Unglaublich, aber wahr. Honda droht tatsächlich die Blamage, zum zweiten Mal in Folge ein Motorrad für die MotoGP-Saison völlig verpatzt zu haben. Schon im Vorjahr war die RC213V ja im Rennen oftmals praktisch unfahrbar, was sechs Nullnummern von Marc Marquez eindrucksvoll unterstreichen. Bei Honda gelobte man Besserung und die Fachwelt war sich einig, dass ein derartiges Debakel dem größten Motorradbauer der Welt nicht noch einmal passieren würde. Nun deutet aber vieles daraufhin, dass genau das passiert.

Schon bei den Testfahrten im Herbst in Valencia und Jerez warnten Marc Marquez und Dani Pedrosa davor, dass die 2016er-Maschine einige nicht gern gesehene Parallelen zur Version von 2015 aufweist. Erneut war der Motor viel zu aggressiv ausgefallen, doch man hatte ja noch die gesamte Winterpause vor sich. Zeit genug also für die Weiterentwicklung. Die Probleme würden beseitigt, versprach die Führungsriege rund um Shuhei Nakamoto und Livio Suppo. Was ist seitdem bei Honda geschehen? Es wurde viel gearbeitet. Waren die Korrekturen erfolgreich? Kaum.

Das Marquez-Lachen war in Sepang nicht zu sehen, Foto: Milagro
Das Marquez-Lachen war in Sepang nicht zu sehen, Foto: Milagro

Erhoffter Honda-Fortschritt bleibt aus

"Das waren drei wirklich schwierige Tage für uns", fiel das ernüchternde Fazit Dani Pedrosas nach dem Testauftakt in Sepang aus. "Wir haben extrem viel am Motorrad ausprobiert, unser Potenzial können wir aber dennoch bei weitem nicht abrufen. Was den Motor betrifft, ist kein großer Unterschied zum Vorjahr erkennbar." Auch Marc Marquez, der die Sepang-Tests im Vorjahr noch dominiert hatte, war alles andere als begeistert von seinem Arbeitsgerät für 2016: "Der Motor ist nur minimal verändert worden. Ich fühle mich aktuell überhaupt nicht wohl."

Das aktuelle Problem ist ein simples. Der Motor gibt die Leistung zu plötzlich frei, um sie wirklich auf den Asphalt bringen zu können. "Die größten Probleme haben wir beim Beschleunigen am Kurvenausgang", bestätigt Marquez. Pedrosa stimmt seinem Teamkollegen zu 100 Prozent zu. "Die meiste Zeit lassen wir sicher am Kurvenausgang liegen. Ich bin hinter einigen Ducati-Piloten nachgefahren und der Unterschied zwischen ihrem Bike und unserem ist massiv." Die Lösung dieser Schwierigkeiten Hondas ist unheimlich komplex, wie man bereits im Vorjahr sehen konnte. Nun kommt sogar noch eine zusätzliche Schwierigkeit hinzu. Konnte Honda 2015 noch Vieles mit der wohl besten Elektronik aller MotoGP-Hersteller korrigieren, ist man nun auf die bescheidenen Möglichkeiten der Einheits-Software aus dem Hause Magneti Marelli angewiesen.

Pedrosa ortet die größte Honda-Krise der letzten Jahre, Foto: Milagro
Pedrosa ortet die größte Honda-Krise der letzten Jahre, Foto: Milagro

Honda verpasst Elektronik-Revolution

Und da tut sich gleich das zweite große Problem Hondas auf. Im Vergleich zur Konkurrenz hinkt man mit der neuen Elektronik weit hinterher. "Aktuell scheint die neue Elektronik bei Yamaha und Ducati deutlich besser zu funktionieren", musste auch Marquez zerknirscht feststellen. "Wir haben sie noch nicht wirklich im Griff und sind weit davon entfernt, wo wir sein wollen. Auf uns wartet also noch viel harte Arbeit." All diese Arbeit könnte aber umsonst sein, wenn Honda nicht bald herausfindet, in welche Richtung man forschen muss. Marquez wirkt schon etwas ratlos: "Wir sind hier immer noch weit vom Maximum entfernt. Uns fehlt noch das Verständnis, um die Elektronik richtig zum Arbeiten zu bekommen. Derzeit passt die Elektronik einfach nicht zum Charakter unseres Motors." Auch Pedrosa hat keine Lösung parat. "Wir brauchen Veränderungen, das ist bei unserem schlechten Gefühl für das Motorrad und dem großen Rückstand klar. Wir wissen aber noch nicht, wie wir unsere Probleme lösen sollen", spricht er die ungeschönte Wahrheit aus.

Die Schwierigkeit in der Beseitigung der Schwachstellen sei, dass jede Verbesserung eine Verschlechterung in einem anderen Bereich nach sich ziehe, erklärt Marquez: "Wir müssen einen Kompromiss finden. Einerseits dürfen wir nicht zu viel Leistung wegnehmen, sonst verlieren wir zu viel Zeit. Greifen wir zu wenig ein, wird das Motorrad unruhig." Teamchef Livio Suppo bestätigt die Einschätzungen seiner Piloten. "Den neuen Motor und die neue Elektronik in Einklang zu bringen, ist für uns aktuell die größte Schwierigkeit. Das nimmt mehr Zeit in Anspruch, als wir erwartet hatten. Aktuell nützen wir die Software vielleicht zu 50 Prozent aus", so Suppo.

An der 2016er-Honda warten noch viele Baustellen, Foto: Milagro
An der 2016er-Honda warten noch viele Baustellen, Foto: Milagro

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com: Was aktuell bei Honda abläuft, ist einem Unternehmen mit derartigen finanziellen und persönlichen Ressourcen absolut unwürdig. Finden die Ingenieure bei den verbleibenden sechs Testtagen nicht doch noch den heiligen Gral, kann man sich im zweiten Jahr en suite sämtliche MotoGP-Titel recht früh abschminken. Routinier Pedrosa spricht von einer handfesten Honda-Krise. Das eigentlich Erschreckende daran ist, dass sich das Debakel in der Königsklasse nahtlos in die überaus schwache Rennsportbilanz der Honda-Motorradabteilung in den letzten Jahren einreiht. In der Superbike-WM war man gegen Kawasaki oder Ducati mit der veralteten CBR zuletzt völlig chancenlos, streubt sich aber gegen ein neues Bike. Im Offroad-Bereich unterliegt man konstant KTM, oft durch mangelnde Zuverlässigkeit. Lange Jahre dominierte KTM auch die Moto3, erst seit Honda bereitwillig mehr Geld in die Entwicklung der Moto3-Maschinen steckt, als man von den Teams verlangen darf, ist man hier wieder die Nummer eins - ein erkaufter Erfolg. (Markus Zörweg)