Nach dem Chaos-Rennen auf dem Sachsenring brandet in der MotoGP einmal mehr die Diskussion auf, ob man nicht doch Boxenfunk einführen sollte. Auch die Redaktion von Motorsport-Magazin.com diskutiert:

Pro: Boxenfunk zur Steigerung der Sicherheit

Klar, bei Boxenfunk denkt jeder zuerst einmal an unglücksselige Stallorder aus gewissen anderen Rennserien mit doppelt so vielen Rädern wie man eigentlich braucht. Völlig unter geht daneben, dass eine Funkverbindung zur Box durchaus auch zur Sicherheit der Fahrer beitragen kann. Nur die Fahrer sehen den Streckenzustand und fühlen, wie sich ihr Bike verhält. Gerade bei chaotischen Wetterverhältnissen wie am Sachsenring wissen die Fahrer am besten, welche Reifen sie auf ihrem Motorrad brauchen. Wenn sie sich aber in der Strategiebesprechung mit ihrem Team vor dem Rennen anders entschieden haben, gibt es im laufenden Rennen keine Möglichkeit mehr, diese Entscheidung zu korrigieren.

Hätte man Petrucci warnen können, dass sein Bike brennt?, Foto: Simninja
Hätte man Petrucci warnen können, dass sein Bike brennt?, Foto: Simninja

Das aber ist nicht einfach eine Frage davon, ob man auf Intermediates einige Sekunden verliert. Es ist auch eine Frage der Sicherheit. Die falsche Reifenwahl kann auf den PS-Monstern in der MotoGP brandgefährlich sein, wie es am Sachsenring Pol Espargaro erfahren musste. Er ging vielleicht ein, zwei Runden zu früh mit Slicks auf die Strecke und lag prompt auf der Nase. Auch weitere Beispiele vom Sachsenring zeigen, warum eine Funkverbindung zur Box unter Sicherheitsaspekten sicher nicht verkehrt wäre: Danilo Petrucci absolvierte über eine halbe Runde mit einer bereits brennenden Ducati, ohne es gleich zu merken. Eine Warnung per Funk wäre da sicher sinnvoll gewesen.

Das beste Beispiel aber ist das Moto3-Qualifying vom Sachsenring: Nach einem Motorschaden an Danny Webbs Bike war viel Öl auf der Strecke. Jules Danilo hatte den Vorfall gesehen und fuhr zurück an die Box, um der Rennleitung von der Ölspur zu berichten. Ehe diese reagieren und das Training abbrechen konnte, waren aber bereits Jorge Martin, Romano Fenati, Fabio Di Giannantonio und Niccolo Antonelli gestürzt, wobei sich Letzterer auch noch verletzte. Klar, nachher ist man immer klüger, aber hätte sich das verhindern lassen, wenn Danilo direkt eine Gefahrenmeldung durchgeben hätte können?

Natürlich will niemand, dass den Fahrern permanent in ihre Taktik dreingeredet wird oder dass sie nur noch Befehle aus der Box ausführen. In bestimmten Fällen aber wäre Boxenfunk der Sicherheit förderlich, und die sollte oberste Priorität haben. Deshalb muss auch über ein so kontroverses Thema immer wieder ergebnisoffen diskutiert werden, um die bestmögliche Lösung für die Fahrer zu finden.

Contra: Boxenfunk? Keine Notwendigkeit.

Boxenfunk in der MotoGP? Also bitte! Seit nunmehr 67 Jahren kommt die Königsklasse des Motorradsports bestens ohne solche Spielereien zurecht. Warum sollte das jetzt anders sein? Weil sich Valentino Rossi, Andrea Dovizioso und Cal Crutchlow auf dem Sachsenring dazu entschieden haben, die Pitboard-Anweisungen ihres Teams zu missachten und stattdessen ihr eigenes Ding zu machen? Gerade das ist doch das Wunderbare an der MotoGP und hat uns allen eines der spannendsten Rennen in der Geschichte des Deutschland-GPs beschert. Den Schritt in Richtung Formel 1 zu machen wäre in über 60 Jahren MotoGP-Geschichte ein Schritt zurück.

Strategien werden in der MotoGP vor dem Rennen abgesprochen, Foto: Ducati
Strategien werden in der MotoGP vor dem Rennen abgesprochen, Foto: Ducati

Warum sollte man Marquez, Lorenzo & Co. im Jahr 2016 nicht mehr zutrauen, ihr Rennen allein gemeistert zu bekommen, obwohl sie in der Vergangenheit meisterhaft bewiesen haben, dass sie dazu sehr wohl in der Lage sind? Den letzten Rest eigenes Denken muss man den Piloten einfach lassen. Denn im Endeffekt ist der Beruf des Motorradrennfahrers auch nur ein Job. Zugegeben, ein verdammt Großartiger, aber wer kann von sich behaupten, dass ihm auf der Arbeit im Ernstfall jede Entscheidung abgenommen wird? Vermutlich die wenigsten. Wenn der Beruf "MotoGP-Ass" auch nur ein Job ist wie jeder andere, sollte er auch so behandelt werden.

Sicher geht es bei den Zweiradartisten im Zweifelsfall um viel größere Risiken als bei 'normalen' Berufen. Das eigene Leben zum Beispiel. Dennoch würde auch ein Boxenfunk an dem Starrsinn einiger MotoGP-Piloten nichts ändern. Wer via Pitboard nicht auf sein Team hört, wird daran auch mit Boxenfunk nichts ändern. Solange es keine Fernsteuerung gibt, die es dem Team ermöglicht, den Fahrer nach eigenem Gutdünken automatisch an die Box zu holen, liegt die endgültige Entscheidung immer beim Piloten selbst.

Und das ist auch gut so. Diese Männer sind die besten ihrer Liga. So gut, dass sie für etwas bezahlt werden, was für Millionen von Menschen ein Hobby ist. Sie sollten ihre Entscheidungen allein treffen können, denn im Endeffekt sind sie es, die wie zuletzt in Sachsen auf der Strecke unterwegs sind und am besten einschätzen können, was richtig und was falsch ist. Und außerdem: Wenn man Marc Marquez, immerhin zweifacher MotoGP-Champion, Glauben schenken darf, ist der Boxenfunk sowieso überflüssig, wenn Fahrer und Team eine Einheit bilden und die Renn-Strategie feststeht. Dann gibt es während des Rennens nichts mehr zu besprechen.