Das Gute an solch einer Kolumne ist ja, das alles was sportlich geschehen ist, schon etliche Male von allen Kollegen hoch- und runteranalysiert und beschrieben worden ist. Allerdings ist das nicht bei jedem Rennen so. Denn nicht jedes Rennen der Moto GP liefert genügend Geschichten und Randaspekte, das man als Kolumnist noch zwei Tage später etwas hat, auf das man eingehen kann. Am Sachsenring schon. Denn dieses einmalige Feeling, was ansonsten in Sachen Begeisterung für die beste Motorsport-Serie der Welt so nirgends, bei keinem anderen Rennen, vermittelt wird, ist einmalig. Und zwar in ganz vielen Bereichen, die hauptsächlich mit den Menschen in der Region zu tun hat. Und deren Begeisterungsfähigkeit für die MotoGP. Rund um den Grand Prix in Sachsen muss man keinem erklären, wer denn diese Rossis, Lorenzos oder andere Protagonisten sind.

Schon beim Einchecken im Hotel wird man nach dem ersten Tipp fürs Rennen gefragt. Und mit der etwas provokanten Aussage "Bei Regen Petrux" wird eine Rezeptionsdiskussion gestartet, die vor allen Dingen viel Fachwissen erkennen lässt. Denn weder der Empfangschefin, noch der Putzfrau und schon gar nicht dem Oberkellner muss erklärt werden, dass "Petrux" der Spitzname eines der Fahrer von Pramac ist. In und um Hohenstein-Ernstthal wissen die sowas. Wahnsinn. Ich glaube, das wäre rund um andere deutsche Rennstrecken nicht so und in dieser Form festzustellen.

Geschichten aus der Karthalle

Dass es nicht die Rennstrecke an sich ist, die das besondere Flair ergibt, ist am Sachsenring ja hinreichend diskutiert worden. Und wird wohl auch weiter diskutiert werden. Es sind die Fans, die das Ganze zu etwas besonderem machen. Strömender Regen am Renntag? Kein Problem, die Tribünen voll wie immer. Oder die Fahrerpräsentation in der Karthalle am Samstagabend. Ein echtes Highlight. Selbst Sachsenring-Kritiker wie Andrea Dovizioso stellen sich auf der Bühne vor und sind von den Fans begeistert. Und zwar so begeistert, das sie zu dieser Präsentation kommen.

Danilo Petrucci und Edgar Mielke, Foto: Tobias Linke
Danilo Petrucci und Edgar Mielke, Foto: Tobias Linke

Denn wer bekommt nicht gerne Applaus? Und Applaus bekommt am Sachsenring jeder. Denn das Publikum ist so fachkundig wie man es zuvor selten erlebt hat. MotoGP-Star oder Moto3-Wildcard-Fahrer? Kein Thema - bejubelt werden alle. Ich glaube nicht, dass woanders eine ganze Eventhalle einem britischen Fahrer, der 2016 gnadenlos hinterher fährt, ein Geburtstagsständchen singen würde, nur weil sein Team aus der Gegend kommt. Am Sachsenring kein Thema. John McPhee hatte Donnerstag vor dem Rennen Geburtstag, Samstagabend sang die ganze Karthalle "Happy Birthday" und am Sonntag fuhr der Saxoprint-Peugeot-Fahrer sein mit Abstand bestes Rennen. Danke, liebe Sachsenring-Fans. Das geht nur hier.

Moto-Kollege Eugene Laverty war ob der Sangeskünste der Halle schwer beeindruckt. Alle anderen, die es erlebt haben, auch. Und ein Riesen-"Danke schön" auch vom Schreiber dieser Zeilen für die Luis Salom-Lärm-Minute. Kein ganz einfaches Thema, aber ein emotionaler Moment, der jetzt noch Gänsehaut erzeugt. Luis Salom-Freund und Teamkollege Jesko Raffin war bei der Minute Krach auf der Bühne. Und schwer beeindruckt. Im positiven Sinne. Am Sonntag wurde der gute Jesko Achter. Erstmals in den Top Ten. Sagenhaft.

Bleiben wir ruhig noch einen Moment in der Karthalle. Stellen Sie sich vor, Sie sind Moderator und einer Ihrer Gäste kommt telefonierend auf die Bühne? Nicht so schön, können Sie sich ja denken. Nun kann man auch nicht einfach Cal Crutchlow daraufhin mit Bühnenverbot belegen, sondern muss damit umgehen. Und der gute Cal hat sich was dabei gedacht. Am Handy nämlich, irgendwo in Frankreich auf der Massagebank, Sensationsradsprinter Mark Cavendish. Ohnehin riesiger MotoGP-Fan. Und Crutchlow macht in solch einem Moment perfekte MotoGP-Werbung. Denn die Karthalle hat bei Crutchlows Auftritt getobt. Und der Herr Cavendish, der jetzt erstmal nach der Tour de France in Rio eine Goldmedaille holen will, darf auch gerne mal wieder persönlich vorbeikommen. Und zwischendurch schön Werbung für die MotoGP machen. Und glauben Sie mir, das wird er tun. Und zwar überall, wo er sich rumtreibt. Egal, ob bei der Tour de France oder bei den Olympischen Spielen in Rio. Übrigens wurde Crutchlow nach dem Jubelsturm von Samstag am Sonntag Zweiter. Und wer das Gesicht von Lucio Cecchinello, seinem leidgeprüften LCR-Teamchef im Parc Ferme gesehen hat, weiß, was dieses Resultat bedeutet.

