Rundenlanger Wahnsinns-Zweikampf mit Marc Marquez, wenig souveräne Solo-Fahrt an der Spitze: Yamaha-Superstar Valentino Rossi demonstrierte beim MotoGP-Lauf in Silverstone zwei Gesichter. Letztlich siegte der Doktor im englischen Regen zwar deutlich mit 3,0 respektive 4,1 Sekunden Vorsprung vor seinen beiden Landsmännern Danilo Petrucci und Andrea Dovizioso, allerdings kam der Yamaha-Star trotz souveräner Führung nach knapp zwei Renndritteln doch noch einmal mächtig ins Schwitzen.

Gehetzt von Marc Marquez hatte sich Rossi mit seinem spanischen Verfolger zu Beginn des Rennens mit halsbrecherischem Tempo vom Rest des Feldes abgesetzt, behielt dank des hohen Drucks von Marquez einen gleichermaßen konstanten wie starken Rhythmus bei. Nach dem Crash des Weltmeisters zu Beginn von Runde 13 begann für Rossi allerdings eine selbstverschuldete Abwärtsspirale. "Ich hatte dann plötzlich knapp sieben Sekunden Vorsprung vor dem ersten Verfolger und habe mich zu sehr in Sicherheit gewähnt. Das war ein klarer Fehler von mir, der zum Glück nicht bestraft wurde", resümierte Rossi erleichtert.

Petrucci-Hatz: Rossi spekuliert richtig

Quasi mit dem Crash von Marquez hatte über dem Silverstone-Areal der zuvor stete aber leichte Regen wieder zugenommen. Ohne Druck des starken Rivalen scheute Rossi weiteres Risiko, wollte den Sieg auf Sparflamme nach Hause fahren. "Ich habe innerhalb von nur einer Runde 2,5 Sekunden auf Petrucci verloren, und obwohl ich dann versucht habe, wieder härter zu pushen, noch einmal 0,8 Sekunden. Bei noch sechs Runden bis zum Ziel habe ich plötzlich gemerkt, dass ich so noch einmal ernsthaft in Gefahr kommen könnte."

Valentino Rossi macht im Regen seit jeher eine gute Figur, Foto: Yamaha
Valentino Rossi macht im Regen seit jeher eine gute Figur, Foto: Yamaha

In der Folge biss Rossi zwar die Zähne zusammen, bis zum Ende der drittletzten Runde war sein Vorsprung auf Petrucci dennoch bis auf 1,8 Sekunden zusammengeschmolzen. "Ich habe es einfach nicht mehr geschafft, den gleichen Rhythmus wie bei der Verfolgungsjagd von Marquez zu gehen. Das war extrem komisch, aber dadurch, dass ich Marc permanent hinter mir gehört und gespürt habe, war ich viel konzentrierter und besser unterwegs. Letztlich konnte ich in den letzten beiden Runden den Abstand auf Petrux wieder vergrößern, aber das hätte heute auch ins Auge gehen können", weiß der Doktor um den glimpflichen Ausgang seine Laissez-Faire-Einlage.

Seine Taktik, Petrucci in Schach zu halten, offenbart Rossi dann aber ohne große Umschweife: "Der Regen war wieder stärker geworden und die Bedingungen wirklich ungemütlich. Ich wusste, dass Petrux ab einem gewissen Zeitenniveau meinerseits enorm viel riskieren müsste, um mich noch zu schnappen. Da es für ihn um sein erstes MotoGP-Podium und das beste Ergebnis seiner Karriere ging, habe ich darauf gehofft, dass er irgendwann nicht mehr bereit ist, noch mehr zu pushen. Das ist in den letzten beiden Runden dann auch passiert, und ich konnte förmlich spüren, ab wann er aufgegeben hatte."

Mit WM-Führung zum zweiten Heimspiel

Noch wichtiger als der Sieg ist für Rossi die Tatsache, dass er aus einem Punktegleichstand an der WM-Spitze mit Yamaha-Teamkollege Jorge Lorenzo durch die 25 Zähler von Silverstone wieder ein Polster von zwölf WM-Punkten herausfahren konnte. Der Spanier hatte am regnerischen Rennsonntag von Beginn an nie die Pace von Rossi und Marquez, musste sich nach Sichtproblemen durch das Helmvisier letztlich mit Rang vier zufrieden geben. Für Rossi hat das Ergebnis zwar keinen psychologischen Effekt auf Lorenzo, für den Doktor selbst hingegen umso mehr.

"Jorge ist eine harte Nuss und er wird sich niemals unterkriegen lassen. Er hat zwölf Punkte Rückstand bei noch sechs Rennen, und ist bei vielen der kommenden Strecken unheimlich stark. Für mich war das heutige Ergebnis allerdings enorm wichtig, denn ich bin nach wie vor seit dem ersten Rennen an der Spitze der Weltmeisterschaft. Jorge ist einmal auf einen Punkt herangekommen und hat nach Brünn gleichgezogen, aber überholen konnte er mich noch nie in dieser Saison. Das gibt mir enormes Selbstvertrauen für den Rest des Jahres", blickte Rossi mit breiter Brust voraus.

Sein starker Auftritt in Silverstone hat für den Italiener dann sogar noch einen weiteren angenehmen "Nebeneffekt": Zu seinem "Heim-Grand-Prix" in Misano/ San Marino reist Rossi als klarer WM-Führender. Die frenetische Stimmung unter den Tifosi sollte dadurch noch einmal zusätzlich angeheizt sein: "Ich kann das Rennen in Misano nicht erwarten, denn die Strecke liegt mir und Yamaha ungemein und ich habe dort schon viele herausragende Ergebnisse erzielt. Jetzt, wo Marquez so gut wie sicher aus dem WM-Kampf ausgeschieden ist, kann ich mich dann voll darauf konzentrieren, Jorge dort hinter mir zu halten – hoffentlich mit einem weiteren Sieg."