Jorge Lorenzo ist verdient Weltmeister 2015. Wäre auch Valentino Rossi ein verdienter Weltmeister gewesen? Natürlich! In einem derart hochklassigen Duell, wie es uns die beiden Yamaha-Ausnahmekönner in den vergangenen Monaten lieferten, hätten beide den Triumph verdient gehabt. Doch im Sport kann nur einer gewinnen. Und ich werfe für diese Aussage gleich einmal fünf Euro ins Phrasenschwein...

Auch wenn die Emotionen der Fans seit jeher klar auf Rossis Seite sind, so sprechen die nackten Zahlen in diesem Jahr dennoch für Lorenzo. In zehn von 18 Rennen landete er vor seinem Teamkollegen und holte mit sieben Siegen mehr als jeder andere Fahrer im Feld. 273 Runden lag Lorenzo in Führung - und damit in 60 Prozent aller in dieser Saison absolvierten Umläufe.

An guten Tagen unbesiegbar

An einem perfekten Tag ist Lorenzo mittlerweile unschlagbar. Das bewies er eindrucksvoll mit seinen Start/Ziel-Siegen in Jerez, Le Mans, Mugello, Barcelona, Brünn und Aragon. Allerdings zeigte er auch klare Schwächen, sobald die äußeren Bedingungen schwierig wurden. So etwa auf nasser Piste in Silverstone oder beim Sturz in Misano.

Lorenzo war 2015 sehr schnell, aber auch wankelmütig, Foto: Milagro
Lorenzo war 2015 sehr schnell, aber auch wankelmütig, Foto: Milagro

Genau dieser Umstand machte das WM-Rennen 2015 ja so spannend: Der eigentlich schnellere Lorenzo wurde vom viel anpassungsfähigeren Fuchs Rossi mehrfach überlistet. Danke an beide Fahrer für diese großartige Show. Pfiffe für seine Leistungen hat sich Lorenzo jedenfalls nicht verdient und jeder Zuschauer, der bei einer Podiumszeremonie den Spanier ausgepfiffen hat, sollte sich schämen.

Keine Entgleisungen auf der Strecke

Lorenzo hat sich 2015 auf der Strecke nichts zu Schulden kommen lassen und setzte selbst nicht ein einziges kontroverses oder überhartes Manöver. Abseits der Strecke leistete er sich - in Sepang, als alle Beteiligten die Nerven verloren - ein Foul, als er sich zu Aussagen gegen Valentino Rossi hinreißen ließ, und im Anschluss über seine Anwälte versuchte, als Streitpartei in Rossis CAS-Einspruchsverfahren gehört werden wollte.

Andere Fahrer haben sich da schon weit mehr zu Schulden kommen lassen. Leider wirft genau dieser Umstand einen Schatten auf Lorenzos dritten WM-Titel. Er wird mit der Bürde leben müssen, dass Marc Marquez sich in einen WM-Kampf einmischte, der ihn eigentlich nichts anging. Das schmälert allerdings nicht die Leistung von Lorenzo selbst, der in den beiden kontroversen Rennen von Sepang und Valencia einfach nur sein Ding durchzog. Hätte er auch ohne Marquez den Titel im Duell mit Rossi geholt? Möglich, doch leider werden wir es nie erfahren. Aber Pfiffe hat sich Lorenzo für seine Leistungen in dieser Saison mit Sicherheit nicht verdient.