Sheene. Nach Sheenes Rücktritt 1984 aber war die große Ära der britischen Motorrad-Champions erst einmal vorbei. Fahrer wie Neil Hodgson, James Toseland oder Jeremy McWilliams erreichten in den 90ern und 00ern nur noch vereinzelte oder gar keine Podien, stattdessen dominierten die Briten in der seriennäheren Superbike-WM.

Mike Hailwood ist eine britische Rennsport-Legende, Foto: MV Agusta
Mike Hailwood ist eine britische Rennsport-Legende, Foto: MV Agusta

Jetzt aber sieht es plötzlich wieder positiver aus für Briten in der MotoGP. Derzeit treten gleich Fahrer aus dem Vereinigten Königreich an: Neben Brünn-Sieger Cal Crutchlow sind das Bradley Smith und Scott Redding. 2017 kommt mit Aufsteiger Sam Lowes sogar noch ein weiterer Brite ins Starterfeld. Auch vielversprechende Nachwuchstalente gibt es mit dem letztjährigen Moto3-Weltmeister Danny Kent, der nun auch in der Moto2 besser in Fahrt kommt, und Brünn-Moto3-Sieger John McPhee wieder einige. Es darf also getrost davon ausgegangen werden, dass der nächste britische MotoGP-Sieg nicht wieder 35 Jahre auf sich warten lässt. Aber wie haben es die Briten geschafft, ihre Durststrecke zu überwinden? Dafür spielen mehrere Faktoren eine Rolle.

Faktor 1: Die britische Nachwuchsarbeit

Ein wichtiger Faktor ist auf jeden Fall die gezielte Nachwuchsarbeit, die die Briten mittlerweile betreiben. Der British Motorcycle Racing Club, oft als Bemsee abgekürzt, betreibt zahlreiche Förderprogramme für vielversprechende Talente. Da gibt es einerseits Hilfe bei der Entwicklung als Fahrer über kostenlose Rennstreckentrainings, Track Walks mit erfahrenen Trainern und Paddock Buddys: Jedem Rookie wird im Paddock ein erfahrener Teilnehmer zur Seite gestellt, der ihn unterstützt. Doch genauso wichtig ist die Arbeit abseits der Strecke: Die Nachwuchstalenten erhalten kostenlose Ernährungsberatung ebenso wie Mentoring zu technischen Themen und Unterstützung bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Erfolgreiche Absolventen der Bemsee-Nachwuchsklassen sind unter anderem Cal Crutchlow, Bradley Smith und Casey Stoner, der eben wegen dieser besseren Perspektiven aus Australien nach Europa kam.

John McPhee machte mit seinem Moto3-Sieg in Brünn das britische Glück perfekt, Foto: Tobias Linke
John McPhee machte mit seinem Moto3-Sieg in Brünn das britische Glück perfekt, Foto: Tobias Linke

Gleichzeitig gibt es mit der Racing Steps Foundation unter Schirmherrschaft von John Surtees eine erfolgreiche private Initiative, um junge Fahrer auf zwei und vier Rädern zu fördern. Das Ziel dieser Stiftung ist es, besonders begabte Nachwuchstalente so lange mit Rat und Tat zu unterstützen, bis sie im Profisport etabliert sind. Dabei möchte man besonders diesen Fahrern unter die Arme greifen, die selbst nicht über die notwendigen Kontakte in die Motorsport-Szene verfügen. Ein erster Erfolg zeigt sich nun: RSF-Schützling John McPhee konnte in Brünn seinen ersten Moto3-Sieg einfahren. Gleichzeitig versucht sich der erst Vierzehnjährige Rory Skinner im Rookies Cup und konnte als Dritter in Assen schon ein Podium erkämpfen.

Faktor 2: Die lokalen Rennserien

Ein Einstieg in den Rennsport ist immer eine teure Angelegenheit, doch in Großbritannien hat man dabei zumindest einen Vorteil: die vielen lokalen Club-Rennen. Dort kann man in diversen Klassen auch mit gebrauchten Bikes für kleines Geld Rennluft schnuppern, bis es letztlich in die nationale Meisterschaft British Superbike Championship geht. Derzeit bekanntester Absolvent dieser Meisterschaft: Cal Crutchlow. Aber auch zahlreiche andere britische Motorrad-Größen, so etwa Guy Martin, haben sich ihre ersten Sporen bei den Club-Rennen verdient.

TT-Star Guy Martin fing mit Club-Rennen an, Foto: Toni Börner
TT-Star Guy Martin fing mit Club-Rennen an, Foto: Toni Börner

Die Auswahl an Rennstrecken ist dabei beeindruckend: Neben den international bekannten Strecken in Silverstone oder Donington gibt es unzählige weitere kleinere Strecken, zum Beispiel in Snetterton, Brands Hatch, Oulton Park, Knockhill oder Cadwell Park. Selbst wenn das Circuit-of-Wales-Projekt nun endgültig in irgendwelchen Schubladen verstaubt, ist die Rennstreckendichte in Großbritannien, speziell in England, wesentlich höher als auf dem Kontinent. Davon profitieren natürlich besonders Nachwuchsfahrer, die oft nicht die Logistik und das Budget aufbringen können, um zum Training oder Testen hunderte von Kilometern weit weg zu fahren.

Faktor 3: Die Motorradbegeisterung der Briten

Der wohl wichtigste Faktor aber für die britische Motorrad-Auferstehung ist die anhaltende Motorradbegeisterung vieler Briten. Der britische WM-Lauf hat seit Jahren stabil um die siebzigtausend Besucher am Sonntag, auch die Superbike-WM in Donington kann sich nicht über mangelnde Fans beklagen. Selbst bei wenig einladendem Wetter kommen zu den Läufen der nationalen Superbike-Serie zahlreiche Besucher. Etwa 50 000 Fans pilgern darüber hinaus jedes Jahr zur TT auf der Isle of Man.

Superbike-Serienweltmeister Carl Fogarty, hier mit Cal Crutchlow, wurde 2014 britischer Dschungelkönig, Foto: Yamaha
Superbike-Serienweltmeister Carl Fogarty, hier mit Cal Crutchlow, wurde 2014 britischer Dschungelkönig, Foto: Yamaha

Mit Guy Martin hat es in Großbritannien sogar ein Motorrad-Rennfahrer zum Mainstream-Fernsehstar geschafft, selbst wenn ihm bisher große Siege verwehrt blieben. Nicht zu vergessen Superbike-Legende Carl Fogarty, der mittlerweile sein Geld als britischer Dschungelkönig verdient. In Deutschland schaffen das wohl nur Fußballer, doch in den britischen Medien sind Motorradrennen viel präsenter. Klar, dass man da leichter als anderswo Sponsoren von seinem Sport überzeugen kann. Klar auch, dass Nachwuchstalente es bei einer solchen Haltung einfacher finden, ihren Eltern eine Motorrad-Karriere schmackhaft zu machen.