Das Freitags-Syndrom ist bei Valentino Rossi zurück, dazu in seiner schlimmsten Ausprägung: Der Freitag in Misano Adriatico verlief für den Publikumsliebling nicht nach Wunsch. Während Jorge Lorenzo mit einer Bestzeit die Stärke von Yamaha auf dem Misano World Circuit Marco Simoncelli unter Beweis stellte, musste sich Rossi mit den Ducatis und den besten Satelliten-Bikes herumschlagen. Nur die Plätze sechs und fünf in den beiden Trainings, dazu ein Rückstand von 0,758 und 0,598 Sekunden auf die jeweiligen Bestzeiten. Wie schon in Silverstone ging der Freitag völlig in die Hose. Aber in Misano kann er nicht auf Regen am Sonntag hoffen.

Wohl aber auf den Rossi-Effekt: Es ist nicht das erste Mal, dass der Italiener am Freitag weit zurück liegt, in den Rennen lief es meist wesentlich besser. Doch im Qualifying kann er sich solche Formschwächen nicht mehr leisten, das hat die Saison gezeigt. Was er über Lorenzos Pace denkt? "Ich bin nicht erschrocken", lautete seine Antwort. "Jorge war vom Anfang an sehr schnell. Er hat mit dem harten Reifen angefangen und hat zum Schluss den weichen aufgezogen. Aber er ist auf jeden Fall der Mann mit der besseren Pace."

Was also erklärt die neuerliche Rossi-Schwäche im Training? "Aus irgendeinem Grund war heute das Gefühl nicht da. Jede Runde hatte ich an der Front viel Unruhe, die Bremse war zu giftig und das Motorrad schwer zu kontrollieren." Vor allem im ersten freien Training kämpfte er sichtlich auf der Bremse. Ein Vorsprung von zwölf Punkten in der Weltmeisterschaft kann in solchen Situationen plötzlich sehr klein sein.

Muss besser werden: Valentino Rossi hat das optimale Setup für seine Yamaha M1 noch nicht gefunden, Foto: Tobias Linke
Muss besser werden: Valentino Rossi hat das optimale Setup für seine Yamaha M1 noch nicht gefunden, Foto: Tobias Linke

Noch Potenzial beim Setup

Es gibt aber einen großen Hoffnungsschimmer: Sein Yamaha-Team arbeitete über den Tag hinweg in die richtige Richtung. "Zum zweiten Training konnten wir die Stabilität und das Gefühl während des Trainings verbessern und ich konnte eine gute Zeit hinlegen. Gottseidank hat sich das heute Nachmittag verbessert." Aber noch immer fühle er sich mit dem Setup nicht hundertprozentig wohl. "Ich habe das Gefühl, ich wäre beim Bremsen nicht schnell genug." Immerhin nährt sich daraus die Hoffnung, dass Rossi die Lücke noch schließen kann, was nahezu das gesamte Publikum in Misano hofft.

Auch bei den Reifen probierte Rossi fleißig herum, konnte aber dort keinen wirklichen Favoriten ausmachen: "Ich mag beide. Morgen werden wir noch einmal beide vorne und hinten probieren und versuchen, sie zu verstehen, damit wir die richtige Wahl treffen und gut arbeiten können." Das sei besonders aufgrund der starken Leistung von Lorenzo und Marquez nötig. "Aber auch Pedrosa hat eine gute Pace. Deshalb müssen wir arbeiten und versuchen, es morgen besser zu machen."

Die gegenüber den Testfahrten im Sommer veränderten Bedingungen haben auch den 36-Jährigen überrascht, aber etwas weniger als die Konkurrenz, schließlich hatte er den Belag bereits einer optischen Analyse unterzogen: "Als der Asphalt neu gewesen ist, war die Oberfläche sehr dunkel und hatte sehr viel Grip. Aber danach hat man gesehen, wie der Asphalt die Farbe gewechselt und viel von diesem Extra-Grip verloren hat. Jetzt sind wir ungefähr auf halber Strecke zwischen dem alten Stand und dem, als wir zum ersten Mal auf der neuen Oberfläche gefahren sind."

Deutlich vor Rossi: Jorge Lorenzo hat seinerseits noch Steigerungspotenzial, Foto: Tobias Linke
Deutlich vor Rossi: Jorge Lorenzo hat seinerseits noch Steigerungspotenzial, Foto: Tobias Linke

Lorenzo verpasst Rossi nächsten Denkzettel

Was für ein Unterschied zum grübelnden Rossi: Jorge Lorenzo war weit weniger eloquent, was aber daran lag, dass er schlicht und einfach keine Probleme hatte. Das Uhrwerk aus Mallorca schlug schon am Freitag in Misano zu und war die einzig nennenswerte Konkurrenz für Marc Marquez. Im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt schritt er mit den neuen Winglets zur Tat und entriss dem Honda-Piloten am Nachmittag die Bestzeit. In 1:32.871 Minuten stellte er einen neuen Streckenrekord auf, der aber voraussichtlich nur kurze Zeit bestandhaben wird.

"Ich fühle mich stark und in der besten Form meiner ganzen Karriere, ich habe hier Erfahrung und viele Erfolge, das Team macht einen super Job und verbessert das Motorrad an jedem Wochenende so gut", strahlte der 28-Jährige. "Manchmal hat man halt solche Tage, an denen man weiß, dass die Strecke dem Motorrad und dem eigenen Fahrstil liegt und die Dinge gut laufen. Genau das ist heute passiert, obwohl wir hier nicht so viel wie Honda getestet haben." Das macht aber aufgrund der veränderten Streckenbedingungen nicht viel aus. "Einen Monat vor dem Rennen zu testen ist nur ein kleines Plus; wenn man es ein paar Tage vor dem Rennen täte, dann wäre es ein Riesenvorteil."

Um den Rossi-Fans gleich einmal die Hoffnung zu nehmen, fügte er hinzu: "Wir haben am Nachmittag einige unterschiedliche Settings getestet und ich war mit keinem wirklich komplett zufrieden. Aber selbst mit einem nicht perfekten Setup haben wir immer noch eine konstante und schnelle Pace auf beiden Reifen hinbekommen." Daher erwartet er für den Samstag einen weiteren Schritt nach vorn, speziell mit dem harten Reifen. Auch das Potenzial der Winglets ist noch nicht ausgereizt. Rossis Hoffnung könnte sich also durchaus als Luftschloss erweisen.