Dafür, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt, ist Valentino Rossi bekannt. Egal ob gegenüber Konkurrenten, Medien oder der Rennleitung - Rossi sagt, was er sich denkt. Nach dem Grand Prix von Argentinien war er in erster Linie glücklich über Rang zwei, den ihm die unfassbare Ducati-Kollision in der letzten Kurve eingebracht hatte. Unter die Freude mischte sich aber auch etwas Ärger. Rossi war der Meinung, er hätte das Rennen auch gewinnen können. Dann nämlich, wenn es den verpflichtenden Boxenstopp nicht gegeben hätte.

Er hatte das Duell gegen Marc Marquez nämlich erst nach dem Stopp verloren, als beide Fahrer auf ihren Ersatzmaschinen unterwegs waren. "Wir hatten das ganze Wochenende überhaupt keine Probleme mit den Reifen. Wir mussten den Stopp nur wegen eines Problems an einem anderen Bike machen. Ich hätte locker 25 Runden abspulen können", so Rossi nach dem Rennen. "Ich hätte einen guten Kampf um den Sieg liefern können, aber auf dem zweiten Bike fand ich keinen Rhythmus. Das ist echt schade. Es hätte ein wirklich interessantes Rennen werden können."

Rossi führte das Rennen in der ersten Hälfte sogar teilweise an, Foto: Yamaha
Rossi führte das Rennen in der ersten Hälfte sogar teilweise an, Foto: Yamaha

Hat Rossi mit seiner Einschätzung Recht? Motorsport-Magazin.com unterzieht die Worte des Doktors einem Faktencheck:

Rossi in der ersten Rennhälfte überlegen

In den ersten Runden des Rennens, als sich das Feld nach dem Startchaos inklusive Kollision zwischen Andrea Iannone und Marc Marquez etwas sortiert hatte, kristallisierte sich zunächst eine fünf Mann starke Führungsgruppe mit Marquez, Rossi, Maverick Vinales sowie den beiden Ducatis von Andrea Iannone und Andrea Dovizioso aus. Die drei letztgenannten mussten aber schon nach etwa vier Runden abreißen lassen, Marquez und Rossi enteilten in dieser Reihenfolge. Marquez war in dieser Phase schnellster Mann auf der Strecke, doch Rossi hielt den Anschluss.

Ab Runde sechs wendete sich dann das Blatt. Rossi kam immer besser in Schwung und schraubte seine Zeiten konstant nach unten, während Marquez bröckelte. In Runde neun hatte Rossi die Lücke von zwischenzeitlich knapp neun Zehntelsekunden geschlossen und ging erstmals an Marquez vorbei. Zwischen den beiden Erzrivalen entbrannte ein grandioser Zweikampf, der erst durch die Boxenstopps der beiden Fahrer in Runde zehn beendet wurde.

So ging die erste Hälfte des Rennens zu Ende und ein Blick auf die Zeitenliste verrät, dass Rossi in dieser Phase mit dem Nummer-eins-Motorrad wohl schneller gewesen wäre als Marquez. Rossis schnellste Runde in Umlauf acht war eine 1:40.635, so flott war Marquez bis zum Boxenstopp nie unterwegs. "Ich habe nur versucht, das Rennen irgendwie zu managen, weil ich mich auf meinem ersten Bike einfach nicht wohlgefühlt habe", gestand Marquez anschließend. Für ihn nahm das Rennen also den genau umgekehrten Verlauf.

Spekulation statt Duell Rossi vs. Marquez

Was wir natürlich nie erfahren werden ist, ob Marquez im Fall eines normalen Rennens ohne Boxenstopp seine Pace nochmal gesteigert beziehungsweise es überhaupt gekonnt hätte, ohne wie so viele andere Piloten auch im Kies zu landen. Klar scheint aber, dass Rossi ohne Motorradwechsel eine Chance auf den Sieg gehabt hätte, da bei ihm Bike eins besser funktionierte, bei Marquez Bike zwei, das dann aber natürlich nicht zum Einsatz gekommen wäre. Die zweiten Maschinen wurden aber gefahren und hier bot Marquez eine Show, die ihn trotz all der Diskussionen um die Notwendigkeit des Flag-to-Flag-Rennens zu einem würdigen Sieger macht.

Denn wie Marquez Rossi - gutes oder schlechte Gefühl für Bike Nummer zwei hin oder her - nach dem Stopp stehen ließ, war einfach nur herausragend. Die Boxenstopps von Marquez und Rossi dauerten fast exakt gleich lang, obwohl Rossi wie gewohnt den Zwischenschritt einlegte und Marquez direkt von Maschine zu Maschine sprang. So kamen die beiden Superstars direkt hintereinander ans Ende der Boxengasse, doch schon bei der Ausfahrt daraus, die in Kurve eins außen herumführt, konnte sich Marquez absetzen. Er zog Rossi um einige Meter davon und brachte so auch noch Tito Rabat, der erst stoppen musste und daher zwischen den Sieganwärtern lag, zwischen sich und den Doktor.

Doch auch ohne Rabat hätte Rossi wohl keine Chance gehabt, die Pace Marquez' mitzugehen. Um mehr als 2,6 Sekunden war der Repsol-Honda-Pilot auf der Outlap schneller als sein direkter Konkurrent Rossi, in den folgenden vier Runden nahm er ihm nochmals rund eine Sekunde pro Umlauf ab. Das Rennen war gegessen, Rossi geschlagen.