Nach Crutchlows Podium: So sieht Freude aus, Foto: Ozan Kutay
Nach Crutchlows Podium: So sieht Freude aus, Foto: Ozan Kutay

Sehr emotional das Ganze, auch, weil Lucio am Sachsenring schon selbst auf dem Podest stand. Vor allen Dingen aber, weil man bei LCR durch die Bradl-Jahre sehr gut einschätzen kann, wie toll bei diesem Rennen das Zusammenspiel zwischen Fans und Akteuren ist.

Deutsche Leidenschaft am Sachsenring

Ja, der Sachsenring. Er liefert Geschichten. Immer. Und Emotionen. Zum Beispiel der Polizist Eckhard Heim. Er strahlt mit seinen Kollegen zwar die nötige Autorität aus, ist dabei aber immer hilfsbereit und eben auch MotoGP-Fan. Oder die jetzt für alle stellvertretend genannten Streckenposten Jonas und Marie-Louise Rascher von Posten 18. Die stehen sich vier Tage die Füße platt. Für 60 Euro. Nicht pro Tag, sondern für das gesamte Wochenende. Respekt, meine Herrschaften. Und zwar riesigen. Das Wetter ist diesen ungesehenen Helden der Veranstaltung nämlich egal. Auch wenn es schüttet, sind sie da. Hauptsache nah dran sein, an der MotoGP.

Was sich so auch für die letzte Randgeschichte des Sachsenrings feststellen lässt. Die kommt aber eher aus dem Bereich "VIP". Denn sie betrifft das Ehepaar Kaiser/Ogier. Sie Moderatorin - er dreifacher WRC-Champion und Schotter-und Drift-Superstar. Die beiden sind vor nicht allzu langer Zeit Eltern geworden. Also Babypause für Andrea Kaiser. Ein völlig neues Lebensgefühl für den Driftkönig. Und was machen die beiden an ihrem ersten babyfreien Wochenende? Zum Sachsenring. Zur MotoGP. Gut, Frau Kaiser musste am Samstagabend noch vor einem Millionen Publikum den Boxkampf von Artur Abraham auf Sat1 moderieren. Sonntagmorgen gab es dann aber nur eins. Sehr früh aufstehen, um rechtzeitig als Glücksbringer und Grid Girl in der Startaufstellung den Schirm für Sandro Cortese zu halten.

Glücksbringer an der Strecke: Andrea Kaiser, Foto: Tobias Linke
Glücksbringer an der Strecke: Andrea Kaiser, Foto: Tobias Linke

Ein ganz schöner Stress, den Promis normaler weise vermeiden. Übrigens ohne einen einzigen Cent Honorar. Was längst nicht üblich ist, in diesen Kreisen. Und ihr Mann? Der hatte schon Tage vorher einen detaillierten Plan. Samstagabend Boxen gucken. Am TV wohl gemerkt. Und dann um vier morgens gen Sachsenring. Denn Sebastian Ogier liebt MotoGP. Zitat: "Das ist der beste Motorsport der Welt". Pünktlich um 08:00 Uhr morgens war Ogier nach 500 Kilometern Autofahrt im Fahrerlager. Weil er auch bei strömendem Regen nicht eine Sekunde des Warm-Ups (!!!!) auf der Service Road verpassen wollte. VIP-Zelte? Nee, lieber nicht. MotoGP gucken. In den Boxen zuschauen. Bei Dynavolt IntactGP staunte man nicht schlecht, wie sachkundig der WRC-Star sich präsentierte.

Oder Fahrer treffen. Aber nicht Rossi. Nee, gegen den ist er schließlich schon bei der Rallye Monza gefahren. Johann Zarco hat er noch nie getroffen. Und es schwer beindruckend zu beobachten, mit welcher Ehrfurcht ein Auto-Superstar den zukünftigen Teamkollegen von Jonas Folger begrüßt hat. Wer bei Facebook ist, weiß, dass Ogier dann anschließend beste MotoGP-Werbung betrieben hat. Klasse. Aki Ajo, der Weltmeister-Macher aus Finnland konnte es nicht glauben, wie sich Ogier davon machte, um im strömenden Regen Motorräder zu schauen. Und das ist eben auch der Sachsenring. Eine generationsübergreifende Begeisterung, die keinen kalt lässt. Und immer wieder ganz besondere Geschichten produziert. Hoffentlich auch nächstes Jahr. Alles andere wäre dumm und unverständlich.